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Verwahrungsvollzug entspricht nur teilweise den Menschenrechten

12.06.2023

Im Zeitraum von 2019 bis 2021 untersuchte die Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF)  die Situation von Personen, die sich in der Schweiz in Verwahrung befinden. In ihrem Bericht zieht die Kommission einerseits positive Bilanz in Bezug auf einen menschlichen und verständnisvollen Umgang des Personals mit den Verwahrten; andererseits stellt sie aber auch fest, dass der Verwahrungsvollzug nur teilweise den Standards der Menschenrechte entspricht; dies unter anderem weil die meisten verwahrten Personen im Normalvollzug von geschlossenen Abteilungen untergebracht sind.

 

Die NKVF orientierte sich bei ihrer Untersuchung an den nationalen und internationalen Vorgaben zum Verwahrungsvollzug. Grundlage der Überprüfung bildeten eine vertiefte Aktenanalyse sowie Gespräche mit betroffenen Personen. Die Kommission nahm Einsicht in die Akten von insgesamt 75 Personen, die sich im Vollzug einer Verwahrung befinden. Zudem besuchte sie sechs Einrichtungen des Justizvollzugs, eine Massnahmenvollzugsanstalt und eine soziale Institution in den Kantonen Aargau, Bern, Genf, Solothurn, Waadt, Zug und Zürich. Dabei führte sie Gespräche mit 41 Personen im Verwahrungsvollzug. 

Die Verwahrung nach Art. 64 StGB ist ein sichernder, nicht-punitiver und damit rein präventiver Freiheitsentzug. Aufgrund ihres nicht-punitiven Charakters ist die Verwahrung zwingend von der Strafe zu unterscheiden, die verwahrte Personen zum Zeitpunkt des Antritts der Verwahrung bereits verbüsst haben. Deshalb muss sich der Vollzug einer Verwahrung in seiner materiellen Ausgestaltung deutlich vom Strafvollzug abheben und einzig auf Sicherung der betroffenen Person ausgerichtet sein. Und genau hier kritisiert die Kommission, dass der Verwahrungsvollzug in der Schweiz nur teilweise den menschenrechtlichen Standards entspreche. Diese Situation aber sei in erster Linie systembedingt: «Die meisten betroffenen Personen sind im Normalvollzug von geschlossenen Justizvollzugsanstalten untergebracht. In diesen Einrichtungen ist es nicht möglich, ein sich vom Strafvollzug unterscheidendes, lockeres und damit dem reinen Sicherungsgedanken der Verwahrung gerecht werdendes Haftregime zu gewährleisten», schreibt die NKVF in ihrem Bericht. So empfiehlt die Kommission, dringend Spezial-Abteilungen für die Verwahrten einzurichten. 

Denn: Die Rechte einer Person im Verwahrungsvollzug dürfen nur insoweit eingeschränkt werden, als dies für den Schutz der Öffentlichkeit, also zur Verhinderung von weiteren Straftaten und zur Aufrechterhaltung der Anstaltsordnung, erforderlich ist. Um zu beurteilen, ob ein Eingriff in die Freiheitsrechte der betroffenen Person gerechtfertigt ist, muss also neben der Dauer insbesondere die Ausgestaltung des Vollzugs betrachtet werden. 

Pilotprojekt «Verwahrungsvollzug in Kleingruppe»

Besonders hervorzuheben ist an dieser Stelle das Pilotprojekt «Verwahrungsvollzug in Kleingruppe», das in der JVA Solothurn seit 2019 installiert ist: Eine Gruppe von sechs Verwahrten ist dabei im alten Direktorenhaus örtlich getrennt von den anderen Abteilungen untergebracht. Diese Trennung erlaubt einen Verwahrungsvollzug mit einer eigenen Hausordnung und entsprechend mehr Freiheiten als auf den anderen Abteilungen der JVA Solothurn. So dürfen die Verwahrten ihre Zellen selbst möblieren, haben ihren eigenen Computer und sind nur in der Nacht in ihren Zellen eingeschlossen. Tagsüber bewegen sie sich frei in gegen aussen abgeschlossenen Gemeinschaftsräumen. Sie kochen und waschen selber und pflegen einen Gemüse- und Kräutergarten. Zum Arbeiten sowie für Weiterbildungsangebote und weitere Freizeitbeschäftigungen können sie die Normalvollzugsabteilungen besuchen. Der Übertritt in die Kleingruppe ist freiwillig, die verwahrten Personen müssen aber Kriterien wie zum Beispiel die Fähigkeit zur Eigenverantwortung erfüllen. 

Handlungsbedarf bei den kantonalen Unterschieden und den psychiatrischen Gutachten

Die Kommission kommt ferner zum Schluss, dass es bei den Modalitäten des Verwahrungsvollzugs je nach Einweisungsbehörde resp. Kanton grundlegende und weitreichende Unterschiede gibt, wie beispielsweise bei der Gewährung von Vollzugsöffnungen und der Ausgestaltung von Vollzugsplänen. Aus grundrechtlicher Sicht sollten solche Unterschiede vermieden werden. Die Kommission fordert daher die Strafvollzugskonkordate auf, diesbezüglich eine Vereinheitlichung voranzutreiben. 

Handlungsbedarf sieht die Kommission auch bei der Erstellung von psychiatrischen Gutachten und der Erarbeitung von Vollzugsplänen. Sie hält fest: Es müsse mindestens alle fünf Jahre ein neues psychiatrisches Gutachten – gegebenenfalls mit einer neuen Gutachterin – erstellt und dabei alle Akteure wie das Fachpersonal Justizvollzug, Arbeitsagog:innen oder Therapeut:innen  einbezogen werden. «Mithilfe der psychiatrischen Begutachtung einer verwahrten Person kann, zusammen mit einer allfälligen Legalprognose, beurteilt werden, ob eine bedingte Entlassung oder eine Umwandlung in eine stationäre therapeutische Massnahme möglich ist». Die Erfahrung zeige, dass in der Regel die psychiatrische Begutachtung bei psychisch kranken Personen eine entscheidende Rolle spiele. «Dementsprechend wurde in Gesprächen mit verwahrten Personen häufig geäussert, dass sich die zuständigen Behörden bei den jeweiligen Überprüfungen in erster Linie auf die Gutachten stützten und dabei anderweitige Beurteilungen untergingen». Die NKFV empfiehlt zudem, die Vollzugspläne individueller, konkreter und in die Zukunft gerichtet auszugestalten und unter Mitwirkung der Verwahrten zu entwickeln. Insgesamt betont die Kommission die Notwendigkeit eines multidisziplinären Ansatzes sowohl bei den Gutachten also auch den Vollzugsplänen. 

Zu restriktive Handhabung der Vollzugsöffnungen

Schliesslich bemängelt die Kommission die restriktive Handhabung von Vollzugsöffnungen. Sie erinnert daran, Vollzugsöffnungen als Resozialisierungsmassnahme im Einzelfall zu prüfen und, sofern aus Sicherheitsaspekten vertretbar, von Gesetzes wegen zu gewähren. Auch seien vermehrt (begleitete und unbegleitete) Ausgänge und Urlaube zu prüfen. 

Weitere Aspekte sammelte die NKVF in den Gesprächen mit den Verwahrten, die es zu prüfen gelte: Die einen wünschten sich, sie könnten ein Haustier halten, andere wiederum hoffen auf mehr Bewegungsfreiheit beim Zugang des Internets zum Beispiel zur Pornografie.

Weiterführende Links:

Zürich, 23. März 2023 / Barbara Heuberger

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