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Klimawandel als Fluchtgrund

08.07.2024

2015 stellte ein Mann in Neuseeland ein Asylgesuch. Er argumentierte, er sei ein Flüchtling, da sein Heimatland Kiribati aufgrund des Klimawandels unbewohnbar geworden sei. Somit würde eine Abschiebung sein Recht auf Leben verletzen. Der UNO-Menschenrechtsauschuss nahm sich 2020 der Beschwerde des Mannes an. Der Ausschuss hat zwar festgestellt, dass die Abschiebung im konkreten Fall nicht gegen das Recht auf Leben verstossen habe, kam jedoch zum Schluss, dass eine solche Argumentation durchaus denkbar sei. Der Entscheid legte nicht nur einen wichtigen Grundstein für weitere solche Fälle, er beleuchtete auch ein Thema, das Staaten in Zukunft zunehmend beschäftigen wird.

Wetterereignisse werden extremer, Naturkatastrophen nehmen zu und der Meeresspeigel steigt. Das sind nur einige der Folgen des Klimawandels. Aufgrund dieser Ereignisse wird immer mehr Land unbewohnbar und Menschen, die auf diesem Land leben, werden vertrieben. Expert*innen schätzen, dass bis 2050 ca. 200 Millionen Menschen wegen des Klimawandels flüchten werden. Viele der von Klimawandelfolgen Vertriebenen verlassen ihre Landesgrenzen nicht und werden somit zu «intern Vertriebenen» auch «internally displaced persons (IDP)» genannt. Im Jahr 2022 verzeichnete das «Internal Displacement Monitoring Center (IDMC)» mit 32.6 Millionen durch Desaster intern Vertriebene eine so hohe Zahl wie noch nie zuvor. Doch es gibt Menschen, die gezwungen sind, einen langen Weg über Landesgrenzen hinweg zurückzulegen.

Rechtliche Lage

«Flüchtlinge» sind Personen, die wegen ihrer ethnischen Herkunft, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Und deshalb nicht in ihrem Heimatland leben können. Die Genfer Flüchtlingskonvention und das schweizerische Asylgesetz verlangen dabei eine individuelle Verfolgung der Flüchtenden, um sie offiziell als Flüchtlinge anzuerkennen. Menschen, die vom Klimawandel vertrieben werden, werden nicht gezielt verfolgt. Denn sie sind Teil einer Masse, die zum Beispiel aufgrund einer Naturkatastrophe nicht mehr in ihrer Heimat leben können. Somit fehlt es an einer individuellen Verfolgung und die Vertriebenen können nicht als «Flüchtlinge» nach Genfer Flüchtlingskonvention geschützt werden.

Die aktuelle Lage betreffend Klimaflüchtlingen kann man an folgenden Beispielen veranschaulichen:

  1. Aufgrund von Wasserknappheit und Dürren kommt es in einem Land verstärkt zu bewaffneten Konflikten. Eine Person wird im Rahmen eines solchen Konfliktes verfolgt und muss flüchten.
    In diesem Fall kann die flüchtende Person als Flüchtling gemäss Genfer Flüchtlingskonvention gelten.
  2. Ein Erdrutsch zerstört ein Dorf. Die Einwohnenden müssen fliehen. Es besteht in diesem Fall keine Verfolgung. Deshalb kann die Person keinen Flüchtlingsstatus geltend machen. Verweigert die Regierung des Herkunftslandes jedoch aufgrund eines in der Flüchtlingskonvention genannten Merkmale gezielt Hilfe, kann die Flüchtlingskonvention dennoch zu Anwendung kommen.
  3. Ein Inselstaat verschwindet aufgrund des steigenden Meeresspiegels im Meer, sodass die Insel nicht mehr existiert. Die Bewohnenden der ehemaligen Insel flüchten in ein anderes Land. Auch hier existiert keine Verfolgungssituation. Somit sind sie keine anerkannten Flüchtlinge.

Gemäss dem Non-Refoulement-Prinzip dürfen Menschen nicht in Länder zurückgeführt werden, in welchen ihnen Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder Gefahr für Leib und Leben drohen. Solange eine Naturkatastrophe, ein durch den Klimawandel befeuerter Konflikt oder sonstige Unbewohnbarkeit des Landes herrschen, kann das Gebot gemäss UN-Menschenrechtskomitee zur Anwendung kommen. Menschen, die aus klimawandelbedingten Gründen flüchten mussten, können somit dennoch gewissen internationalen Schutz erfahren. Dennoch ist dies nur der Fall, wenn die Rückkehr in ein anderes Gebiet des Staates nicht möglich ist.

Diese Situation ist unbefriedigend. Menschen, die geflüchtet sind, werden nicht als Flüchtlinge anerkannt, können aber auch nicht in ihr Land zurückkehren, weil dieses nicht bewohnbar ist.

Lösungsansätze

Im Jahr 2012 initiierte die Schweiz zusammen mit Norwegen die Nansen Initiative. Diese wollte untersuchen, wie Menschen, die wegen Naturkatastrophen von ihrem Zuhause vertrieben wurden, besser geschützt werden können. Das Projekt endete 2015 mit einer Schutzagenda. Zusätzlich entstand aus dem Projekt die Plattform für katastrophenbedingte Vertreibung (Platform on Disaster Displacement). Die Plattform arbeitet weiter daran, Lösungen für das Problem der durch Klimawandel Vertriebenen zu finden. Konkrete Bemühungen, die rechtliche Situation von Klimaflüchtlingen einheitlich und international zu regeln, gibt es aber nur wenige. Der Fokus liegt derzeit primär auf der tatsächlichen Arbeit zur Abschwächung der Katastrophen und ihrer Folgen.

Ein pazifischer Inselstaat sichert bereits heute seine Bürger*innen vor den Folgen des Klimawandels rechtlich ab. Tuvalu ist das wohl prominenteste Beispiel für Staaten, die vom Meer verschluckt werden. Innert Jahrzehnten könnte der Inselstaat komplett untergegangen sein. Um die Bevölkerung von Tuvalu zu schützen und vorzusorgen hat die Regierung Tuvalus deshalb mit Australien einen Vertrag ausgehandelt. Australien will jährlich 280 tuvaluischen Staatsbürger*innen aufnehmen.

In Deutschland hat ein Sachverständigenrat vorgeschlagen, einen Klima-Pass, eine Klima-Card und ein Klima-Arbeitsvisum einzuführen. Der Klima-Pass soll Menschen ausgestellt werden, aus Ländern, wo wegen der Folgen des Klimawandels das Territorium unbewohnbar wurde. Die Klima-Card würde Menschen aus Staaten, die vom Klimawandel in hohem Ausmass bedroht sind, ein Aufenthaltsrecht gewähren, bis im Heimatsstaat genügende Schutzmassnahmen errichtet wurden, die die Rückkehr in das Land erlauben. Das Klima-Visum soll hingegen nur Menschen offenstehen, die einen Arbeitsvertrag in Deutschland finden und aus einem, vom Klimawandel mässig betroffenen Land kommen. Mit diesen Instrumenten soll Deutschland Verantwortung für seinen Teil des menschengemachten Klimawandels übernehmen.

In der Schweiz gab es bereits einige politische Vorstösse, die sich mit dem Thema Klimawandel als Fluchtgrund beschäftigten. Erfolgreich war keiner der Vorstösse. Eine Motion aus dem Jahr 2022, forderte eine Ausweitung der Genfer Flüchtlings Konvention auf «Personen, die wegen Naturkatastrophen geflüchtet sind, die im Zusammenhang mit dem Klimawandel stehen». Sie wurde 2023 abgelehnt. Eine frühere Motion aus dem Jahr 2021 forderte hingegen, dass sich die Schweiz sich gegenüber der UNO gegen eine solche Ausweitung ausspricht. Auch diese Motion wurde abgelehnt.

Verantwortung der Schweiz

Ein Grossteil der Geflüchteten und von Konflikten Vertriebenen weltweit lebt in Ländern wie Syrien, Venezuela und Myanmar, die vom Klimawandel besonders stark betroffen sind. Zudem suchen Menschen, die aufgrund des Klimawandels oder Naturkatastrophen fliehen müssen, meist im eigenen Land Schutz.Somit scheint die Schweiz nicht eines der Zielländer für Menschen, die wegen dem Klimawandel fliehen müssen. Das heisst, es stellt sich die Frage, wie viele dieser Flüchtenden überhaupt in der Schweiz  Schutz suchen würden. Die Schweiz ist jedoch Mitverursacherin des Klimawandels und dessen Folgen auf der ganzen Welt.  Daher muss sie trotz ihrer zu erwartenden geringen Betroffenheit durch Klimaflüchtlinge Verantwortung übernehmen und dazu beitragen, Lösungen auf globaler Ebene für das Problem der Migration aufgrund des Klimawandels zu finden.