04.07.2024
Positionspapier der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz, erstellt von humanrights.ch in Zusammenarbeit mit Fachpersonen aus Wissenschaft & Journalismus
Klimapolitik ist Menschenrechtspolitik
Spätestens seit dem Urteil zugunsten der KlimaSeniorinnen hat der Zusammenhang zwischen Klimapolitik im engeren Sinne (CO2-Reduktion) und Menschenrechtspolitik eine Rechtsgrundlage. Im Urteil vom 9. April 2024 stellte die Grosse Kammer des EGMR fest, dass die Schweiz gegen Art. 8 (Achtung des Privat- und Familienlebens) verstösst. Dieser Artikel umfasse das Recht auf einen wirksamen Schutz vor den schwerwiegenden Auswirkungen des Klimawandels auf Leben und Gesundheit. Der EGMR argumentiert, die Schweiz sei ihrer Verpflichtung, ausreichende Massnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels zu ergreifen, nicht nachgekommen.
Die Schweiz gehört zu den Unterzeichnerstaaten des Pariser Klimaabkommens, welches eine Begrenzung der Erwärmung auf 1.5°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau vorsieht. Damit obliegt es der Schweiz, ihre CO2-Emissionen bis 2030 gegenüber 1990 um 50% zu senken. Die Zwischenziele und Massnahmen zur Erreichung der Emissionsreduktion sind im CO2-Gesetz festgehalten. Eine Revision dessen wurde im Juni 2021 vom Schweizer Stimmvolk abgelehnt, was grosse Lücken in der Schweizer Klimapolitik entstehen liess. Ein erstes Zwischenziel – die Reduktion der Emissionen bis 2020 um 20% gegenüber 1990 – wurde beispielsweise in praktisch allen festgelegten Kategorien verfehlt. Die Reduktionsziele des CO2-Gesetzes wurden provisorisch bis ins Jahr 2024 verlängert. Was danach folgt, ist noch offen. An Handlungsansätzen zur Erreichung der Klimaziele – sprich Klimaschutzmassnahmen – im Rahmen der Klimapolitik im engeren Sinne fehlt es nicht. So hat beispielsweise die im Juni 2020 gegründete Klimaallianz – ein Bündnis aus über 140 Organisationen der Zivilgesellschaft – einen umfassenden Masterplan mit zentralen Massnahmen im In- und Ausland formuliert. Es harzt vielmehr bei der Umsetzung der Massnahmen.
Weniger im Fokus stand bisher die Klimapolitik im weiteren Sinne – sprich die Massnahmen zur Klimaanpassung (Adaptationsmassnahmen). Diese knüpfen am Umgang mit den Auswirkungen des Klimawandels auf den Menschen an. Diese Auswirkungen verletzten Menschenrechte in erheblichem Ausmass. Folgende in internationalen Abkommen festgeschriebenen Menschenrechte werden von den Folgen des Klimawandels besonders tangiert (vgl. auch ausführlichere Übersicht in der Tabelle im Anhang):
- Recht auf Leben (EMRK, Art. 2; UNO-Pakt II, Art. 6; KRK, Art. 6)– Recht auf Gesundheit (UNO-Pakt I, Art. 12; KRK, Art. 24)
- Recht auf Existenzsicherung (UNO-Pakt I, Art. 1; KRK, Art. 24 und Art. 26)
- Recht auf angemessenen Lebensstandard, einschliesslich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen (UNO-Pakt I, Art. 11; KRK Art. 3 und Art. 27)
- Recht auf Privat- und Familienleben (EMRK, Art. 8; KRK Art. 9 und Art. 16)
- Recht auf Wasser (CEDAW, Art. 14; KRK, Art. 24)– Recht auf Selbstbestimmung (UNO-Pakt I und II, Art. 1)
- Recht auf Kultur (UNO-Pakt II, Art. 27; KRK Art. 30)
- Recht auf Bildung (UNO-Pakt I, Art. 13; KRK Art. 28)
- Recht auf Eigentum (AEMR, Art. 17)
Die durch die Folgen des Klimawandels tangierten Menschenrechte sind umfassend, insbesondere wenn auch die indirekt tangierten Rechte berücksichtigt werden. Beispiele dafür sind verletzte Verfahrensrechte, wenn bei Klimaklagen wie im Fall der Klimaseniorinnen die Beschwerde von Schweizer Gerichten gar nicht inhaltlich behandelt wird oder das Recht auf Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit von Personen, die an Klimaprotesten auf ihr Anliegen aufmerksam machen wollen.
Auch die Menschenrechte künftiger Generationen sind stark vom Klimawandel betroffen. Deshalb fordern die am 3. Februar 2023 verabschiedeten und auf bestehendes Recht abstützenden Maastrichter Prinzipien zu den Menschenrechten künftiger Generationen unter anderem, dass die Staaten nicht selbst zum Klimawandel beitragen, dass sie Verluste und Schäden im Zusammenhang mit den negativen Auswirkungen des Klimawandels abwenden, minimieren und beheben, und dass sie die Last der Eindämmung und Behebung des Klimawandels nicht auf künftige Generationen abwälzen.
Adaptionsmassnahmen ohne Fokus auf vulnerable Gruppen
Zur Bewältigung der Herausforderungen bei der Anpassung an den Klimawandel verabschiedete der Bundesrat am 2. März 2012 die Klimastrategie, woraus in einem ersten Schritt der Aktionsplan 2014-2019 abgeleitet wurde, gefolgt vom Aktionsplan 2020-2025. Letzterer umfasst 75 Massnahmen (vgl. S. 29 und 30), wobei etliche Massnahmen des ersten Aktionsplans fortgesetzt werden. Es handelt sich dabei sowohl um Massnahmen in der Schweiz wie auch solche, die die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) betreffen. Unterstützt wird die Umsetzung der Massnahmen durch das Pilotprogramm zur Anpassung an den Klimawandel des Bundes, das zwischen 2013 und 2023 insgesamt 81 Projekte in den Sektoren Wasserwirtschaft, Umgang mit Naturgefahren, Bodenschutz, Landwirtschaft, Waldwirtschaft, Energie, Wohnungswesen, Tourismus, Biodiversitätsmanagement, Gesundheit (Mensch und Tier) und Raumentwicklung gefördert hat. Als Ziele für die Anpassung an den Klimawandel nennt der Bund an erster Stelle, dass es die Chancen zu nutzen gelte, die sich aufgrund des Klimawandels ergeben. Weiter sollen die Risiken des Klimawandels minimiert und die Bevölkerung, Sachwerte und natürliche Lebensgrundlagen geschützt werden. Schliesslich soll die Anpassungsfähigkeit von Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt gesteigert werden.
Entsprechend gestalten sich die Massnahmen: In der Schweiz sind sie auf die Erhaltung des Lebensstandards ausgerichtet. Der Mensch steht nur in wenigen Massnahmen direkt im Fokus, hauptsächlich im Sektor «Gesundheit». Konkret handelt es sich um Projekte zu Information und Empfehlungen im Umgang mit Hitzewellen sowie der Überwachung, Früherkennung und Prävention von übertragbaren Infektionskrankheiten. Der Fokus auf vulnerable Bevölkerungsgruppen fehlt. Dies obwohl vulnerable Bevölkerungsgruppen sowohl in Ländern des globalen Südens, in denen die Schweiz im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit EZA tätig ist, wie auch in der Schweiz erwiesenermassen überproportional von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind. Diese Tatsache wird u.a. in dem im Rahmen der Adaptationsmassnahmen durchgeführten Pilotprojekts «Hitze und Gesundheit» (2022) bestätigt. Dieses weist neben einem höheren Alter auch ein niedrigeres Bildungsniveau wie auch ein niedriger sozioökonomischer Status als Risikofaktoren für hitzebedingte Sterblichkeit nach. Konkret geht es um besondere Betroffenheit aufgrund:
- des Lebensalters: ältere Menschen, Kinder
- des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung: Frauen, LGBTQIA+
- der Gesundheit: Menschen mit Behinderungen
- der Lebensumstände: Menschen in Freiheitsentzug, Menschen in Asylunterkünften
- der gesellschaftlichen Position: Menschen mit Rassismuserfahrung und Migrationsbiographie, Indigene, kulturelle Minderheiten
- des sozioökonomischen Status: Menschen mit tiefem Bildungsniveau, Sozialhilfebeziehende, Menschen mit prekärem Aufenthaltsstatus wie Sans Papiers, abgewiesene Asylsuchende
Menschen, die aufgrund der beschriebenen Merkmale Diskriminierungen und Rassismus ausgesetzt sind, leben häufiger in sozio-ökonomisch schwierigeren Lebens-, Arbeits- sowie Abhängigkeitssituationen. Sie verrichten häufiger Arbeiten wie beispielsweise auf dem Bau, in der Gastronomie in Tourismusregionen oder im Gesundheitssektor, wo sie den Folgen des Klimawandels im besonderen Masse ausgesetzt sind. Sie leben häufiger in weniger privilegierten Wohnlagen wie beispielsweise in stärker zubetonierten Quartieren mit höherer Umweltbelastung und stärkerer Erhitzung und haben deswegen ein höheres Risiko, unter diversen psychosozialen und physischen Krankheiten zu leiden. Auch in der Schweiz sind bestimmte Bevölkerungsgruppen entsprechender Diskriminierung betroffen. Ein Beispiel sind die mehrheitlich migrantischen Einwohner*innen von Birr, die sich aufgrund ihres fehlenden demokratischen Mitspracherechts nicht gegen das geplante Gaskraftwerk wehren konnten. Oder Personen, die sich aufgrund fehlender Aufenthaltsbewilligung, tiefem Bildungsniveau und/oder mangelnden zeitlichen und finanziellen Ressourcen nicht für eine Sanierung ihres Wohnhauses oder Begrünung ihres Wohnquartiers – sprich sich nicht für effektive Schutzvorkehrungen vor Hitzewellen – einsetzen können. Schliesslich befinden sich gewisse Menschen in staatlicher oder privater Obhut – z.B. Gefangene, Personen in Asylunterkünften, Psychiatrien, Alters- oder Schulheimen etc. – in denen sie darauf angewiesen sind, dass andere sich für ihren Schutz vor den Konsequenzen des Klimawandels einsetzen. Diese Menschen können nur hoffen, dass sie als Zielgruppe nicht unter den Radar von Entscheidungsträger*innen fallen.
Bedrohung der Menschenrechte durch Kompensationsmassnahmen im Ausland
Seit dem Kyoto-Protokoll 1997 ist es zur Erreichung des gesetzten Zieles zur CO2-Reduktion möglich, sich einen Anteil der CO2-Reduktion mit sogenannten CO2-Kompensationsmassnahmen im Ausland anrechnen zu lassen. Bereits in den Verhandlungen zum Nachfolgevertrag – dem Pariser Abkommen – trieb die Schweiz die Möglichkeit des bilateralen Zertifikathandels massgeblich voran und ist nun auch das weltweit erste Land, das ein Kompensationsprogramm unter dem Pariser Abkommen durchführt. Das «Bangkok E-Bus-Programm» wurde von der Stiftung KliK in Auftrag gegeben und wird von South Pole in Partnerschaft mit dem thailändischen Unternehmen Energy Absolute, das zu einem Viertel der UBS Singapur gehört, entwickelt. Alliance Sud und Fastenaktion haben bei einer umfassenden Analyse Mängel bei der Zusätzlichkeit des Programms sowie bei der Qualität der bereitgestellten Informationen festgestellt. Sie kommen zum Schluss, dass der Kauf von Kompensationszertifikaten kein gleichwertiger Ersatz für inländische Emissionsreduktionen darstellt. Zum gleichen Schluss kommt eine Studie von Caritas zu einem Projekt in Peru, indem die Schweiz die Bevölkerung in den Anden mit energieeffizienteren Kochöfen ausstattete.
Grundsätzlich widerspricht der Ansatz des Zertifikathandels dem Prinzip der Klimagerechtigkeit, wonach die hauptverantwortlichen Länder ihre Emissionen so rasch wie möglich reduzieren müssen. Ausserdem besteht eine grosse Gefahr und erhebliche Beeinträchtigung für die Menschenrechte ländlicher Bevölkerungen und indigener Gemeinschaften im globalen Süden durch CO2-Kompensationsprojekte in Form von Aufforstungen oder Unterschutzstellung von Wäldern. Denn diese Projekte nehmen vielerorts landwirtschaftlich genutztes Land in Beschlag oder schliessen die nachhaltige, traditionelle Nutzung von Wäldern aus – oftmals ohne die Zustimmung der betroffenen Bevölkerung vorgängig und auf einwandfreie Weise einzuholen, wie die Untersuchung von HEKS zu einem Projekt in Sierra Leone zeigt.
Fehlender Zugang zum Recht
Zentrales Element des Menschenrechtsschutzes ist die verbindliche Verankerung von einklagbaren rechtlichen Standards. In Zusammenhang mit dem Klimawandel gibt es kein direkt einklagbares Menschenrecht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt. Das Recht auf eine gesunde Umwelt wurde zwar bereits 2021 in einer Resolution vom Menschenrechtsrat und 2022 in einer Resolution der UN-Generalversammlung anerkannt, wobei die Schweiz bei letzterer als ihr besonderes Engagement als Mitinitiantin betont. Jedoch wurde dieses Recht bis anhin nicht in einem verbindlichen menschenrechtlichen Abkommen festgehalten. Eine parlamentarische Initiative zur Schaffung der rechtlichen Grundlagen wurde im 2021 vom Nationalrat abgelehnt.
Der Katalog an Menschenrechten, die durch die Folgen des Klimawandels tangiert sind, ist umfassend, wie die Erläuterungen im ersten Abschnitt zeigen. Wie auch in der Tabelle im Anhang ersichtlich, sind zentrale betroffene Menschenrechte im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I) sowie im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II) geregelt. Beim UNO-Pakt II hat die Schweiz das Zusatzprotokoll, das Individualbeschwerden zulässt, zwar nicht ratifiziert. Die Justiziabilität wird aber grundsätzlich anerkannt, indem Schweizer Gerichte die bürgerlichen und politischen Rechte in mehreren Urteilen bereits als verletzt gerügt haben. Hingegen hat die Schweiz seit jeher ein gespaltenes Verhältnis zum UNO-Pakt I über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und dem für dessen Überwachung zuständigen UNO-Ausschuss. So stellt sich die offizielle Schweiz seit der Ratifizierung des Pakts im Juni 1992 auf den Standpunkt, dass wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte nicht eingeklagt werden könnten und hat infolgedessen auch das Zusatzprotokoll zum Pakt I, welches Individualbeschwerden ermöglichen würde, nicht ratifiziert.
Klimaprotest ist ein Menschenrecht
Eine friedliche Versammlung im Rahmen von Demonstrationen und des zivilen Ungehorsams ist international als Menschenrecht anerkannt und ist unabhängig von der nationalen Rechtsprechung zu schützen. Seit mehreren Jahren wehrt sich insbesondere die jüngere Generation gegen die Klimapolitik. Zu beobachten ist, dass die Polizei und Sicherheitsorgane Klimaprotesten mit zunehmend repressiveren Massnahmen begegnen. Die Verhängung von immer einschneidenderen Sanktionen als Reaktion auf politische Äusserungen kann eine abschreckende Wirkung auf die öffentliche Meinungsäusserung haben. Dadurch sind die Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit (Art. 10 und 11 EMRK und Art. 22 BV) gefährdet.
Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit Klimaprotesten werden von Klimaaktivist*innen aber auch bewusst in Kauf genommen, weil sie zusätzlich dazu beitragen können, die Aufmerksamkeit auf die Klimakrise zu lenken und somit für das Anliegen der Aktivist*innen zu sensibilisieren. Bei den aus den Klimaprotesten ergangenen Gerichtsverfahren handelt es sich zusätzlich um einen Kampf um wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, insbesondere wenn Aktivist*innen wegen eines Vergehens mit Bewährungsfrist verurteilt werden, gegen die sie mit einer erneuten Teilnahme an einer Demonstration verstossen würden. Denn die Aktivist*innen gelangen mit ihrer Botschaft nur an die Bevölkerung, wenn sie ihre Meinungen und Forderungen frei und ohne Einschränkungen äussern und sich versammeln können, um für ihre Anliegen einzutreten. Klimaaktivist*innen sind entsprechend in jedem Fall auch Menschenrechtsverteidiger*innen, deren Rechte es zu schützen gilt.
Forderungen an eine menschenrechtsorientierte Klimapolitik
Gleichberechtigter Zugang zu Adaptationsmassnahmen
Durch die Tatsache, dass bereits heute in der Schweiz benachteiligte Bevölkerungsgruppen oftmals überproportional von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind, wird die bestehende soziale Ungleichheit verstärkt. Das Diskriminierungsverbot (Art. 8 BV) ist somit unmittelbar betroffen. Es geht um einen gleichberechtigten Zugang zu Adaptationsmassnahmen, wenn nicht um einen zusätzlichen Effort zum Nachteilsausgleich.
Forderungen:
- Die Schweiz muss sicherstellen, dass die am meisten von den Folgen des Klimawandels Betroffenen im Fokus der Entwicklung von Adaptationsmassnahmen stehen. Es braucht eine umfassende Analyse der Betroffenheit, die Entwicklung und Umsetzung von spezifischen Massnahmen unter Einbezug der Betroffenen und die Bereitstellung der dafür notwendigen Ressourcen.
- Es braucht zusätzliche Investitionen in zielgruppenspezifische Sensibilisierungskampagnen, indem besonders vulnerable Bevölkerungsgruppen in den Katalog der Zielgruppen aufgenommen werden.
- Es braucht Investitionen in Sensibilisierung und Information von Fach- und Schlüsselpersonen, die den Zugang zu vulnerablen Gruppen haben (Soziale Arbeit, Gesundheit, Anwaltschaft, Beratungsstellen, soziale Netzwerke, etc.)
In Zusammenhang mit Migration muss die «Vertreibung aufgrund klimabedingter Faktoren» im Rahmen der Asylverfahren berücksichtigt werden:
Forderungen:
- Die Schweiz muss die Unzumutbarkeit der Rückkehr aufgrund klimabedingter Folgen systematisch überprüfen, um der erhöhten Vulnerabilität von klimavertriebenen Personen gerecht zu werden.
- Die Schweiz muss nachhaltige Lösungen für Klimavertriebene erarbeiten, z.B. über die Vergabe von humanitären Visen.
Die Investition in Adaptationsmassnahmen im Ausland laufen über das Budget der Internationalen Zusammenarbeit IZA, obwohl sich die Schweiz in Paris 2015 verpflichtet hat, neue und zusätzliche Mittel zur Erreichung der Klimaziele zur Verfügung zu stellen.
Forderung:
- Die Schweiz muss zusätzliche Mittel ausserhalb des IZA-Budgets zur Finanzierung von Adaptationsmassnahmen an den Klimawandel zur Verfügung stellen, die ausschliesslich den besonders benachteiligten Bevölkerungsgruppen zugute kommen.
Keine Menschenrechtsverletzungen durch Kompensationsprojekte
In der revidierten Fassung des CO2-Gesetzes vom Frühjahr 2024 wurde darauf verzichtet zu definieren, zu welchem Anteil die Treibhausgase mit Massnahmen im Inland abgebaut werden müssen. Dies ist problematisch, da es der Schweiz ermöglicht, einen wesentlichen Teil der Treibhausgas-Emissionen im Ausland zu kompensieren.
Forderung:
- Wie bereits von Alliance Sud im Februar 2024 gefordert, muss sich die Schweiz verbindlich dazu verpflichten, dass 75% der Emissionsreduktionen im Inland erfolgen. Alles andere ist eine Verdrängungsstrategie. Die Schweiz nimmt ihre Vorbildfunktion aktuell nicht wahr und setzt stattdessen auf Kompensationsprojekte mit zweifelhalten Reduktionsversprechen.
Im globalen Süden durchgeführte privatwirtschaftliche Projekte – auch mit Beteiligung von Schweizer Firmen – für die Generierung und den Verkauf von CO2-Zertifikaten werden zu einem boomenden Geschäft. Dieses hat nicht nur zu zahlreichen und massiven Menschenrechtsbeeinträchtigungen geführt, sondern es ist zu befürchten, dass diese Entwicklung noch massiv zunehmen wird. Wir erwarten, dass die Schweiz sich gemäss ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen für die Verhinderung solcher Menschenrechtsbeeinträchtigungen einsetzt.
Forderung:
- Die Schweiz soll, solange sie noch nicht über ein Konzernverantwortungsgesetz verfügt, die klare Forderung an entsprechende Unternehmen richten, landbeanspruchende Kompensationsprojekte erst auszuführen bzw. entsprechende Zertifikate auszustellen bzw. zu erwerben, nachdem die freie und informierte Zustimmung der betroffenen Bevölkerung in einem einwandfreien Verfahren eingeholt und diese sowie alle damit verbundenen Vereinbarungen öffentlich zugänglich dokumentiert wurden.
Besserer Zugang zum Recht
Menschenrechte sind Rechte und Rechte sind effektiv, wenn sie eingeklagt werden können. In Zusammenhang mit dem Klimawandel gibt es weder auf nationaler, noch internationaler Ebene ein direkt einklagbares Menschenrecht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt.
Forderung:
- Im Sinne der Kohärenz muss sich die Schweiz nicht nur auf internationaler, sondern auch auf nationaler Ebene für die Anerkennung und Verankerung des Rechts auf eine saubere, gesunde, nachhaltige Umwelt einsetzen.
Die Schweiz muss auf nationaler Ebene die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, damit die in den von ihr ratifizierten und rechtsverbindlichen Menschenrechtsabkommen enthaltenen Rechte, die in Zusammenhang mit den Folgen des Klimawandels stehen, auch tatsächlich wahrgenommen werden können. Besonders wichtig dabei ist der Zugang zur Justiz und das Recht auf ein faires Verfahren.
Forderung:
- Die Schweiz ist verpflichtet, die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strassburg – insbesondere das Urteil zu den KlimaSeniorinnen – zu respektieren und umzusetzen.
Wichtige Menschenrechte, die durch die Folgen des Klimawandels tangiert sind, sind in internationalen Abkommen geregelt, die die Schweiz zwar ratifiziert hat, aber die Justiziabilität der Rechte in Frage stellt und/oder keine Individualbeschwerden zulässt.
Forderungen:
- Die Schweiz muss die Justiziabilität der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte anerkennen.
- Die Schweiz muss die Zusatzprotokolle der UNO-Pakte I und II ratifizieren.
Unternehmen sind zentrale Akteure in Bezug auf den Klimawandel. Die Schweiz hat hier eine besondere Verantwortung, da viele u.a. sehr grosse Unternehmen wie Holcim oder Glencore, ihren Sitz in der Schweiz haben und deren Beteiligung am weltweiten CO2-Austoss und an der Umweltzerstörung vergleichsweise hoch ist. Die Schweiz hat eine verbindliche Regulierung für Unternehmen und die Klagemöglichkeiten für Betroffene bisher erfolgreich bekämpft.
Forderungen:
- Die Schweiz muss entsprechend den internationalen Entwicklungen eine Gesetzesgrundlage schaffen, die im Rahmen der Sorgfaltsprüfungspflicht für Unternehmen auch die effektive Kontrolle ihres CO2-Ausstosses sowie die die Minimierung weiteren klimaschädigenden Handlungen (wie Rodungen, Trockenlegung von Flüssen, etc.) beinhaltet.
- Die Schweiz muss entsprechend den internationalen Entwicklungen eine Gesetzesgrundlage schaffen, die effektive Klagemöglichkeiten (wie z.B. Einführung von Instrumenten zum kollektiven Rechtsschutz) für Betroffene von Menschenrechtsverletzungen beinhaltet.
Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen
In einem Ende März 2024 veröffentlichten Appell wandten sich fünf Sonderberichterstatter*innen der Vereinten Nationen im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Verfolgung von Demonstrant*innen an die Schweiz und brachten ihre Besorgnis zum Ausdruck, dass die Behörden ihre Pflicht zum Schutz von Menschenrechts- und Umweltschützer*innen bei friedlichen Versammlungen nicht erfüllen. Die Forderungen für einen effektiven Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen, die sich für einen wirksamen Klimaschutz einsetzen, müssen jedoch über jene nach Verhältnismässigkeit bei Reaktionen auf Klimaproteste hinausgehen:
Forderungen:
- Die Schweiz muss das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit bei friedlichen Protesten gewährleisten, indem die Hürden für die Durchführung von Demonstrationen auf ein verhältnismässiges Niveau abgebaut werden.
- Die Schweiz muss kantonale Polizeigesetze, die Polizeilichen Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) und das Nachrichtendienstgesetz auf ihre Grundrechtskonformität prüfen.
- Die Schweiz muss effektive und unabhängige Beschwerdemechanismen einführen, damit sich Betroffene gegen Handlungen der Polizei wie auch des Justizapparates wehren können.
- Die Schweiz muss sich auch für die Rechte von Menschenrechtsverteidiger*innen im und aus dem Ausland einsetzen und diesen Schutz gewähren, wenn sie aufgrund ihres Engagements gegen die Auswirkungen des Klimawandels bedroht werden und gefährdet sind.
- Die Schweiz muss entsprechend den internationalen Entwicklungen eine Gesetzesgrundlage schaffen, welche die Zivilgesellschaft vor sogenannten SLAPP (Strategic Lawsuits against Public Participation) in Zusammenhang mit Klimaklagen gegen finanzkräftige Akteure wie Konzerne schützen.
kontakt
Tarek Naguib
Koordinator der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz
tarek.naguib@humanrights.ch
031 301 06 73
Bürozeiten: Mo-Mi