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Hat das Wegsperren in der Schweiz Tradition?

06.11.2024

Im zwanzigsten Jahrhundert wurden in der Schweiz mindestens 60'000 Menschen ohne Gerichtsurteil und Straffälligkeit in Anstalten eingewiesen. Auf internationalen Druck insbesondere seitens des Europarats wurde 1981 die sogenannte administrative Versorgung abgeschafft. In den letzten zehn Jahren erfolgte eine Aufarbeitung und eine Rehabilitierung der Betroffenen. Aber hat sich damit etwas an der Praxis verändert – der Tendenz, Menschen wegzusperren, die gegen Normvorstellungen verstossen?

Im 20. Jahrhundert verfolgte die Schweiz die Praxis der administrativen Versorgung. Darunter verstand man die Zwangseinweisung von Menschen in eine (psychiatrische) Anstalt, aber auch in Einrichtungen ohne medizinische Betreuung, aufgrund von «liederlichem», «arbeitsscheuem» oder «asozialem» Verhalten. Mindestens 60'000 Menschen wurden in 648 Anstalten eingewiesen, ohne Gerichtsurteil und ohne, dass sie straffällig geworden waren. Die administrativen Versorgungen beruhten zwar auf rechtlichen Grundlagen, die damalige Gesetzeslage war jedoch unübersichtlich und schwer zu erfassen. Von administrativen Versorgungen betroffen waren insbesondere in Armut lebende Personen, Personen ohne feste Arbeitsstelle oder Angehörige gesellschaftlich diskriminierter Gruppen. Gemäss der damals vorherrschenden Normvorstellungen galten sie als auffällig und unangepasst. Auf internationalen Druck insbesondere seitens des Europarats wurde 1981 die administrative Versorgung abgeschafft. In Anbetracht der Tatsache, dass den administrativ versorgten Menschen Unrecht angetan worden war, verabschiedete das eidgenössische Parlament 2014 das Bundesgesetz über die Rehabilitierung administrativ versorgter Menschen. Infolgedessen untersuchte und dokumentierte eine unabhängige Expertenkommission (UEK) die Geschichte der administrativen Versorgungen und sprach Vorschläge zur Rehabilitierung der betroffenen Personen aus. Diese Aufarbeitung zeigt die Bereitschaft, sich mit historischem Unrecht zu befassen. Gleichzeitig soll sie die Sensibilität gegenüber aktuellem Unrecht stärken und dazu beitragen, ähnliche Praktiken aufgrund unklarer Rechtslagen in Zukunft zu vermeiden.

In diesem Artikel wird der Frage nachgegangen, inwiefern sich heute die Praxis geändert hat. Die Praxis des Wegsperrens ist in der Schweiz in verschiedenen Bereichen eine weit verbreitete Realität, wenn auch die Interventionen anders benannt und in unterschiedlichen Regimen sowie mit anderen gesetzlichen Grundlagen vollzogen werden.

Untersuchungshaft

Bei der Untersuchungshaft (U-Haft) wird eine tatverdächtige Person in Haft genommen, um zu verhindern, dass sie flieht (Fluchtgefahr), das Strafverfahren beeinträchtigt (Kollusionsgefahr) oder weitere Taten begeht (Wiederholungsgefahr). Die Untersuchungshaft wird in Art. 221-240 der Strafprozessordnung (StPO) geregelt. Eine Untersuchungshaft ist nur dann verhältnis- und rechtmässig, wenn keine milderen Massnahmen (sogenannte Ersatzmassnahmen) ergriffen werden können, um die Behinderung strafrechtlicher Ermittlungen oder Wiederholungsdelikte zu verhindern. In der Untersuchungshaft gilt die Unschuldsvermutung. Es kommt immer wieder vor, dass es nach der U-Haft zu einem Freispruch kommt – entsprechend können auch Unschuldige in U-Haft kommen.

Im 2023 wurden in der Schweiz insgesamt 1924 Personen in U-Haft genommen. Im Vergleich mit anderen Westeuropäischen Ländern verfolgt die Schweiz eine restriktive U-Haftpolitik. Nur Belgien hat in Westeuropa eine gleich hohe U-Haft-Rate pro 100'000 Einwohner*innen. Der Anteil Inhaftierter in U-Haft an allen Inhaftierten liegt in der Schweiz bei 46% im Vergleich zu Frankreich mit 31%, Italien 25% und Deutschland 20%. 54% der Personen in U-Haft sind entweder Asylsuchende (7%) oder haben den Wohnsitz im Ausland bzw. er ist unbekannt  (47%). Grund dafür ist, dass in diesem Fall oft von einer Fluchtgefahr ausgegangen wird. Die Inhaftierungsrate ist seit 1988 konstant hoch, hingegen betrug der Anteil Inhaftierter mit Wohnsitz im Ausland 1988 noch 37%, um ab 2004 auf über 50% anzusteigen.

In der Praxis werden mildere Ersatzmassnahmen oft und ohne dies zu begründen gar nicht in Erwägung gezogen. Folglich bleibt auch die Rechtsmässigkeit der Haft in vielen Fällen unbegründet. Obwohl es bezüglich der Haftbedingungen grosse kantonale Unterschiede gibt, widersprechen sie oft menschenrechtlichen Vorgaben, was wiederholt von internationalen Gremien kritisiert wird. Die Untersuchungshaft wird oft als Einzelhaft mit langen Einschlusszeiten und in sehr kleinen sowie alten Gefängnissen vollzogen. Eine solche Einzelhaft kann ernsthafte gesundheitliche Folgen mit sich bringen. Zudem existieren häufig restriktive Besuchsbedingungen, obwohl ein Anspruch auf angemessene Besuche bestehen würde. Es kommt vor, dass Strafverfolgungsbehörden Besuchsrechte und Besuchsdauer als Druckmittel missbrauchen. Diese Bedingungen sind umso stossender in Anbetracht dessen, dass in U-Haft die Unschuldsvermutung gilt und auch nach kurzer Inhaftierung die Konsequenzen eines Haftschocks zu irreparablen psychischen Schäden führen können.

Strafbefehls- und Ersatzfreiheitsstrafen 

Mit der Einführung der eidgenössischen Strafprozessordnung (StPO) im Jahr 2011 wurde – ursprünglich zur Entlastung der Gerichte – die Position der Staatsanwält*innen gestärkt, indem diese neu bei leichteren Delikten Strafen bis zu sechs Monaten Freiheitsentzug im sogenannten Strafbefehlsverfahren  verhängen können. Wird der Strafbefehl von den Beschuldigten akzeptiert, ist das Urteil rechtskräftig. Betroffene können jedoch den Strafbefehl ablehnen und verlangen, dass ein ordentliches Gericht darüber befindet. Von Ersatzfreiheitsstrafe gemäss Art. 36 StGB  wird gesprochen, wenn eine Busse oder Geldstrafe nicht bezahlt werden kann und diese in eine Freiheitsstrafe umgewandelt wird.

Personen mit einem Strafbefehl füllen heute die Schweizer Gefängnisse. Denn über die Hälfte der Inhaftierten (2022 waren es 53% von insgesamt 3217 Inhaftierten) sitzen eine Ersatzfreiheitsstrafe ab.

Das Strafbefehlsverfahren ist nicht nur problematisch, weil die Staatsanwaltschaft gleichzeitig Anklägerin und Richterin ist (fehlende Gewaltentrennung). Gemäss einer Studie der Universität Zürich werden nur gerade in 8% der Fälle die Betroffenen vor dem Erlass des Strafbefehls angehört. Vielmehr sind oft Personen ohne Schweizer Pass betroffen, die den per Post zugestellten Strafbefehl möglicherweise aus sprachlichen Gründen nicht verstehen und deswegen die sehr kurz angesetzte Einsprachefrist von 10 Tagen verpassen. Es gibt immer wieder Menschen, die im Gefängnis sitzen und nicht wissen, warum.  Oder es mangelt an finanziellen Ressourcen zur Bezahlung eines Rechtsbeistandes. Wird ein Strafbefehl jedoch angefochten, erfolgt in 20% der Fälle eine Aufhebung.

Strafrechtlicher Massnahmenvollzug 

Das Strafgesetzbuch StGB regelt in den Artikeln 56 bis 65 die Möglichkeit, dass bei einer Verurteilung wegen einer Straftat zusätzlich zur Strafe eine Massnahme angeordnet werden kann, wenn die Strafe nicht geeignet ist, die Rückfallgefahr zu mindern, ein Behandlungsbedürfnis besteht oder die öffentliche Sicherheit dies erfordert (Art. 56 StGB). Der Vollzug der Massnahme geht demjenigen der Strafe voraus und wird der Strafe angerechnet (Art. 57 StGB). Die Voraussetzungen zur (bedingten) Entlassung werden frühstens nach einem Jahr und spätestens nach Ablauf der gesetzlich vorgegebenen Dauer (3-5 Jahre) überprüft. Die Entlassung aus der Verwahrung  erfolgt bei positiver Prognose frühstens bei Verbüssung von zwei Dritteln der Freiheitsstrafe oder nach 15 Jahren einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe. Eine Massnahme kann bei negativer Prognose mehrfach verlängert werden. Konkret gibt es eine stationäre therapeutische Massnahme bei psychischen Störungen (Art. 59 StGB), bei einer Suchterkrankung (Art. 60 StGB) oder im Falle von jungen Erwachsenen (Art. 61 StGB). Dazu kommen die ambulante Massnahme (Art. 63 StGB) sowie die Verwahrung (Art. 64 StGB) bei besonders hoher Rückfallgefahr und einer anhaltenden und langdauernden psychischen Störung von erheblicher Schwere, die in gewissen Fällen (Art. 64, Abs. 1bis) lebenslänglich ausgesprochen werden kann.

Während die Zahlen für Verwahrungen, Suchtbehandlungen sowie Massnahmen für junge Erwachsene seit 1984 stabil geblieben sind, fällt der enorme Anstieg an Massnahmen zur Behandlung von psychischen Störungen nach Art. 59 seit 2003 (157 Fälle) und mit einem Höhepunkt 2021 (737 Fälle) auf. Bei näherer Betrachtung der Zahlen wird deutlich, dass die Zunahme nicht auf mehr Einweisungen oder weniger Entlassungen pro Jahr zurückzuführen sind, sondern auf eine zunehmend längere Aufenthaltsdauer – die Zunahme der mittleren Aufenthaltsdauer zwischen 1984 und 2021 beträgt 270%.
 
Ein Grund dafür wird seitens der Wissenschaft im zunehmenden Sicherheitsdenken in der Gesellschaft verortet. Das Gericht stützt sich beim Entscheid über die Anordnung  einer Massnahme zwingend auf eine sachverständige Begutachtung (Art. 56 Abs. 3 StGB). Diese äussert sich einerseits zur Notwendigkeit und den Erfolgsaussichten einer Behandlung des Täters oder der Täterin und enthält andererseits eine Risikoprognose über die Art und die Wahrscheinlichkeit weiterer möglicher Straftaten. Problematisch ist diese Gesetzesbestimmung deshalb, weil sie sowohl den sachverständigen Gutachter*innen wie auch den Gerichten bezüglich aller Voraussetzungen einen beinahe unbegrenzten Ermessensspielraum einräumt. Hinzu kommt, dass Psychiater*innen bei der Begutachtung – aus durchaus nachvollziehbaren Gründen – kaum je bereit sein werden, eine Ungefährlichkeit zu attestieren, um sich dann bei einem Rückfall rechtfertigen zu müssen. Die Angst beeinflusst aber auch die Richter*innen, welche den Empfehlungen der Psychiater*innen in der Regel folgen. Die Wahl zwischen einer gewöhnlichen Freiheitsstrafe und einer therapeutischen Massnahme wird demnach faktisch im forensisch-psychiatrischen Gutachten – meistens zuungunsten der begutachteten Person – vorentschieden.

Die zunehmende Verlagerung vom Straf- zum Massnahmenrecht führt dazu, dass die Population von Langzeitgefangenen stetig zunimmt, ohne dass dafür genügend geeignete Haftplätze mit Therapiemöglichkeit verfügbar wären. So warten Hunderte von Gefangenen, welche eine Massnahme verordnet bekamen, oft mehr als ein Jahr auf einen Therapieplatz, bei den Verwahrten befinden sich gemäss NKFV die meisten in geschlossenen Abteilungen von Gefängnissen. In dieser Zeit befinden sie sich im Normalvollzug unter oft viel restriktiveren Haftbedingungen, als ihnen im «präventiven» Strafvollzug eigentlich zustünde. Denn sie befinden sich im sogenannten präventiven Strafvollzug, der nicht dazu dient, das Unrecht einer Straftat auszugleichen, sondern die Gesellschaft vor weiteren möglichen Straftaten zu schützen.

Fürsorgerische Unterbringung

Eine an einer «psychischen Störung, geistiger Behinderung oder schwerer Verwahrlosung leidende Person» darf gegen ihren Willen in einer geeigneten Einrichtung (psychiatrische Klinik, Pflegeheim) untergebracht werden, sofern die notwendige Behandlung oder Betreuung nicht anders gewährleistet werden kann. In diesem Fall spricht man von fürsorgerischer Unterbringung (FU). Dabei muss zwingend eine ernsthafte Selbstgefährdung vorliegen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann auch eine Fremdgefährdung berücksichtigt werden. Die Voraussetzungen für die Anordnung der FU sowie der medizinischen Zwangsbehandlungen sind in Art. 426 ff.  des Zivilgesetzbuches (ZGB) umschrieben. Die Anordnung einer fürsorgerischen Unterbringung geschieht grundsätzlich durch die kantonal zuständige Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde oder häufiger durch einen Arzt bzw. eine Ärztin.

Mit der Inkraftsetzung des Erwachsenenschutzrechts (ESR) im Jahre 2013 wurde aus dem früheren «Fürsorgerischen Freiheitsentzug (FFE)» neu die «Fürsorgerische Unterbringung (FU)». Die Prognose, dass sich mit der Gesetzesrevision die FU-Rate reduzieren lasse, hat sich bislang nicht bestätigt. Im Gegenteil: 2022 wurden in der Schweiz über 18'367 Personen gegen ihren Willen mit einer FU in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Dies entspricht bei grossen kantonalen Unterschieden einer durchschnittlichen Rate von 2.07 Einweisungen pro 1000 Einwohner*innen. Die landesweite Durchschnittsrate ist im internationalen Vergleich hoch. Konkret wird jede fünfte Person, die sich in der stationären Psychiatrie in der Schweiz befindet, gegen ihren Willen eingewiesen.  Rund 30% der Hospitalisierungen aufgrund fürsorgerischer Unterbringung dauerten 1-7 Tage. Knapp 80% der Hospitalisierungen aufgrund fürsorgerischer Unterbringung sind nach sechs Wochen beendet, während bei etwas mehr als 20% die Hospitalisierung sieben Wochen oder mehr dauert.

Diese Daten beziehen sich aber nur auf die Einweisungen in Psychiatrien. Nicht berücksichtigt werden FU-Einweisungen in andere Einrichtungen wie somatische Abteilungen in Spitälern oder Alters- und Pflegeheime sowie die Zurückbehaltung freiwillig Eingetretener. Es gibt auf nationaler Ebene keine einheitliche und vollständige Datenerhebung zu FU. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Anzahl der jährlich verfügten FU einiges höher liegt.

Aufgrund der kontinuierlich hohen FU-Rate sowie der Praxis bei der Verfügung einer FU publizierte die Organisation pro mente sana Ende 2022 ein Positionspapier, in das Ergebnisse aus Evaluationen des neuen Erwachsenenschutzrechts sowie Berichte von Betroffenen integriert wurden. Formuliert wurden fünf Forderungen: die Verhängung der FU als Ultima Ratio, bessere Qualifikation des zuweisenden Fachpersonals und 4-Augen-Prinzip bei der Zuweisung, Gewährung des rechtlichen Gehörs und Aufklärung der Betroffenen über ihre Rechte sowie eine obligatorische Nachbesprechung der FU.

Der UNO-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (BRK) ging bei seiner ersten Überprüfung der Schweiz im 2022 noch weiter und empfahl dem Bund, bestimmte derzeitige gesetzliche Vorschriften abzuschaffen: und zwar jene, die einen unfreiwilligen Freiheitsentzug aufgrund einer psychischen Störung oder einer geistigen Behinderung zulassen sowie jene, die medikamentöse Zwangsbehandlungen, Isolation und die Anwendung von chemischen, physischen und mechanischen Zwangsmitteln erlauben (Abschliessende Bemerkungen, S. 7-8).

Unterbringung in Bundesasylzentren

Asylsuchende werden in der Schweiz während der Abwicklung des Asylverfahrens in Bundesasylzentren untergebracht. Dabei wird die grundsätzliche Frage geklärt, ob die Schweiz den Geflüchteten Schutz bieten muss. Es ist nicht wegzudiskutieren, dass die Unterbringungssituationen aufgrund der sehr abgelegenen Standorte der Zentren, der eingeschränkten Bewegungsfreiheit oder Anwesenheitspflichten der Geflüchteten freiheitsentziehenden Charakter aufweisen.

Im 2023 haben 24'511 Menschen in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt. In 26% wurde Asyl gewährt, die sogenannte Schutzquote (gewährtes Asyl oder Vorläufige Aufnahme) betrug 54%. Im Rahmen seiner regulären Planung betreibt das Staatssekretariat für Migration (SEM) insgesamt 5000 Unterbringungsplätze für Asylsuchende. Diese Kapazität kann in Absprache mit den Kantonen in speziellen Situationen auf 10 000 Plätze erhöht werden und wird aktuell voll ausgeschöpft.

Die vom Bund betriebenen Asylunterkünfte wurden 2017 und 2018 von der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF)  und im März 2021 vom Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) in Hinblick auf die Einhaltung der Grund- und Menschenrechte überprüft. Nebst den unverhältnismässigen Anwesenheitspflichten bemängeln die NKVF und das CPT die fehlende schriftliche Anordnung von Disziplinarmassnahmen. Das NKVF bemerkt zudem einen erheblichen Mangel an Privatsphäre und einen für die Asylsuchenden erschwerten Zugang zur Gesellschaft. Das CPT kritisiert den fehlenden Zugang von Mitarbeitenden der Rechtshilfe zu den Asylzentren und fehlende Informationen über die Möglichkeit zur Beschwerdeeinreichung.

Klar freiheitsentziehenden Charakter erleben Asylsuchende, die in Besonderen Zentren (BESOZ) nach Art. 24a des Asylgesetzes (AsylG) untergebracht werden, wenn sie gemäss Behörden die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder den Betrieb der normalen Bundesunterkünfte erheblich stören. Ein solches besonderes Zentrum existiert aktuell in Les Verrières im Kanton Neuenburg, ein zweites ist gemäss SEM in der Deutschschweiz geplant. Hier gelten strengere Sicherheitsvorkehrungen und striktere Ausgangsregeln. Der Aufenthalt ist auf 30 Tage beschränkt.  

Für die Verlegung in ein besonderes Zentrum muss eine Person nicht zuerst für eine Straftat schuldig befunden werden, anders als in einem strafrechtlichen Verfahren. Aus Sicht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) sind die Hürden zur Zuweisung in das BESOZ zu tief. Ein mehrfacher Verstoss gegen das Ausgangsverbots würde reichen, um nach Les Verrières verlegt zu werden. Auch sei diese Massnahme für Menschen mit Suchterkrankungen und psychischen Problemen ungeeignet. Die Behörden hätten bei Selbst- und Fremdgefährdung unter Anwendung des Strafrechts und den Behandlungsmöglichkeiten der Psychiatrie durchaus Handlungsspielraum.

Administrativhaft

Die ausländerrechtliche Administrativhaft  dient nicht der Untersuchung oder Bestrafung einer Straftat im Sinne des Schweizerischen Strafgesetzbuches (StGB). Es handelt sich um eine Haft, die die Weg- oder Ausweisung einer Person aus der Schweiz garantieren und deren Untertauchen verhindern soll. Sie wird angeordnet, um den Wegweisungsentscheid auch gegen den Willen der betroffenen Person zu vollziehen oder auf die betroffene Person hinsichtlich der Ausreiseverpflichtung einzuwirken. Die Administrativhaft ist im Ausländer- und Integrationsgesetz AIG (Art. 75ff) geregelt und wird durch die zuständige kantonale Vollzugsbehörde angeordnet. Gesetzmässigkeit und Verhältnismässigkeit der Haft müssen innerhalb von 96 Stunden von einer richterlichen Behörde überprüft werden (Art. 80 Abs. 2 AIG).

Gemäss Asylstatistik des SEM wurde im 2023 in 2'882 Fällen Administrativhaft angeordnet. Dabei gibt es bei der Inhaftierungsrate erhebliche kantonale Unterschiede, weil das Prinzip der Verhältnismässigkeit durch die jeweiligen Vollzugsbehörden unterschiedlich interpretiert und umgesetzt wird. Es gibt Kantone, die eine Administrativhaft bereits vor der Rechtskräftigkeit des Negativentscheids anordnen. Auch gibt es immer wieder Fälle, in denen nach der Administrativhaft keine Ausschaffung erfolgt und entsprechend die «Zweckhaftigkeit» dieser Inhaftierung in Frage gestellt werden muss. In fünf von zehn Haftfällen dauert die Administrativhaft weniger als zehn Tage. In der anderen Hälfte der Fälle ist eine Haftdauer zwischen neun und 18 Monaten zu erwarten.

Asylex  und die NKVF kritisieren den Vollzug der Administrativhaft aufgrund der massiven Einschränkung der Bewegungsfreiheit, der mangelnden Verhältnismässigkeit und des fehlenden Zugangs zu einem wirksamen Rechtsschutz seit Längerem. Obwohl es sich bei der ausländerrechtlichen Administrativhaft nicht um eine strafrechtliche Sanktion handelt, ist sie einer solchen im Vollzug sehr ähnlich. Die meisten Kantone nutzen für deren Durchführung ihre Strafvollzugsanstalten, auch wenn das Gesetz dies nur in Ausnahmefällen erlaubt.

Ist Wegsperren die Lösung für gesellschaftliche Probleme?

Zählt man die gemäss Gesetz unschuldigen Personen in U-Haft, Personen in Präventivhaft (strafrechtlicher Massnahmenvollzug), die ihre Strafe bereits abgesessen haben, Personen, die gegen ihren Willen in die Psychiatrie eingewiesen werden (FU) und jene, die in Bundesasylzentren untergebracht sind, zusammen, kommt man auf über 30'000 Personen, die sich in der Schweiz pro Jahr in Freiheitsentzug befinden. Und dies ohne, dass der Freiheitsentzug mit dem Schuldausgleich durch eine begangene Straftat legitimiert wird. Es dürften aufgrund der Datenlücken insbesondere im Bereich des FU mehr sein. Dazu kommen Personen, die aufgrund fehlender finanzieller und persönlicher Ressourcen eine Busse nicht bezahlen können und dafür mit Freiheitsentzug bestraft werden.

Gleichzeitig wie die Schweiz öffentlichkeitswirksam die Aufarbeitung der administrativen Versorgung vorantreibt, gelangen Berichte von therapiebedürftigen Jugendlichen an die Medien, die mangels Plätzen in Heimen und Psychiatrie in Gefängnissen untergebracht werden. Stehen wir also am gleichen Ort wie zu Zeiten der administrativen Versorgungen?

Die Zielgruppe der Wegzusperrenden hat sich grundsätzlich nicht verändert: Es sind jene Menschen, die nicht in die gesellschaftlichen Normvorstellungen passen. Das sind Armutsbetroffene, Personen ohne Schweizer Pass und gesundheitlich beeinträchtigte Menschen. Während bei den administrativen Versorgungen oft alleinerziehende Frauen im Fokus standen, dürfte sich dieser durch die Veränderungen in der Gesellschaft auf Migrant*innen verschoben haben.

Die finanziellen und gesellschaftlichen Kosten solcher freiheitsentziehenden Massnahmen sind immens. Nur schon die Administrativhaft kostet uns jährlich über 20 Millionen Franken – und dabei sind die Folgekosten wie Reintegrationsmassnahmen und die Behandlung der Konsequenzen einer Inhaftierung (Haftschocks) ebenso zu berücksichtigen. Gleichzeitig gibt es in sämtlichen Bereichen, sei es bei der U-Haft, Fürsorgerischen Unterbringung oder Administrativhaft gut begründete und wissenschaftlich belegte Alternativen sowie Beispiele im Ausland mit Modellcharakter zeigen. Auch diese Alternativen kosten. Doch wenn mit diesen Massnahmen gleichzeitig einen Beitrag zur Integration der Betroffenen in die Gesellschaft – sei es hier oder anderswo – geleistet und Folgekosten wie Haftschäden vermieden werden können, dürften sich diese lohnen. Es braucht ein radikales Umdenken und den Mut, in die Integration anstelle der Repression zu investieren – und vor allen eine konsequente Respektierung der Menschenrechte!

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