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Die ausländerrechtliche Administrativhaft – Kritik und Alternativen

07.10.2020

Die ausländerrechtliche Administrativhaft erlaubt es den Schweizer Behörden Ausländer*innen ohne Aufenthaltsbewilligung zur Sicherstellung ihrer Ausschaffung zu inhaftieren. Die oft willkürlich erscheinende Anordnung und die repressiven Haftbedingungen sind menschenrechtlich unhaltbar.

Ein Gastbeitrag von AsyLex, der online Rechtsberatung zum Schweizer Asylrecht.

Bei der ausländerrechtlichen Administrativhaft handelt es sich um eine verwaltungsrechtliche Zwangsmassnahme, welche der Sicherstellung des Vollzuges einer behördlich angeordneten Ausreise aus der Schweiz dient. Sie bezweckt damit nicht die Sanktionierung oder Untersuchung einer Straftat. Trotzdem bewirkt sie einen Freiheitsentzug und damit einen erheblichen Grundrechtseingriff nach der Schweizerischen Bundesverfassung (Art. 10 Abs. 2 BV) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 5 EMRK). Dies umso mehr, als sie gemäss des Ausländer- und Integrationsgesetzes bis zu 18 Monate andauern kann (Art. 79 Abs. 2 AIG).

Nach Angaben des Staatssekretariats für Migration (SEM) wurde im Jahr 2018 in 3‘284 Fällen Administrativhaft angeordnet. Die durchschnittliche Haftdauer betrug 25 Tage und war damit gegenüber dem Vorjahr (24 Tage) praktisch unverändert. Gemäss eines Berichts der parlamentarischen Verwaltungskontrolle (PVK) aus dem Jahr 2017 betragen die Kosten des Bundes für die Administrativhaft im Asylbereich jährlich rund 20 Millionen Schweizer Franken. Nicht nur wegen der persönlichen Belastung für die Inhaftierten, sondern auch aufgrund der massiven Kosten für die Staatskasse wäre es daher wünschenswert, dass zur Sicherstellung der Ausschaffung mildere Massnahmen als die Haft konsequent geprüft und wann immer möglich angewendet würden.

Grosse Kantonale Unterschiede

Die aktuellsten verfügbaren Daten zur Administrativhaft im Asylbereich sind einem Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats sowie der Bestandsaufnahme der PVK zu entnehmen und beziehen sich auf negative Asylentscheide im Zeitraum von 2011 bis 2014.

Die Administrativhaft wird von Kanton zu Kanton ganz unterschiedlich oft angeordnet. So inhaftierte der Kanton Genf im besagten Zeitraum lediglich jede fünfte Person, die von einem Dublin-Nichteintretensentscheid betroffen war, während der Kanton Obwalden 70% dieser Personengruppe in Haft versetzte. Ein Nichteintretensentscheid wird dann erlassen, wenn ein anderer Staat, und nicht die Schweiz, im Rahmen des Dublin-Systems für die Prüfung eines Asylgesuchs zuständig ist.

Auch bei der Inhaftierung von Asylsuchenden, die nicht von Dublin-Rückführungen betroffen sind, bestehen grosse Unterschiede. So wiesen der Kanton Genf und der Kanton Tessin eine signifikant geringere Haftanordnungsquote auf (4%) als der Kanton Obwalden (28%). Die kantonalen Differenzen lassen sich primär dadurch erklären, dass das Prinzip der Verhältnismässigkeit durch die jeweiligen Vollzugsbehörden unterschiedlich interpretiert und umgesetzt wird. Gewisse Kantone ordnen bereits Administrativhaft an, bevor der Negativentscheid überhaupt rechtskräftig geworden ist. Dies geschieht vor allem in den Kantonen Appenzell-Innerrhoden, Obwalden, Tessin und Uri (in mehr als 80% der Haftfälle).  

Weiter weist auch der Vollzug der Ausschaffung, zu dessen Sicherstellung die Administrativhaft eigentlich angeordnet wird, deutliche kantonale Unterschiede auf. Etwa wurde im Kanton Wallis nur jede zweite Person nach der Inhaftierung tatsächlich ausgeschafft und die «Zweckmässigkeit» dieser Inhaftierungspraxis daher von der PVK zu Recht in Frage gestellt.

Grosse Differenzen bestehen zwischen den Kantonen zudem bei der Inhaftierung von Minderjährigen. Während Genf und Neuenburg die Inhaftierung von Minderjährigen verbieten, kommt sie in anderen Kantonen zu Anwendung, wenn Betroffene einer Ausreise nicht freiwillig zustimmen, so beispielsweise in Basel Stadt, Luzern und St. Gallen.  

Bei der Analyse der vorliegenden Zahlen springt insbesondere die Lückenhaftigkeit der Daten ins Auge. Vor allem in den Kantonen Thurgau, Neuenburg, Schaffhausen und Waadt berichtet die PVK von deutlichen Abweichungen zwischen den Einträgen im System und den kantonal abgerechneten Beträgen. Die betroffenen Kantone wurden deshalb statistisch nicht berücksichtigt. Es sei hier angemerkt, dass die verwendeten Daten vor der Inkraftsetzung der Dublin-III Verordnung erhoben wurden und auch die erhöhte Anzahl Asylgesuche aufgrund der humanitären Krise seit 2015 nicht berücksichtigt wurden. Es ist aus diesem Grund dringend geboten, dass auf Bundesebene aktuelle statistische Daten erhoben werden, um die kantonalen Diskrepanzen in Recht- und Verhältnismässigkeit zu erkennen, zu veröffentlichen und zu reduzieren.

Rechtswidrige Haftbedingungen

Obwohl es sich bei der ausländerrechtlichen Administrativhaft nicht um eine strafrechtliche Sanktion handelt, ist sie einer solchen im Vollzug sehr ähnlich. Die meisten Kantone nutzen für deren Durchführung ihre Strafvollzugsanstalten, auch wenn das Gesetz dies nur in Ausnahmefällen erlaubt.

Seit dem 1. Juni 2019 ist ein nationales Trennungsgebot in Kraft, demzufolge Strafgefangene und Personen in Administrativhaft in unterschiedlichen Vollzugseinrichtungen untergebracht werden müssen. Die Klausel sieht jedoch eine Berechtigung zu Ausnahmen «aus Kapazitätsgründen» vor. Wenn dieser Umstand gegeben ist, sind nach Artikel 81 Absatz 2 des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) inhaftierte Ausländerinnen und Ausländer (innerhalb derselben Vollzugseinrichtung) gesondert von Personen unterzubringen, welche sich in Untersuchungshaft oder im Strafvollzug befinden. Dessen ungeachtet gibt es in der Schweiz nur sehr wenige Einrichtungen, welche speziell für die Umsetzung der ausländerrechtlichen Administrativhaft vorgesehen sind. So wurde etwa im Flughafengefängnis Zürich-Kloten der Trakt des Strafvollzugs von demjenigen der Administrativhaft getrennt, die beiden Abteilungen befinden sich jedoch auf demselben Gelände (Stand Oktober 2020). Während die Justizvollzugseinrichtung Frambois (GE, VD, NE) einen liberalen Umgang mit den inhaftierten Personen pflegt, etwa grossen Wert auf die Gewährleistung der Privatsphäre durch Zimmerschlüssel und ganztägigen Zugang zu sportlichen Aktivitäten legt, stehen andere Institutionen aufgrund ihres ausgeprägten Gefängnischarakters und umstrittener Haftbedingungen immer wieder in Kritik, so beispielsweise die JVA Realta (GR) oder das Untersuchungsgefängnis Solothurn (SO).

Vor diesem Hintergrund kritisierte auch die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) die Haftbedingungen für Menschen in dieser Haftform in der Schweiz. Insbesondere sei die Bewegungsfreiheit zu stark eingeschränkt, da die Möglichkeit Spaziergänge zu machen oft nur in «kleinen übergitterten Spazierhöfen» bestehe. Ob die Anordnung der Administrativhaft im Einzelfall jedoch überhaupt notwendig ist oder ob es zielführende Alternativen gibt, überprüft die Kommission nicht.

Zu den gravierendsten Problemen in der Administrativhaft gehört insbesondere die unsachgemässe Unterbringung sowie Betreuung und Behandlung von psychisch kranken Menschen. Der UNO-Menschenrechtsausschuss statuierte 2017, dass eine stationäre Platzierung im Zwangsmassnahmenvollzug für psychisch erkrankte Menschen nur als letztes Mittel angewendet werden dürfe. Auch die Schweiz wurde angehalten, ihre Gesetze dementsprechend anzupassen. Neben der unzumutbaren Inhaftierung von psychisch Kranken wird den Betroffenen zudem oft die notwendige und geeignete Therapie verweigert und sie bleiben inhaftiert, auch wenn eine rechtmässige Anordnung für eine psychiatrische Betreuung in einer geeigneten Institution vorliegt. In den Administrativgefängnissen sind im Gegensatz zum Strafvollzug generell keine psychologischen Therapien vorgesehen. Hingegen häufen sich in der Beratungspraxis Berichte darüber, dass die Frage nach psychologischer Unterstützung oft zur Anordnung einer medikamentösen Behandlung führt – obwohl die Betroffenen dies nicht wünschen.

Es geht nicht an, dass die Inhaftierung der Betroffenen den menschenrechtlichen Minimalstandards nicht genügt. Die Schweizer Behörden haben sich konsequent an die Vorgaben der nationalen und internationalen Institutionen zu halten, welche eine rechtmässige, verhältnismässige und menschenwürdige Unterbringung prüfen und fordern. Es ist wünschenswert, dass der ständigen Präsenz von Sozialarbeiter*innen erhöhte Wichtigkeit zugesprochen wird, um dem ausgeprägten Gefängnischarakter der Unterbringung entgegen zu wirken. Schliesslich ist eine psychologische Behandlung auf jeden Fall zu gewährleisten und eine adäquate Unterbringung anzuordnen.

Fehlen eines wirksamen Rechtsschutzes

Ein weiterer Kritikpunkt verschiedener Rechtschutzorganisationen ist die oftmals fehlende Rechtsvertretung der inhaftierten Personen. Das Ausländer- und Integrationsgesetz begründet keinen Anspruch auf rechtliche Vertretung für Personen in Administrativhaft. Stattdessen ergibt sich dieses Recht aus den verfassungsmässigen Verfahrensgarantien in Artikel 29 der Bundesverfassung, aus dem Recht auf ein faires Verfahren gemäss Artikel 6 der Europäischer Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie aus dem EU-Recht in Fällen der Dublin-Haft. Die ausländerrechtlich inhaftierten Personen in der Schweiz haben also trotz der Lücke im nationalen Gesetz das Recht - grundsätzlich auf eigene Rechnung - eine*n Rechtsvertreter*in in Anspruch zu nehmen. Gemäss Praxis des Bundesgerichtes (vgl. BGE 122 I 49) darf nach drei Monaten und ungeachtet der Erfolgsaussichten einer bedürftigen Person in Administrativhaft zudem die unentgeltliche Rechtsverbeiständung grundsätzlich nicht mehr verwehrt werden, d.h. ab diesem Zeitpunkt muss der Staat für die Kosten der Rechtsvertretung aufkommen.

Trotz des Anspruchs auf Rechtsvertretung ist jede*r Inhaftierte*r selbst dafür zuständig, eine solche zu mandatieren. Besonders für Personen mit beschränkten Kenntnissen des Schweizer Rechtssystems und der Landessprachen ergeben sich dabei erhebliche Schwierigkeiten. Oft fehlen darüber hinaus die finanziellen Mittel und ein (familiäres) Umfeld, was die selbständige Informationsbeschaffung und die Durchsetzung eigener Rechtsansprüche weiter erschwert. Hinzu kommen persönliche Traumata und Ängste vor zusätzlicher Repression, die in Personen mit Flucht- und Migrationserfahrungen oft tief verankert sind und die eine vertrauensvolle Öffnung einer fremden Fachperson gegenüber erschweren.

Bereits die Kontaktaufnahme zu einer Rechtsvertretung gestaltet sich in der Praxis äusserst kompliziert. So können die inhaftierten Personen im Flughafengefängnis Zürich zwar grundsätzlich Telefonanrufe nach aussen tätigen, es besteht jedoch umgekehrt keine Möglichkeit für die Rechtsvertreter*innen ihre Klient*innen im Gefängnis telefonisch zu kontaktieren. Auch für die mandatierten Anwält*innen ergeben sich Schwierigkeiten: Die Gewährung der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung ist in den ersten drei Monaten der ausländerrechtlichen Administrativhaft ungewiss und die Verfahrensführung äusserst kostspielig. Zudem befinden sich gerade die Ausschaffungsgefängnisse oft an entlegenen Orten, was einen Besuch der zu vertretenden Person häufig verunmöglicht. Genaue Daten zu der Prozentzahl der rechtlich vertretenen Personen in Administrativhaft sind grundsätzlich weder auf kantonaler noch auf Bundesebene bekannt. In jedem Fall ist der Zugang zu einer Rechtsvertretung für die Betroffenen stark erschwert und die Kontaktmöglichkeiten zwischen Mandant*in und Vertreter*in unverhältnismässig eingeschränkt.

Der Zugang zu einer rechtlichen Vertretung darf – sei dies durch rechtliche Hindernisse oder durch strukturelle Repression – keiner Person im Freiheitsentzug verwehrt werden. Der Zugriff auf die notwendigen Kommunikationsmittel (Telefonen, Internet etc.) muss schliesslich zu jedem Zeitpunkt sichergestellt sein, damit sich die Betroffenen informieren und Kontakt zu ihren Rechtsvertreter*innen aufzunehmen können.

Ein Mangel an Verhältnismässigkeit

Der Sinn und Zweck der Administrativhaft liegt einzig in der Sicherstellung des Wegweisungsvollzuges. Kann dieses Ziel aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht erfüllt werden, darf die Haft weder angeordnet noch verlängert werden. Das Verhältnismässigkeitsprinzip ist damit im Hinblick auf Anordnung, die Haftbedingungen und die Dauer der Administrativhaft geboten.

Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) schützt in Artikel 5 das Recht jeder Person auf Freiheit und Sicherheit und enthält eine abschliessende Liste zulässiger Haftgründe. Die Bestimmung definiert auch explizit die rechtmässige Festnahme oder den rechtmässigen Freiheitsentzug bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gang ist (Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK). Grundsätzlich ist damit die ausländerrechtliche Administrativhaft zulässig. Gemäss dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist das jedoch nur dann der Fall, wenn die Behörden tatsächlich und mit genügender Sorgfalt auf die Ausschaffung hinwirken (EGMR, Nr. 52722/15 vom 14. Februar 2017, § 111).

Die Realität sieht jedoch häufig anders aus. Auch Personen, deren Ausschaffung nicht absehbar ist, werden über längere Zeit hinweg inhaftiert und damit ihrer Freiheit beraubt. In fünf von zehn Haftfällen in der Schweiz dauert die Administrativhaft weniger als zehn Tage. In der anderen Hälfte der Fälle ist eine Haftdauer zwischen neun und 18 Monaten zu erwarten. Dauert die Haft über 30 Tage an, sinkt die Wahrscheinlichkeit des Wegweisungsvollzugs aber deutlich. Damit wird dem Verhältnismässigkeitsgebot nicht oder nur ungenügend Rechnung getragen: Haftaufenthalte sind nicht rechtmässig, wenn sie ihren Sinn und Zweck – die Sicherstellung des Wegweisungsvollzuges – in der Praxis nicht zu erfüllen vermögen.

Im Hinblick auf die Verhältnismässigkeit ist gemäss der Bundesverfassung (Art. 36 Abs. 3 BV) und des Ausländer- und Integrationsgesetzes (Art. 76a Abs. 1 lit. b AIG, Art. 78 Abs. 1 AIG) nicht nur die lange Haftdauer essentiell. Eine Administrativhaft soll darüber hinaus nur dann angeordnet werden können, wenn keine milderen oder weniger einschneidenden Massnahmen zur Verfügung stehen. Wenn eine mildere Massnahme ebenso zielführend ist, muss diese zur Anwendung kommen. Im Widerspruch zum Gesetz werden in der Praxis jedoch abgewiesene oder von einem Nichteintretensentscheid betroffene Asylsuchende oft inhaftiert, ohne dass weniger einschneidende Massnahmen überhaupt geprüft werden - obwohl solche Alternativen in vielen Fällen durchaus umsetzbar und zielführend wären. Diese Praxis widerspricht dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit und muss dringend angepasst werden.

Alternativen zur Administrativhaft

In der Schweiz gibt es gemäss Ausländer- und Integrationsgesetz verschiedene Alternativen zur Administrativhaft. Darunter fallen das regelmässige Melden bei Behörden, die Leistung einer angemessenen finanziellen Sicherheit, die Hinterlegung der Reisedokumente sowie die Ein- und Ausgrenzungsmechanismen (Art. 64e AIG und Art. 74 AIG). Der Bundesrat schreibt in einer Stellungnahme vom August 2019, das Bundesamt für Migration «verfolge auf europäischer Ebene die Diskussionen bezüglich weiterer Alternativen». Es habe sich jedoch gezeigt, dass diese auch in der schweizerischen Gesetzgebung bereits vorgesehen und teils kantonal angewendet würden. Deshalb beantragte er schliesslich auch die Ablehnung einer Motion im Nationalrat, die eine genauere Überprüfung von Haftalternativen bei Minderjährigen forderte. Dass der Diskussion um Alternativen zum Freiheitsentzug im Migrationsbereich in der Schweiz wenig Beachtung geschenkt wird, zeigt auch der Umgang mit einem Postulat aus dem Jahr 2014, welches eine Evaluation der Alternativen zur Administrativhaft forderte. Es wurde 2016 wegen Nichtbehandlung im Rat abgeschrieben.

Alternativen zum administrativen Freiheitsentzug werden nicht nur von nationalen Politiker*innen gefordert, sondern auch von Seiten internationaler Menschenrechtsorganisationen. So fordert das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR in seinen Detention Guidelines, dass Administrativgefängnisse einem speziellen Monitoring unterliegen müssten, welches etwa die Gewährleistung der Besuchsrechte, des Datenschutzes und der Privatsphäre sicherstellt. Diese Überwachung der Haftbedingungen sollte durch zivilgesellschaftliche Organisationen, NGOs sowie internationale und regionale Institutionen erfolgen und dabei mögliche Alternativen dokumentiert werden. Das UNHCR empfiehlt dabei etwa die Hinterlegung von Reisedokumenten, wie es die Schweizer Gesetzgebung bereits vorsieht, eine genau dokumentierte Unterbringung der Person oder sogenannte Aufsichtsregelungen durch die Gemeinschaft. Dabei werden die betroffenen Personen durch Sozialarbeiter*innen betreut und in im Zusammenhang mit ihrer Wohnsituation, der Schule oder etwa den Sozialversicherungsabgaben unterstützt. Diese Alternativen sollten nicht nur gesetzlich vorgesehen, sondern auch tatsächlich im Sinne des Verhältnismässigkeitsprinzipes angewendet werden.

Neben der Einführung von weiteren Haftalternativen auf Bundesebene ist sowohl eine Vereinheitlichung der kantonalen Praxen als auch die Umsetzung internationaler Standards und Empfehlungen dringend gefordert.

Blick über die Landesgrenzen

Ein Blick über die Schweizer Grenzen zeigt, dass die Alternativen, welche das UNHCR vorschlägt, im Ausland durchaus mit Erfolg zum Einsatz kommen. So sind laut einem Bericht der International Detention Coalition (IDC) in Belgien Familien, welche das Land verlassen müssen, in offenen Unterkünften untergebracht. Zudem wird ihnen ein «Coach» zugeteilt, mit welchem sie die Möglichkeiten des legalen Verbleibs in Belgien besprechen oder die gemeinsame Rückreise vorbereiten können. In Schweden werden Asylsuchenden zwei Fallbearbeiter*innen zugeteilt. Eine*r davon ist im Falle des negativen Ausgangs des Asylverfahrens auch dafür zuständig, mit dem oder der Betroffenen das weitere Vorgehen und die Rückkehr zu besprechen. Als Alternative zur Haft können Personen zudem erhöhter Aufsicht unterzogen und verpflichtet werden, sich regelmässig bei Polizei oder Migrationsbehörden zu melden. Auch in Zypern, Bulgarien und Polen wurden Pilotprojekte eingeführt, die zum Ziel haben, individuell mit Betroffenen zusammenzuarbeiten und nach Lösungen zu suchen, um die Administrativhaft zu vermeiden.

Auch freiheitsbeschränkende Massnahmen, welche weniger einschneidend sind als eine eigentliche Haft, kommen in anderen Ländern zum Zug: Frankreich und Österreich kennen etwa die Pflicht, an einer bestimmten Adresse zu residieren. In Ländern wie Österreich und Deutschland können ausserdem finanzielle Garantien hinterlegt werden, um den Vollzug der Wegweisung sicherzustellen. Diese Alternative existiert theoretisch auch in der Schweiz, ist in den allermeisten Fällen jedoch nicht anwendbar, da die notwendigen Vermögenswerte von den Betroffenen oft nicht aufgebracht werden können.

Die Schweiz darf sich dem europäischen Diskurs zur Administrativhaft nicht weiter entziehen. Sie soll sich ihrer humanitären Tradition entsprechend aktiv in die Debatte einbringen und die Best Practices ihrer Nachbarländer auf eine nationale Umsetzbarkeit prüfen.

Die Administrativhaft als ultima ratio

Der Freiheitsentzug ist der stärkste staatliche Grundrechtseingriff überhaupt und darf aus menschenrechtlicher Sicht nur als ultima ratio angewendet werden. Anstatt Haftalternativen systematisch einzusetzen, verfolgt die Schweiz aber im Bereich der Administrativhaft eine uneinheitliche und willkürliche Inhaftierungspraxis, welche das rechtsstaatliche Verhältnismässigkeitsprinzip zu grossen Teilen ignoriert – obwohl es sich bei den Betroffenen oftmals um besonders vulnerable, psychisch kranke und traumatisierte Personen handelt.

Diese Missstände ergeben sich sowohl aus den äusserst restriktiven Haftbedingungen wie auch der Tatsache, dass Haftalternativen kaum je zur Anwendung kommen. Die Umsetzung weniger einschneidender Massnahmen in anderen Ländern und die Empfehlungen von Seiten internationaler Organisationen legen offen, dass mildere Mittel zur Administrativhaft nicht nur existieren, sondern bereits mit Erfolg umgesetzt werden. Besorgniserregend sind zudem insbesondere die ausgeprägten kantonalen Unterschiede in der Praxis der Haftanordnung. Eine Vereinheitlichung, respektive eine genaue Überprüfung ihrer Rechts- und Verhältnismässigkeit, ist dringend notwendig. Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist die Debatte zu einem schweizweiten Verbot der Inhaftierung von Minderjährigen, welches im September 2020 von Nationalrat befürwortet wurde und nun in den Ständerat kommt.

Wenn die Schweiz die dringend notwendigen Reformen hin zu einer verhältnismässigen und menschenwürdigen Administrativhaftpolitik nicht endlich an die Hand nimmt, untergräbt sie ihr eigenes rechtsstaatliches Fundament nachhaltig. Es darf nicht sein, dass Menschen alleine aufgrund eines fehlenden Aufenthaltstitels monate- und jahrelang weggesperrt werden, insbesondere ohne Zugang zu rechtlicher Vertretung und Anspruch auf genaue Überprüfung milderer Massnahmen.

Wenn Sie Hilfe und Unterstützung in Ihrem Asylverfahren benötigen oder von einer Administrativhaft-Anordnung betroffen sind, wenden Sie sich an AsyLex (E-Mail).