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Die Revision des DNA-Profil-Gesetzes lässt systematische Diskriminierungen erwarten

13.09.2021

Zukünftig soll es der Polizei in der Schweiz erlaubt sein, an Tatorten aufgefundene DNA auf äussere Merkmale sowie auf die sogenannte biogeografische Herkunft hin zu untersuchen. Hierfür muss allerdings das seit 2003 bestehende DNA-Profil-Gesetz revidiert werden. Während Fürsprecher*innen in der Gesetzesänderung eine zeitgemässe Erweiterung technischer Analysemittel sehen, warnen kritische Stimmen vor rassistischen Diskriminierungen und Stereotypisierungen.

 

Gastbeitrag von Isabelle Bartram, Tino Plümecke und Susanne Schultz

Die DNA-Untersuchungsmethoden in der Strafverfolgung wurden in den letzten Jahrzehnten massiv ausgebaut. Bisher waren diese Methoden in der Schweiz auf die DNA-Identifizierung einer Person sowie auf die Ermittlung ihres chromosomalen Geschlechts durch den Abgleich mit aufgefundener DNA beschränkt. Mit der Änderung des DNA-Profil-Gesetzes sollen den Strafverfolgungsbehörden nun zweierlei weitere DNA-Analysen erlaubt werden: die Analyse der äusseren Merkmale einer unbekannten Person – wie Pigmentierung von Haut, Augen und Haaren («DNA-Phänotypisierung») – und die Bestimmung der wahrscheinlichen kontinentalen, regionalen und ethnischen Herkunft einer gesuchten Person («biogeografische Herkunft»). In der Gesetzesrevision werden beide Methoden unter dem Begriff «Phänotypisierung» zusammengefasst. Dies ist allerdings irreführend, da die biogeografische Herkunft kein phänotypisches, also körperlich sichtbares, Merkmal ist. Daher verwenden wir zur Beschreibung beider Verfahren den Begriff «erweiterte DNA-Analyse» (EDNA).

Technologien der erweiterten DNA-Analyse werden bereits in Ländern wie Kanada, Grossbritannien, den Niederlanden und einigen US-Bundesstaaten eingesetzt. In vielen anderen – insbesondere europäischen – Ländern ist der Einsatz solcher Ermittlungswerkzeuge aufgrund von Persönlichkeits- und Datenschutzbestimmungen entweder stark eingeschränkt oder ausdrücklich verboten. Das ist bislang auch in der Schweiz der Fall.

In der entsprechenden Gesetzesdebatte zu Beginn der 2000er Jahre bestand im Parlament ein weitreichender Konsens, dass DNA-Analysen aufgrund des Persönlichkeitsschutzes stark zu reglementieren sind. Auf die Analyse «hochsensibler personenbezogener Daten» oder der «ethnischen Herkunft» müsse etwa verzichtet werden, da dies zu einer «öffentlichen Stigmatisierung ganzer Gruppen» führen könne. Genau diese vor nicht einmal zwei Jahrzehnten getroffene Grundsatzentscheidung soll nun gekippt werden.

Leider ist die Debatte um die erweiterte DNA-Analyse wenig durch wissenschaftliche Erkenntnisse geprägt. Vielmehr ist sie vor allem durch Falschdarstellungen der Aussagekraft von DNA-Untersuchungsmethoden und durch überzogene Erwartungen an die Verbesserung der Strafverfolgung geprägt. Demgegenüber wäre es dringend geboten, zentrale Problemlagen, die mit der Technologie selbst und mit ihrer forensischen Anwendung einhergehen, gesellschaftlich zu diskutieren und zu hinterfragen. Über persönlichkeits- und datenschutzrechtliche Problematiken hinaus sollten dabei auch die in der Technologie eingeschriebenen und in der Anwendung liegenden Gefahren der Rassifizierung und Diskriminierung berücksichtigt werden.

Beschränkte Aussagekraft der Technologie

DNA-Analysen werden medial als äusserst valide dargestellt und auch so wahrgenommen. Diese Annahme trifft aber auf die neuen erweiterten Analysetechnologien nicht zu. Zudem basiert die Abschätzung äusserlich sichtbarer Merkmale wie Gesichtsform, Haar-, Augen- oder Hautfarbe, weiterer körperlicher Merkmale – so das biologische Alter, die Anlage für Sommersprossen etc. – und der regionalen und ethnischen Herkunft einer Person (oder deren Vorfahren) auf höchst unterschiedlichen DNA-Analysemethoden.

Erweiterte DNA-Analysen ermöglichen keine eindeutigen Aussagen über die gesuchte Person, sondern lediglich statistische Wahrscheinlichkeitsaussagen, die statt Individuen eine grosse Gruppe an Menschen beschreibt. Zudem sind sie aufgrund methodischer und technischer Begrenzungen sehr viel weniger präzise als etablierte DNA-Identitätsanalysen. So geht etwa die deutsche Spurenkommission – ein Zusammenschluss deutscher kriminaltechnischer Institute – davon aus, dass die Haarfarbe nur in etwa 75 Prozent der Fälle korrekt bestimmt werden könne. Andere Wissenschaftler*innen weisen darauf hin, dass die Genauigkeit in realen Anwendungsfällen, also ausserhalb kontrollierter Forschungskontexte, noch deutlich geringer ausfallen könne.

Anders als beim «genetischen Fingerabdruck» ist eine bedeutende Erhöhung der Genauigkeit bei erweiterten DNA-Analysen auch bei Weiterentwicklung der Technologie nicht zu erwarten. Denn einerseits sind vor allem bei äusseren Merkmalen eine Fülle von Genen und Umweltfaktoren involviert. Andererseits zeigen Studien, dass zusätzliche Daten weitere Unschärfen mit sich bringen, die für die Suche nach einer konkreten individuellen Person eine geringe Verlässlichkeit erwarten lassen.

Historisches Gepäck erweiterter DNA-Analysen

Mindestens seit den 1970er Jahren besteht in der Humangenetik Konsens darüber, dass die Variationen zwischen einzelnen Individuen innerhalb einer Bevölkerungsgruppe grösser sind als diejenigen zwischen verschiedenen Gruppen und dass sich Menschen anhand der genetischen Diversität nicht trennscharf und eindeutig aufteilen lassen (genetisches Kontinuum). Dennoch versuchen einige Wissenschaftler*innen noch immer, menschliche Populationen als kategoriale, genetisch separate Einheiten zu fassen und damit die genetische Vielfalt mittels Wahrscheinlichkeitsberechnungen in Gruppen zu ordnen.

Dabei ist die statistische Abschätzung äusserer Merkmale sowie der genetischen Herkunft von Menschen keineswegs neu. Sie baut auf Forschungszweigen der klassischen Genetik und der Populationsgenetik auf, die schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts versuchten, Menschen entlang von Merkmalen – etwa anhand von Blutgruppen – in Kategorien wie «Rasse» oder «Ethnizität» einzuordnen. Dementsprechend war auch die Entwicklung von DNA-Analysemethoden eng mit rassifizierenden Kategorisierungen verknüpft.

So untersuchte der Genetiker Alec Jeffreys, der Erfinder des «genetischen Fingerabdrucks», Ende der 1970er Jahre das Blut von Menschen mit Bluterkrankungen und verschiedenen Herkünften. Er meinte, damit eine Methode entwickelt zu haben, mit der sich «Populationsstrukturen und die Abstammung menschlicher Rassen» erfassen liessen. Einige Jahre später stellten Forensiker*innen in Grossbritannien einen einzigen genetischen Marker vor, mit dem es angeblich möglich sei, Menschen mit 85-prozentiger Wahrscheinlichkeit korrekt den Kategorien «kaukasisch» oder «afro-karibisch» zuzuordnen. In den 1990er Jahren sah Jeffreys voraus, dass «in der nicht weit entfernten Zukunft» «DNA-Tests […] die Informationen über z. B. Ethnizität, Haarfarbe und Augenfarbe liefern» könnten.

Bis in die frühen 2000er Jahre waren für solche auf Herkunft und Aussehen abzielende DNA-Untersuchungen noch Begriffe wie «Rasse» und «Ethnizität» üblich. Infolge der Kritik an der biologischen Unterscheidung von Menschen setzen sich in den letzten Jahren im Wissenschaftskontext zunehmend die Begriffe «ancestry» (Herkunft/Abstammung) und insbesondere «biogeographical ancestry» (biogeografische Herkunft, kurz BGA) durch. Die Erfinder dieses Begriffs, der Anthropologe Tony Frudakis und der Populationsgenetiker Mark Shriver, hofften damit 2004, die «vererbbare Komponente der ‹Rasse›» fassen zu können. Die Forschenden hatten die Hoffnung, damit objektive und natürliche Unterscheidungsmerkmale benennen und somit die politische Bedeutung von Kategorien wie «Rasse» und «Ethnizität» vermeiden zu können. Da jedoch auch die Analysen biogeografischer Herkunft an bestehende nationale, ethnische, religiöse und sprachbezogene Kategorien anknüpfen, tragen sie immer auch gesellschaftliche Bedeutungen in sich.

Problematische Kategorisierung von Menschen

Biogeografische Herkunft

Zur Bestimmung der biogeografischen Herkunft greifen Forensiker*innen weltweit neben jeweiligen nationalen DNA-Referenzdatensammlungen vor allem auf zwei Datenbanken zu, die über den derzeit umfassendsten Bestand an Referenzproben verfügen: Die «Y-Chromosome Haplotype Reference Database» (YHRD) an der Charité in Berlin und die «Mitochondrial DNA Population Database» (EMPOP), die vom Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Universität Innsbruck betrieben wird. Die Datenbanken stellen für diese Analysemethode die Standards bereit und würden von Schweizer Ermittler*innen im Falle der Legalisierung der erweiterten DNA-Analyse ebenfalls genutzt werden.

Beide forensische Datenbanken sind nicht nur ein Speicher für DNA-Daten und Probenentnahmeorte, sondern ermöglichen auch eine Verknüpfung individueller DNA-Daten mit ethnisierenden, rassifizierenden, regionalen, nationalen, religiösen, sprachspezifischen und hautfarbenbasierten Informationen. Darüber hinaus fassen beide Datenbanken Datensätze zu grösseren Gruppen zusammen, die als «Metapopulationen» bezeichnet werden. Die verwendeten Klassifikationssysteme – nach geografischen Regionen, religiöser, ethnischer oder kultureller Zugehörigkeit sowie Kategorien wie «admixed» (gemischt) – spiegeln dabei die soziokulturellen Konzepte wider, mit denen Menschen in rassifizierte und ethnisierte Gruppen in den jeweiligen nationalen Kontexten eingeteilt werden. Diese Konzepte weisen nicht selten historisch belastete und stigmatisierende Konnotationen auf.

Die Zuordnung von DNA-Daten einzelner Personen zu Gruppenkategorien erzeugt jedoch nicht nur potenzielle Rassifizierungen. Viele DNA-Proben, die in die Datenbanken zur Bestimmung der biogeografischen Herkunft aufgenommen werden, enthalten keinen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung, sondern lediglich eine spezifische Auswahl von Personen. Damit erzeugen die Stichprobenstrategien selbst soziokulturelle Kategorien.

Um die genetischen Unterschiede in möglichst trennscharfen Kategorien abbilden zu können, werden zudem vorzugsweise «unvermischte» geografische und ethnische Herkünfte erfasst. Dazu werden etwa ausschliesslich Proben von Personen genommen, von denen mindestens drei der vier Grosseltern in derselben Region oder in einem Umkreis von wenigen Kilometern geboren wurden. Dieser Ansatz mag zwar für die historische Migrations- und Siedlungsforschung sinnvoll sein, aber er schränkt die Anwendung in polizeilichen Ermittlungen deutlich ein. Ein grosser Teil der migrationsbedingten genetischen Bevölkerungsvielfalt ist so nicht repräsentiert. Dadurch erscheinen die Unterschiede zwischen den so differenzierten Gruppen stärker als sie realerweise sind.

Neben der Kategorisierung und den homogenisierenden Stichprobenstrategien weist die Struktur der Datenbanken noch weitere Probleme auf. So haben alle forensischen Datenbanken das Bias (die Befangenheit/Neigung), Angehörige marginalisierter Gruppen und Minderheiten zu überrepräsentieren. Ausserdem wiesen Wissenschaftler*innen und NGOs jüngst darauf hin, dass sich in polizeilichen und den öffentlich verfügbaren Datenbanken DNA-Daten von in China unterdrückten Uigur*innen sowie Angehörigen weiterer Ethnien befinden, welche nicht anhand der üblichen ethischen Standards – freiwillige Probenabgabe, informierte Einwilligung zum Forschungsgebrauch, Genehmigung durch eine Ethikkommission – in die Datenbanken aufgenommen wurden. Ebenso sind Daten von Rom*nja in forensischen Datenbanken überrepräsentiert. Auch hier bestehen Zweifel bezüglich der Einhaltung international üblicher Ethikvorgaben. Der Bioinformatiker Yves Moreau, welcher mit anderen Wissenschaftler*innen auf diesen Missstand hingewiesen hat, sagte hierzu: Jegliche Forschung, die die Erstellung genetischer Profile ermögliche, «ist gefährlich in den Händen eines autoritären Regimes».

Phänotypisierung

Mittels der DNA-Phänotypisierung werden aus DNA-Spuren statistische Abschätzungen zu den äusseren Merkmalen einer Person getroffen. Auch diese Wahrscheinlichkeitsangaben basieren weitgehend auf mehr oder weniger groben Kategorisierungen. Das Ergebnis ist also keine Beschreibung einer konkreten Person, sondern einer Reihe von Merkmalen, die eine mehr oder weniger grosse Bevölkerungsgruppe betrifft.

Da ein solch breites Spektrum möglicher Merkmale für die Strafverfolgungsbehörden in der Regel wenig hilfreich ist, werden diese Technologien so eingesetzt, dass sie – ähnlich wie bei der biogeografischen Herkunft – zu möglichst wenigen, sich gegenseitig ausschliessenden Kategorien führen.

Das von einer Forschungsgruppe um den deutsch-niederländischen Forensiker Manfred Kayser entwickelte Analyse-System «HIrisPlex-S» reduziert etwa das Spektrum an Augenfarben auf drei (blau, braun und intermediär), die Fülle an Haarfarben auf vier (blond, braun, rot, schwarz) und die verschiedenen Hautfarben in fünf mögliche Kategorien (sehr blass, blass, intermediär, dunkel und dunkel bis schwarz). Ausprägungen biologischer Merkmale wie etwa der Augenfarbe sind allerdings sehr komplex und lassen sich daher häufig gar nicht trennscharf in solch grobe Kategorien zwängen. Dementsprechend sind solche Typologien willkürlich und keineswegs durch die Gene oder durch vorhandene biologische Differenzen vorgegeben, weshalb andere erweiterte DNA-Analysetechnologien auch mit einer anderen Anzahl an Kategorien arbeiten.

Effekte der Anwendung: Diskriminierung und Stigmatisierung

Eine erweiterte DNA-Analyse kann vor allem dann einen Beitrag zur Ermittlung einer unbekannten Person leisten, wenn ihr Ergebnis auf Merkmale schliessen lässt, die in der Gesamtbevölkerung möglichst selten vorkommen. In Bezug auf die wahrscheinliche Pigmentierung von Haut, Augen und Haaren, aber auch auf die kontinentale, regionale und ethnische Herkunft, verweisen diese seltenen Merkmale meist auf ethnisierte und rassifizierte Minderheiten. Nur bei einer Eingrenzung auf eine möglichst kleine Menge potenzieller Täter*innen sind weitere Ermittlungstechniken wie etwa genetische Reihenuntersuchungen durchführbar.

Zwar könnten die Methoden prinzipiell auch dazu beitragen, Angehörige diskriminierter Bevölkerungsgruppen in konkreten Fällen von einem Verdacht zu entlasten. In der Realität wird es aber häufig so sein, dass bei einem Analyseergebnis mit Hinweis auf eine*n Angehörige*n der Mehrheitsgesellschaft die erweiterte DNA-Analyse gar keinen Ermittlungsfortschritt bringt. Werden aber Merkmale wie etwa eine dunkle Hautfarbe oder eine Herkunft ausserhalb von Europa als wahrscheinlich ermittelt, geraten potenziell alle Personen mit diesen Merkmalen – also mitunter ganze Bevölkerungsteile und Gemeinschaften – unter Verdacht. Die niederländische Anthropologin Amâde M’charek bringt dies treffend auf den Punkt: Im Kontext erweiterter DNA-Analysemethoden sei «Holländischsein oder Weisssein keine aussagekräftige Bevölkerungskategorie für polizeiliche Ermittlungen».

Bisher liegen noch keine systematisch erhobenen Daten über die Häufigkeit der konkreten Anwendung erweiterter DNA-Analysen, da wo sie legal sind, vor. Deshalb lassen sich die Effekte dieser Technologien bislang kaum abschätzen. Es liegen jedoch einige Berichte von Medien und Ermittlungsbehörden vor, die zumeist gravierende Problematiken bei der Anwendung aufzeigen. Welche Formen von Stigmatisierung und rassistischen Zuweisungen mit der Anwendung verknüpft sein können, illustriert der Fall des «Heilbronner Phantoms» in Deutschland in bezeichnender Weise: Hintergrund war der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter im April 2007. Am Tatort wurde eine DNA-Spur gefunden, die bereits im Zusammenhang mit vielen anderen Straftaten festgestellt worden war. Aufgrund der weit verstreut liegenden Tatorte wurde das gesuchte «Phantom» im Milieu von Zeitschriftenwerbungs-Kolonnen, Drogenhandel, Wohnsitzlosen oder «fahrendem Volk» (in Deutschland eine Chiffre für Rom*nja und Sinti*zze) vermutet. Da erweiterte DNA-Analysen in Deutschland nicht erlaubt waren (und ausser im Freistaat Bayern nach wie vor nicht sind), wurden sie stattdessen in Österreich angewandt, wo einer der Tatorte lag. Die Analyse wies auf eine weibliche Person mit wahrscheinlich «osteuropäischer Herkunft» hin, was die ermittelnde Kriminalpolizei zum Anlass nahm, ihre Ermittlungen mit höchst stigmatisierenden Zuschreibungen auf Romnja zu beschränken. Hunderte Romnja wurden zur DNA-Abgabe gedrängt, 20 Millionen Verbindungsdaten von Mobiltelefonen ausgewertet und 14’000 Stammdaten ermittelt, insbesondere von Migrant*innen. Mehr als ein Dutzend Romnja wurden zur Fahndung ausgeschrieben. Erst im März 2009 stellte sich heraus, dass es sich bei der DNA-Spur um eine Verunreinigung der kriminalistisch genutzten Wattestäbchen handelte. Sie stammte von einer Verpackerin bei der Herstellerfirma. Im Jahr 2011 konnte der Mord schliesslich aufgrund einer entwendeten Waffe der rechtsterroristischen Gruppierung «Nationalsozialistischer Untergrund» (NSU) zugeordnet werden.

Auch bei anderen bekannt gewordenen Anwendungsfällen entfalten «ethnisierende» und «rassifizierende» Zuschreibungen ihre Wirkung. Selbst in Fällen, in denen sehr sorgfältig und sensibel mit Diskriminierungsgefahren umgegangen wurde, wirken diese Effekte. So wurden Forderungen an Minoritäten-Communities gerichtet, bei der Fallaufklärung mitzuhelfen, die so gegenüber von Mehrheitsangehörigen nie artikuliert werden könnten.

Vorschub für genetisches Racial Profiling

Die bisher öffentlich gewordenen Anwendungsfälle lassen erkennen, dass beim Einsatz der erweiterten DNA-Analysen zu Ermittlungszwecken die öffentliche Stigmatisierung und Diskriminierung marginalisierter und oftmals besonders vulnerabler Bevölkerungsgruppen zu erwarten ist.

Wissenschaftliche Untersuchungen und eine breite politische sowie gesellschaftliche Debatte über die gesellschaftlichen Implikationen dieser Technologien sind daher dringend geboten. Bisher ist die Debatte zur Zulassung erweiterter DNA-Analysemethoden für forensische Ermittlungen vor allem von überzogenen Erwartungen an ihren Nutzen sowie von falschen Darstellungen ihrer Aussagekraft gekennzeichnet. Zudem wurden die entsprechenden Debatten in der Schweiz, aber auch in Deutschland, vielfach durch rassistisch motivierte Kampagnen veranlasst.

Als der Nationalrat Albert Vitali im Jahr 2015 öffentlich eine Legalisierung der erweiterten DNA-Analysen forderte, war der Anlass hierfür die Vergewaltigung und Körperverletzung einer 26-jährigen Frau in Emmen bei Luzern. Der Fall hatte in sozialen Medien sowie bei der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und der Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) umgehend rassistische Ressentiments mobilisiert. Vitali stellte die Technologie als Segen für die Ermittlungsarbeit dar. Allerdings eignete sich der Fall überhaupt nicht für eine Anwendung erweiterter DNA-Analysen. Die schwer verletzte Frau hatte selbst derart genaue Angaben über den Täter gemacht, dass diese Analysemethoden vermutlich kaum etwas an Ermittlungshinweisen hinzufügen könnten. Doch anstelle von Ausgewogenheit und Abwägung leiteten historisch tief verankerte Bilder über «kriminelle und gefährliche Einwanderer» die gesellschaftliche Debatte.

Es besteht die Gefahr, dass erweiterte DNA-Analysen zu Verdächtigungen ganzer Bevölkerungsgruppen beitragen. DNA-Tests, die auf die Bestimmung des wahrscheinlichen Aussehens oder der wahrscheinlichen Herkunft von Tatverdächtigen zielen, können somit zur Verfestigung rassistischer Vorstellungen führen. Zu erwarten ist also, dass die Revision des DNA-Profil-Gesetzes einem genetischen Racial Profiling Vorschub leistet: wegen der zugrundeliegenden Typologisierungen, wegen des ermittlungstechnisch bedingten Fokus auf Minoritätengruppen und auch wegen des Kontextes einer oftmals rassistischen öffentlichen Debatte.

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