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Selbstbestimmungsinitiative

Politische Folgen der SVP-Polemik gegen den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

02.11.2013

Die seit Jahren von der Schweizerischen Volkspartei SVP betriebene Polemik gegen die Europäische Menschenrechtskonvention EMRK hat im Herbst 2013 eine neue politische Qualität angenommen: Der unsinnige Konfrontationskurs wirft seine Schatten in der politischen Agenda des schweizerischen Parlaments.

Vorauseilende Profilierung

Nachdem das Gerücht gestreut worden war, die SVP würde zum 1. August 2013 die Schweiz mit einer Initiative «Landesrecht vor Völkerrecht» beglücken, beeilte sich die FDP, «aus Liebe zur Schweiz» der SVP zuvorzukommen und das Positionspapier «Bessere Vereinbarkeit von Landesrecht und Völkerrecht» vorzulegen.

In diesem Papier verbindet die FDP ihre Ablehnung der Bundesrats-Vorlage, welche eine bessere Vereinbarkeit von Volksinitiativen mit den geltenden Menschenrechten erreichen will, mit einer kritischen Haltung gegenüber der dynamischen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Sodann versucht das FDP-Positionspapier, den SVP-Diskurs «Landesrecht vor Völkerrecht» in eine Bahn umzulenken, welche die Mitgliedschaft der Schweiz bei der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) als solche nicht in Frage stellt. Gleichzeitig nimmt aber die FDP das zentrale SVP-Anliegen auf, die direktdemokratische Legitimation als Kriterium für eine Rangordnung verschiedener Rechtsbereiche zu stärken.

Die konkreten FDP-Vorschläge konzentrieren sich auf eine Abstufung des rechtlichen Rangs von völkerrechtlichen Abmachungen sowie die Festlegung einer klaren Hierarchie zwischen verschiedenen Schichten des Landesrechts und des Völkerrechts gemäss ihrer Abstützung in Volksabstimmungen. Diese Vorschläge haben inzwischen in einem Postulat der FDP politische Gestalt angenommen.

Ausserdem empfiehlt  die FDP dem Bund, sich für Reformen des EGMR einzusetzen. Mit diesem Anliegen rennt die FDP allerdings offene Türen ein, denn ein Reformprozess des EGMR ist seit Jahren im Gange, nicht zuletzt angestossen von der Schweiz an der Interlakner Konferenz im Jahre 2010.

Der internationale Teufel

Am 12. Aug. hat dann die SVP anstelle der erwarteten Volksinitiative ihrerseits ein Positionspapier veröffentlicht. Darin legt sie eine Analyse vor, welche die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz in den schärfsten Gegensatz zu den Prinzipien der direkten Demokratie stellt. Diese Sicht wird u.a. mit einigen ausgewählten Urteilen des EGMR illustriert, welche die politisch unerwünschten Konsequenzen der vermeintlichen Vorherrschaft der «fremden Richter» belegen soll.

Nachdem das internationale Recht als Teufel an die Wand gemalt ist, werden unter dem Motto «Wie kann die Schweiz ihr Recht wieder selber bestimmen?» die Lösungen in Form von Vorschlägen für Volksinitiativen präsentiert, die in all ihren Varianten darin bestehen, den Vorrang des Landesrechts vor dem internationalen Recht in der Verfassung festzuschreiben. Die Drohgebärde ist offensichtlich.

Auch diese Positionierung wurde in Gestalt einer parlamentarischen Initiative von Heinz Brand inzwischen in einen politischen Vorstoss umgewandelt; er möchte einen klaren Vorrang der Bundesverfassung gegenüber dem Völkerrecht (mit Ausnahme des «zwingenden Völkerrechts») festschreiben.

Unbequeme EGMR-Urteile werden skandalisiert

Nicht nur die SVP, zunehmend auch die Medien und in ihrem Fahrwasser gewisse Exponenten/-innen der bürgerlichen Mitte-Parteien nehmen einzelne unbequeme, manchmal auch schwer nachvollziehbare Urteile des EGMR zum Anlass, um eine Breitseite gegen die menschenrechtliche Schutzmauer der Europäischen Menschenrechtskonvention aufzufahren.

Selbstverständlich sind Urteilssprüche aus Strassburg nicht sakrosankt; man darf und soll sie kritisieren, wenn man triftige  Argumente gegen einen Urteilsspruch ins Feld führen kann. Doch wenn unter Missachtung der Bedeutung der EMRK für die europäische Rechtsordnung das einzelne Urteil fürs Ganze genommen und mit dem Ruf nach einer Kündigung der EMRK verbunden wird, so kippt die Kritik am Einzelbeispiel ins Demagogische.

Federführend ist auch hier die SVP, welche bereits im Frühling 2013 eine Interpellation zur Kündigung der EMRK eingereicht hatte. Wenigstens hatte der Bundesrat diesem Begehren in seiner Antwort eine klare Abfuhr erteilt.

Nationalrat auf Konfrontationskurs

Am 20. März 2014 hat der Nationalrat entschieden, eine strikt wortgetreue Umsetzung der Ausschaffungsinitiative im Sinne der Durchsetzungsinitiative in die Wege zu leiten. Damit geht der Nationalrat offen auf Konfrontation mit grundrechtlichen Bestimmungen der Bundesverfassung und der EMRK.

Die Verteidigung des Offensichtlichen

Aufgrund der systematischen Bewirtschaftung verschiedener öffentlicher Kanäle gewinnt die SVP-Parole «Landesrecht vor Völkerrecht» zunehmend an Fahrt. Die damit aufgebaute Drohkulisse, den Trumpf einer gleichnamigen Volksinitiative jederzeit aus dem Ärmel ziehen zu können, scheint etliche Politiker/innen der Mitteparteien kopfscheu zu machen.

Dieser Negativspirale ist mit Argumenten entgegenzutreten. Die elementaren Grund- und Menschenrechte müssen gegen die politisch motivierte Polemik verteidigt werden. Es sollte allen klar werden: Wer pauschal «Landesrecht vor Völkerrecht» stellen will, der betreibt einen Rechtsbruch auf internationaler Ebene und den Abbau der Grundrechte auf nationaler Ebene.

Die SVP verkennt offensichtlich auch, dass sich der Vorrang der EMRK aus dem Landesrecht selbst (vgl. Art. 122 BGG) ergibt.  Aus diesem Grund würde der Vorrang der EMRK bestehen bleiben, sogar wenn in der BV stehen würde, dass Landesrecht dem Völkerrecht vorgeht.