16.10.2015
Menschen, die wegen Naturkatastrophen aus ihrer Heimat vertrieben werden, sollen international besser geschützt werden. Dieses Ziel verfolgt die Nansen-Initiative, welche die Schweiz 2012 gemeinsam mit Norwegen in Genf ins Leben gerufen hat. Das Ziel der Initiative ist es, die Bevölkerungsbewegungen aufgrund von Katastrophen und den Folgen des Klimawandels besser zu verstehen und Massnahmen zum besseren Schutz der Betroffenen zu identifizieren. Das Ergebnis dieses Prozesses ist eine 45 Seiten umfassende Schutzagenda. Sie wurde am 12. und 13. Oktober 2015 in Genf präsentiert und verabschiedet.
Eine juristische Lücke auffüllen
Die massiven Überschwemmungen auf den Philippinen nach dem Zyklon im November 2013 und andere vergleichbare Krisen, die durch extreme Umweltereignisse hervortreten, führen es immer wieder vor Augen: Zahlreiche Menschen sind nach einer Katastrophe gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Jedes Jahr müssen Millionen von Menschen flüchten wegen Überschwemmungen, schweren Stürmen, Erdbeben, Trockenheit oder andern Naturkatastrophen. Viele von ihnen finden im eigenen Staat Obdach und Unterstützung. Doch kommt es immer wieder vor, dass Betroffene ins Ausland fliehen müssen. Rechtlich gesehen sind diese Menschen allerdings keine Flüchtlinge, weil ihnen in der Heimat nicht politische Verfolgung droht.
Die Schweiz und Norwegen als Begründer der Nansen Initiative erwarten, dass wegen der Klimaveränderung solche Migrationsbewegungen in Zukunft zunehmen werden. Bestehende Instrumente und Versuche, die Problematik auf nationaler oder internationaler Ebene anzugehen, seien ungenügend, weshalb der Schutz der Betroffenen bisher mangelhaft sei, schreiben die Initianten auf ihrer Website.
Die Nansen-Initiative hievte die Thematik 2012 auf eine multilaterale Ebene und ermuntert die Staatengemeinschaft, die Herausforderungen, welche mit dieser Form der Migration verbunden sind, anzugehen. Sie fordert zum heutigen Zeitpunkt keine neue rechtsverbindliche Konvention. Konkret will die Nansen Initiative aber erreichen, dass Schutzprogramme für Menschen errichtet werden, die wegen einer Naturkatastrophe gezwungen sind, ihren Heimatstaat zu verlassen. Dabei soll es keine Rolle spielen, ob die Naturkatastrophe auf Klimaveränderungen zurückzuführen ist oder nicht.
Internationale Konferenz verabschiedet eine Schutzagenda
Mit der Lancierung 2012 startete eine breitangelegte Konsultation bei Regierungen und Zivilgesellschaften in denjenigen Staaten, die von Naturkatastrophen bisher am häufigsten betroffen waren. Dieser Prozess kam anlässlich einer internationalen Konferenz, die am 12./13. Oktober 2015 in Genf stattfand, zum Abschluss.
«Die Konsultationen in den meist betroffenen Regionen haben bestätigt, dass grenzüberschreitende Vertreibung infolge von Naturkatastrophen ein reales Problem darstellt», sagte Menschenrechtsexperte und Gesandter der Initiative Walter Kälin gemäss Medienmitteilung des Bundes. Gleichzeitig hätten die Konsultationen eine bedeutende regionale Diversität aufgezeigt, was die Art der Naturgefahren und die möglichen Lösungsansätze anbelangt. Entsprechend gilt, dass es keine einheitliche Lösung gibt, sondern dass regionale Ansätze nötig seien.
Während der Konferenz mit Vertreterinnen und Vertretern von 110
Delegationen ist eine umfangreiche Schutzagenda («protection agenda»)
präsentiert und schliesslich verabschiedet worden. Die Agenda hält unter
anderem fest, dass zu einem umfassenden und kohärenten Lösungsansatz,
Massnahmen zur Verminderung der Gefährdung und Stärkung der
Widerstandsfähigkeit gegenüber Naturkatastrophen vor Ort,
Migrationsmöglichkeiten, geplante Umsiedlung aus gefährdeten Zonen sowie
der Schutz von intern Vertriebenen nötig sind.
Nur mit einem
solchen breit angesetzten Ansatz könne der Schutz der Betroffenen
verbessert werden, unterstrich Bundesrat Didier Burkhalter in seiner
Eröffnungsrede: «Die Agenda ist auch eine Einladung, von den Erfahrungen
anderer zu lernen, bestehende Massnahmen auszubauen sowie verstärkt
zusammen zu arbeiten – auch im Sinne der internationalen Solidarität.»
Welche internationale Politik für Umweltvertriebene?
Die Nansen Initiativen, übrigens benannt nach dem ersten Flüchtlingshochkommissar des Völkerbunds (der Norweger Fridtjof Nansen), ist vor folgendem Hintergrund zu sehen: In den vergangenen Jahren ist auf internationaler Ebene das Bewusstsein für die Problematik der Umweltvertriebenen gewachsen. 2010 verabschiedete die Staatengemeinschaft in Cancún erstmals ein Abkommen, das verbindliche internationale Massnahmen zum Klimaschutz festhält. Mit Absatz 14(f) des Abkommens haben die Staaten ihre Verantwortung im Zusammenhang mit Migration und Umsiedelungen aufgrund von Klimaveränderungen anerkannt und Kooperation zugesagt.
Das Abkommen sieht vor, dass auf Staatenebene Umsetzungspläne errichtet werden, damit die Regierungen auf die Herausforderungen im Zusammenhang mit massenhafter Migration, die auf Naturkatastrophen zurückzuführen sind, angemessen reagieren können. Zugleich verlangt es, dass auf regionaler und internationaler Ebene Wege gesucht werden, die grenzüberschreitenden Migrationsströme aufgrund von Klimaveränderungen anzugehen.
Dokumentation
- Schweiz fordert präventive Massnahmen für Vertriebene aufgrund von Naturkatastrophen und den Folgen des Klimawandels
Medienmitteilung des EDA, 12. Oktober 2015 - Schutzagenda (pdf, 45 S.) (englisch)
- The Nansen Initiative
Website in Englisch - Besserer Schutz für Menschen auf der Flucht vor Naturkatastrophen
Medienmitteilung des Eidg. Departements für Auswärtige Angelegenheiten, 2 Oktober 2012 - Klimawandel ist kein Asylgrund
NZZ vom 27.11.2013 - Flüchtlingspolitische Initiative - Schutz nach Katastrophen
NZZ, 2. Oktober 2012 - Initiative suisse et norvégienne pour les réfugiés de catastrophes naturelles
Arc Info, 2. Oktober 2012 (französisch) - Framework Convention on Climate Change
Offizieller Bericht der 16. Session der Staatenkonferenz in Cancun (Mexiko) vom 29. Nov. bis 10. Dec. 2010 in Englisch (pdf, 31 S.)