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UNO Pakt II: List of Issues zuhanden der Schweizer Regierung

08.12.2014

An seiner 112. Sitzung vom 7. - 31. Oktober 2014 hat der Menschenrechtsausschuss die sog. «List of Issues», also die Leitfragen für den nächsten Bericht der Schweiz zusammengestellt. Für die Erstellung des Berichts zu den aufgeworfenen Fragen hat die Schweiz nun Zeit bis am 1. November 2015.

Nachfolgend findet sich ein Überblick über die wichtigsten Themenfelder der «List of Issues» an die Schweiz.

Umsetzung der menschenrechtlichen Verpflichtungen in den Kantonen (Art. 2)

Das föderalistische System in der Schweiz stellt für die Umsetzung der Menschenrechte eine besondere Herausforderung dar. Während der Bundesrat zuständig ist für die Unterzeichnung von internationalen Menschenrechtsverträgen, obliegt die Verantwortung für die Umsetzung der eingegangenen Verpflichtungen in zentralen Bereichen wie Bildung, Polizei, Gesundheitssystem oder Strafrecht den 26 Kantonen.

Bis heute bestehen keine institutionellen Einrichtungen für den Einbezug und die Sensibilisierung der Kantone. Die kantonalen Behörden und Gemeinden sind sich dementsprechend häufig nicht bewusst, dass sie für eine effektive Umsetzung der garantierten Menschenrechte verpflichtet wären. Der Menschenrechtsausschuss bittet die Schweiz, hierzu Stellung zu nehmen und empfiehlt die Schaffung einer nationalen Menschenrechtsinstitution.

Nicht-Diskriminierung und Gleichheitsgebot (Art. 2, 1, 3, 26, 27)

Der Menschenrechtsausschuss bittet die Schweiz Stellung zu nehmen, welche politischen und gesetzgeberischen Massnahmen getätigt wurden, um eine gleichberechtigte Teilhabe der Frauen in den verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens sicherzustellen und die bestehende Lohnungleichheit zu beseitigen.

Weitere aufgeworfene Fragen im Bereich Diskriminierung und Gleichbehandlung betreffen die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention sowie die Massnahmen zur Bekämpfung von Rassimus und Xenophopbie und zum Schutz vor Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung.

Im Bereich Rassimus bittet der Ausschuss die Schweiz speziell auch Stellung zu nehmen, warum das Mandat der EKR nicht (wie im letzten Staatenbericht empfohlen) verstärkt wurde. Diese Frage ist besonders aktuell, hat doch der Nationalrat im Juni 2014 eine parlamentarische Initiative verabschiedet, welche verlangt, dass sich ausserparlamentarische Fachkommissionen öffentlich nicht mehr frei äussern dürfen.

Schutz der Frauen vor Gewalt (Art. 3, 7)

Der Ausschuss fordert die Schweiz auf, Rechenschaft über die getätigten Massnahmen für die Beseitigung aller Formen von Gewalt an Frauen abzulegen. Hierzu soll die Schweiz Statistiken zu Gerichtsfällen vorlegen, welche sowohl die Anzahl Urteile wie auch Angaben zu den ausgesprochenen Genugtuungszahlungen beinhalten.

Recht auf Leben und Folterverbot (Art. 6, 7)

Die meisten Kantone kennen keine unabhängigen Beschwerdemechanismen für Polizeigewalt. Die Untersuchungen werden oft durch verwaltungsinterne Behörden durchgeführt, welche selber auf eine gute Koordination mit der Polizei angewiesen sind. Beschuldigte Polizisten schützen sich oft, indem sie gegen Opfer, die sich beschweren, eine Gegenklage einreichen. Dies hat zur Folge, dass fehlbare Polizisten nur selten verurteilt werden.

Der Ausschuss fordert die Schweiz auf, Stellung zu nehmen hinsichtlich einer angeblichen Zunahme von Polizeigewalt insbesondere gegenüber Ausländern, Asylsuchenden und Migranten. Die Schweiz soll aufzeigen, was sie für Massnahmen getätigt hat, um unabhängige Beschwerdeinstanzen für Polizeigewalt einzurichten. Zudem fordert der Ausschuss die Schweiz auf, zu übermässiger Gewaltanwendung während den Zwangsausschaffungen Stellung zu nehmen.

Der Umgang mit Asylsuchenden (Art. 2, 9, 12, 13, 14, 24, 26)

Der Menschenrechtsausschuss fordert die Schweiz auf, für alle Asylsuchenden und Personen, die auf ihre Rückschaffung warten, eine unentgeltliche Rechtspflege zu gewährleisten. Zudem fordert der Ausschuss die Schweiz auf, Massnahmen aufzuzeigen für eine Verringerung der maximalen Haftdauer der Administrativhaft und der Sicherstellung, dass sie nur als letztes Mittel angeordnet wird. Ebenfalls soll die Schweiz Stellung nehmen zur Situation von unbegleiteten Minderjährigen in Haftanstalten. Weiter bittet der Ausschuss die Schweiz, Stellung zu nehmen zu den Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden in gewissen Kantonen in Form von Rayonverboten.

Behandlung von Personen im Freiheitsentzug (Art. 9, 10)

Seit 1999 ist die Anzahl inhaftierter Personen um 35 % angestiegen. Als Folge davon waren im 2013 mehr als 100% aller verfügbaren Gefängnisplätze belegt. Am problematischsten sind die Haftbedingungen im Gefängnis Champ-Dollon in Genf mit einer vorübergehenden Überbelegungsrate von 170%. Eine gravierende Problematik ist zudem die Ausgestaltung der Hochsicherheitshaft in der Schweiz. Die meisten Gefangenen in Hochsicherheitshaft sind Personen mit psychischen Störungen, die eigentlich in geschlossenen psychiatrischen Einrichtungen untergebracht und behandelt werden müssten.

Der Ausschuss fordert die Schweiz auf darzulegen, wie die materiellen Haftbedingungen verbessert werden und die Überbelegung in Schweizer Gefängnissen reduziert wird. Zudem sollen die Massnahmen aufgezeigt werden, um die Situation von Personen in Hochsicherheitshaft zu verbessern und geeignete Institutionen für psychisch Kranke Inhaftierte zu schaffen.

Verbot der Sklaverei und Zwangsarbeit (Art. 8)

2012 hat die Schweiz einen Aktionsplan gegen Menschenhandel verabschiedet. Der Ausschuss fordert die Schweiz auf, aufzuzeigen inwiefern dieser Plan umgesetzt wurde und welche gesetzlichen Rahmenbestimmungen bestehen, um Opfer von Menschenhandel zu schützen. 

Recht auf Heirat (Art. 23)

Seit dem 1. Januar 2011 müssen in der Schweiz alle heiratswilligen ausländischen Staatsangehörigen ihren rechtmässigen Aufenthalt nachweisen (Art. 98 Abs. 4 ZGB). Zudem sind die Zivilstandämter verpflichtet, die Ausländerbehörden über illegale Brautleute zu benachrichtigen (Art. 99 Abs. 4 ZGB).

Der Ausschuss fordert die Schweiz auf, zur Vereinbarkeit dieser sogenannten „Lex Brunner“ mit Art. 23 des UNO-Pakt II Stellung zu nehmen.

Religionsfreiheit (Art. 18, 20, 27)

Der Ausschuss fordert die Schweiz auf, die Gründe für das in der Verfassung festgeschriebene Verbot für den Bau von Minaretten aufzuzeigen und zu erklären, inwiefern das Verbot mit den Art. 18 und 20 (2) des UNO Paktes II vereinbar ist.

Kinderrechte (Art. 7, 24)

Gewalt in der Kindererziehung ist in der Schweiz nicht explizit verboten. Dies trotz internationaler Verpflichtungen und Modellsystemen in anderen Ländern wie etwa Deutschland oder Schweden. Das Schweizer Parlament lehnte ein Verbot der Gewaltanwendung in der Erziehung letztmals 2008 ab. Seither herrscht mehr oder weniger Stillstand in diesem Themenbereich.

Der Ausschuss fordert die Schweiz auf, zu den Massnahmen Stellung zu nehmen, um die körperliche Züchtigung von Kindern zu verbieten und die Eltern zu sensibilisieren. Zudem fordert der Ausschuss die Schweiz auf, Angaben hinsichtlich verfrühten chirurgischen Eingriffe bei Menschen zu machen, die mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen auf die Welt kommen.

Die Schweiz stellt seit Jahrzehnten zu wenig Infrastruktur für die Fahrenden zur Verfügung. Die Bundesbehörden anerkennen zwar seit rund 10 Jahren den Bedarf an neuen Stand- und Durchgangsplätzen; dennoch liefen viele der Bemühungen immer wieder ins Leere. Der Ausschuss fragt nach den getätigten Massnahmen, um diesen Missstand zu beheben.

Rückzug der Vorbehalte und Ratifikation des ersten Fakultativprotokolls

Der Ausschuss bittet die Schweiz Stellung zu nehmen, ob ein Rückzug folgender Vorbehalte geplant sei:

  • Zu Art. 12 Abs. 1, Recht sich frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen (für Ausländer und Ausländerinnen nicht gewährleistet)
  • Zu Art. 20 (die Schweiz behält sich vor, keine Vorkehren zum Verbot der Kriegspropaganda zu ergreifen)
  • Zu Art. 25 lit. b, Recht auf geheime Wahlen (nicht garantiert bei Landsgemeinden oder in Gemeindeversammlungen)
  • Zu Art. 26, Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz / Diskriminierungsverbot: Die Schweiz hat aufgrund bestehender rechtlicher Ungleichbehandlungen von Frauen und Ausländern/-innen die Geltung des umfassenden Diskriminierungsverbotes von Art. 26 auf die im Pakt II garantierten Menschenrechte beschränkt.

Zudem fragt der Ausschuss, ob eine Ratifikation des ersten Fakultativprotokolls zum Pakt II (Individualbeschwerdeverfahren) in Aussicht stehe. Das Protokoll ist von 115 Staaten ratifiziert worden, darunter, mit wenigen Ausnahmen, alle europäischen Staaten.

Nicht berücksichtigte Vorschläge der NGO

Im Juli 2014 hatten 13 schweizerische Organisationen dem Menschenrechtsausschuss eine von Humanrights.ch redigierte Zusammenstellung mit konkreten Vorschlägen für Fragen an die Schweiz eingereicht. Die NGO-Vorschläge sind teilweise in die definitive« List of Issues» eingeflossen. Folgende wichtige Themenfelder wurden jedoch vom Ausschuss nicht berücksichtigt:

  • Die Regularisierung von Volksinitiativen (Art. 2)
  • Fehlende politische Rechte für Ausländer (Art. 2, 25, 26)
  • Frauenarmut (Art. 2, 3, 26)
  • Regularisierung von Sans-Papiers (Art. 2)
  • Nicht-Diskriminierung von Asylsuchenden (Art. 14)
  • Separation von Familien bei Rückführungen, Berücksichtigung des Kindeswohl (Art. 17, 23, 24)
  • Versammlungsfreiheit (Art. 21)

Dokumentation zur NGO-Eingabe