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Die unentgeltliche Rechtspflege im Straf- und Massnahmenvollzug

23.07.2015

Eine Lobby, die den Gefangenen eine Stimme geben würde, existiert nicht. Personen, die während dem Strafprozess von einem Anwalt betreut wurden, stehen nach dem ergangenen Urteil und beim Strafantritt häufig alleine da. Weil sie inhaftiert sind, ist es ihnen kaum oder nur sehr erschwert möglich, eine Rechtsberatung in Anspruch zu nehmen, da die reine Beratungsarbeit nicht von der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung gedeckt ist und niederschwellige Angebote von Rechtsberatungsstellen wegen der Haftsituation nicht wahrgenommen werden können. Denn der Rechtsberater müsste ins Gefängnis kommen, was fast nicht finanzierbar ist. Auch bei Beschwerden gegen Verfügungen im Strafvollzug (z.B. Disziplinarmassnahmen, Urlaubsgewährung, etc.) wird eine unentgeltliche Rechtsvertretung oft nicht gewährleistet, weil das Anliegen als aussichtslos taxiert wird und/oder eine Rechtsvertretung als unnötig eingestuft wird.

Einer der wenigen Anwälte, die trotzdem in diesem Bereich tätig sind, ist Stephan Bernard aus Zürich, der für einen besseren Rechtsschutz von Menschen im Freiheitsentzug plädiert: «Der Strafvollzug ist fast komplett von der unentgeltlichen Rechtsvertretung ausgeschlossen. Dies ist deshalb stossend, weil Personen im Strafvollzug mit ihrer Situation häufig überfordert sind und weder einer amtlichen Sprache mächtig sind, noch die ihnen zustehenden Rechte und Ansprüche kennen.» Im Gegensatz dazu werde die unentgeltliche Rechtsvertretung beispielsweise in Eheschutzverfahren fast immer gewährt, obwohl die betroffenen Personen hier häufig sehr viel besser im Stande wären, ihre Rechte selber wahrzunehmen. 

Problematische Bereiche im Strafvollzug, wo eine Rechtsvertretung angesichts der Tragweite für die betroffenen Personen oftmals erforderlich wäre, sind Disziplinarmassnahmen, nicht gewährte Ausgänge, nicht gewährte bedingte Entlassungen (Art. 86 StGB), Verlegungen, medizinische Betreuung und weitere. 

«Ein Kontingent für reine Rechtsberatung»

Der mangelhafte Rechtsschutz ist gemäss Bernard bei Verlängerungsverfahren im Kontext von stationären Massnahmen und Entlassungsverfahren (z.B. bedingte Entlassungen gem. Art. 86 StGB oder aus der «kleinen Verwahrung» gemäss Art. 59 StGB) besonders stossend für die betroffenen Personen. Zwar werde hier die unentgeltliche Rechtspflege gewährt. Allerdings würden sich die Richter bei ihren Entscheiden auf Akten stützen, welche während dem Vollzug entstanden sind (z.B. Therapieberichte, Disziplinarmassnahmen, etc.) und gegen die häufig keine (professionell redigierten) Rechtsmittel ergriffen wurden, bzw. eben mangels Rechtsberatung und -vertretung nicht ergriffen werden konnten. Diese Beweise können faktisch nachträglich nicht mehr angefochten werden. 

Zudem bemängelt Bernard die ungenügende Entschädigung bei der unentgeltlichen Rechtsvertretung. «Der Initialaufwand zur Einarbeitung in die oft langjährigen Geschichten mit entsprechenden Akten wird der rechtsvertretenden Person nicht entschädigt; die Anwälte und Anwältinnen tragen also ein hohes Kostenrisiko. Dies wiederum schwächt den Rechtsschutz für die finanziell bedürftigen rechtssuchenden Gefängnisinsassen.» Bernard befürwortet ein System, wonach die unentgeltliche Rechtsvertretung deutlich grosszügiger gewährt würde und überdies jeder Gefängnisinsasse pro Jahr ein bestimmtes Kontingent an Anwaltsstunden auch für reine Rechtsberatung zur Verfügung hätte.