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Bericht des Bundesrats über die Menschenrechtsaussenpolitik 2011-2014

07.04.2015

Der Bundesrat hat am 14. Januar 2015 den Aussenpolitischen Bericht für das Jahr 2014 verabschiedet. Dieser enthält als Beilage den «Bericht über die Menschenrechtsaussenpolitik der Schweiz: Bilanz 2011 – 2014 und Perspektiven». Der Bericht des Eidgen. Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) zeigt auf, welche Schwerpunkte der Bund in den vergangenen vier Jahren in seiner Menschenrechtspolitik gegen Aussen setzte.

Verbesserte  Systematik – verpasste Chance

Im Jahr 2000 hatte das Parlament den Bund beauftragt, einmal pro Legislatur einen Bericht über die Menschenrechtsaussenpolitik zu verfassen. Nun ist der Bund diesem Anliegen nach 2006 und 2010 zum dritten Mal nachgekommen.

Wenn man die drei Berichte vergleicht, so fällt beim dritten die verbesserte Systematik auf. Insbesondere wird nun erstmals den Kohärenzfragen ein ausführliches Kapitel gewidmet (vgl. unten).

Umso stärker vermisst man das Bemühen, die zwei älteren Berichte im neusten fruchtbar zu machen, indem Überlegungen zum Wandel von strategischen Eckpunkten im Laufe der letzten 12 Jahre angestellt würden. Dies bedeutet eine verpasste Chance, Erkenntnisse aus der regelmässigen Berichterstattung zu ziehen.

Herausforderungen auf dem internationalen Parkett

Die einführende Vogelschau zur internationalen Menschenrechtspolitik und ihren Herausforderungen ist deutlich kürzer ausgefallen als früher. Sehr bündig wird eine Tendenz zur Instrumentalisierung der Menschenrechtspolitik auch seitens westlicher Staaten festgestellt, was dem Vorwurf von doppelten Standards Nahrung gibt, – ein Vorwurf, der dann selbst auch wieder instrumentalisiert wird, um eigenes Ungenügen in der Einhaltung von Menschenrechtsstandards zu kaschieren. Das multilaterale Misstrauen beschleunigt die Polarisierung zwischen einer obstruktiven Staatengruppe mit einem minimalistischen Menschenrechtsverständnis und jenen Staaten, welche die geltenden Standards  zu verteidigen bereit sind.

Der Universalitätsanspruch der Menschenrechte werde von der Ideologie der traditionellen Werte bewusst in Frage gestellt. Einige Staaten würden die «Tradition» (sprich: vormoderne Moral) ins Feld führen, um die Menschenrechte von Frauen oder Homosexuellen zu beschneiden oder bestimmte Bestrafungsmethoden zu legitimieren. Zu den sich quer stellenden Staaten, die sich im UNO-Menschenrechtsrat zur „Like Minded Group“ formiert haben, gehören immerhin Schwergewichte wie Russland, China und Saudi-Arabien. «Das Verhalten dieser Gruppe belastet das Gesprächsklima und erschwert die Arbeit des Menschenrechtsrates» (S.208), hält der Bericht recht unverblümt fest.

Schwerpunkte der Menschenrechtspolitik des Bundes

Die Schweiz ist angesichts der zahlreichen Herausforderungen und der beschränkten Ressourcen gezwungen, Prioritäten zu setzen. Der Bericht nennt sechs Schwerpunkte des Schweizer Engagements:

  • Schutz von Menschenrechtsverteidigern/-innen
  • Rechte der Frauen
  • Friedensförderung, humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit
  • Abschaffung der Todesstrafe
  • Wirtschaft und Menschenrechte
  • Kontrolle der Einhaltung der Menschenrechte

Die menschenrechtspolitische Relevanz dieser Themenfelder wird jeweils prägnant umrissen, bevor Beispiele für das Schweizer Engagement angeführt werden. Bei den meisten dieser Dossiers kommen beachtliche Leistungsausweise zusammen.

Manchmal würde man sich allerdings mehr konkrete Beispiele wünschen. Wenn es etwa heisst, die schweizerischen Bemühungen würden darauf abzielen, «nicht nur die Rechte von Frauen und Mädchen zu konsolidieren, sondern auch gegen die Aktivitäten von konservativen und religiösen Gruppierungen vorzugehen, die solche Diskriminierungen rechtfertigen und begünstigen» (S. 183), so tönt dies ohne konkrete Belege nicht besonders glaubwürdig.

Abgesehen von solchen kleinen Schwachpunkten verschafft dieser Teil jedoch einen sehr guten Überblick über das gegenwärtige Profil der schweizerischen Menschenrechtsaussenpolitik.

Dialog als Methode und als Alibi

Dass die Schweiz in internationalen Foren auf Dialog setzt, ist gut und recht. Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass Dialog eine Methode und kein Selbstzweck ist. Es scheint, als würde der Dialog etwa im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte die Zielsetzungen ersetzen, wo doch gerade hier verbindliche Ziele vonnöten wären.

Auch beim aussenpolitischen Instrument der Menschenrechtsdialoge bleiben die Ziele im Nebulösen. Zunächst wird behauptet, die Schweiz lasse sich «nur mit denjenigen Ländern auf einen bilateralen Menschenrechtsdialog ein, deren Regierung eindeutig ihre Bereitschaft zu einem ernsthaften, kritischen und konstruktiven Dialog hat erkennen lassen» (S. 201), und dann werden die Länder aufgezählt, mit denen die Schweiz aktuell einen solchen Dialog unterhält: China, Nigeria, Russland, Senegal, Tadschikistan und Vietnam. Beides passt nicht sehr gut zusammen.

Von den sechs erwähnten Ländern waren bereits im Jahre 2010 China, Russland, Tadschikistan und Vietnam in einen Dialog mit der Schweiz involviert. Diese Kontinuität befremdet angesichts  der Tatsache, dass das EDA den Menschenrechtsdialog als Methode am 23. Mai 2011 in einer Medienmitteilung öffentlich zu Grabe getragen hatte. Dieser offensichtliche Widerspruch wird im Bericht des Bundesrats nicht thematisiert.

Seit der Evaluation des Menschenrechtsdialogs mit China im Jahre 2007 sind keine weiteren Überprüfungen der Wirksamkeit solcher Dialoge an die Öffentlichkeit gelangt. Damit wird der Pauschalverdacht genährt, diese Dialoge würden in Wahrheit anderen aussen- und innenpolitischen Interessen dienen, etwa der Abfederung von menschenrechtspolitischen Skrupeln im Falle von brisanten Wirtschaftsverträgen wie dem Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und China, welches vom eidgenössischen Parlament im Jahre 2014 ratifiziert wurde.

Um solche Vermutungen zu widerlegen, bräuchte es überprüfbare Zielsetzungen für die einzelnen Menschenrechtsdialoge sowie regelmässige, öffentlich zugängliche Evaluationen der Zielerreichung.

Gretchenfrage der Kohärenz

Wie bereits erwähnt, enthält der Menschenrechtsbericht zum ersten Mal ein ausführliches Kapitel zu Problemen der Kohärenz, das heisst der Übereinstimmung zwischen der Menschenrechtspolitik und anderen Politikbereichen. Allerdings vermag gerade dieser strategisch wichtige Teil die Erwartungen nicht zu erfüllen. Zwar wird vorab richtig erkannt, dass die Kohärenzfrage zum einen das Verhältnis der Aussen- zur Innenpolitik und zum andern das Verhältnis zwischen verschiedenen Zweigen der Aussenpolitik betrifft. Doch die Analyse lässt zu wünschen übrig.

Innen- und Aussenpolitik

Belanglose Darlegungen zu Vorbehalten, Individualbeschwerdeverfahren und Berichterstattungspflichten füllen diesen Abschnitt, wobei die tatsächlichen Verhältnisse teilweise schöngeredet werden: «Der Bundesrat misst auch den Empfehlungen der Vertragsorgane grosse Bedeutung bei; diese Empfehlungen finden anschliessend Eingang in die Gesetzgebung und die Praxis der Schweiz.» Da kann man nur beifügen: Schön wär’s!

Das Problem der ungeregelten Umsetzung der Empfehlungen durch Bund und Kantone wird nur indirekt in Form einer Koordinationsstelle angesprochen, welche von der Bundesverwaltung geprüft werde.

Ärgerlich ist, dass naheliegende Beispiele einer durch die Politik verunmöglichten Kohärenz nicht genannt, geschweige denn reflektiert werden. Nehmen wir das Beispiel der Kriegsmaterialverkäufe. Im Menschenrechtsbericht 2010 wurde noch stolz auf die Revision der Kriegsmaterialverordnung mit der 2008 neu eingeführten menschenrechtlichen Ausschlussklausel hingewiesen. Im Bericht 2015 fehlt ein Hinweis auf den beschämenden Rückschritt, welchen das Parlament im März 2014 in derselben Sache beschlossen hat, obwohl das Thema Kriegsmaterialexporte in fast schon philosophischer Weise zur Illustration der «Interessensabwägung» herangezogen wird.

Auch wird im Bericht die Problematik der menschenrechtswidrigen Volksentscheide nicht erwähnt, obwohl diese zentral ist für die strukturellen Schwierigkeiten der Schweiz, eine Übereinstimmung zwischen Innen- und Aussenpolitik garantieren zu können.

Zielkonflikte in der Aussenpolitik

Auch hier erinnern die Ausführungen eher an eine abgehobene Sonntagspredigt als an eine Analyse der wunden Punkte. So werden beim Thema Freihandelsabkommen die bekannten schönfärberischen Floskeln aufgeboten statt am Paradebeispiel des Freihandelsabkommens mit China die sachlichen Konflikte zu benennen, welche in der politischen Diskussion manifest geworden sind. Dem Menschenrechtsbericht des Bundes würde es gut anstehen, bei derart wichtigen Meinungsverschiedenheiten auch mal die Minderheitenposition zu umreissen, zumal diese auf der NGO-Seite klar mehrheitsfähig ist.

Überhaupt hätte etwas mehr selbstkritische Besinnung dem Bericht gut getan. Denn Menschenrechtspolitik kann auch in sich bereits widersprüchlich sein. Zum Beispiel: Die lobenswerte Initiative im UNO-Menschenrechtsrat, welche ab 2012 zur wiederkehrenden Resolution über friedliche Proteste geführt hat, wurde von der Schweiz ausgerechnet zusammen mit der Türkei (und Costa Rica) vorangetrieben. Wie hat sich nun die Schweiz bilateral gegenüber der Türkei verhalten, als die türkische Regierung auf die friedlichen Taksim-Kundgebungen im Jahre 2013 mit äusserst brutaler Repression reagierte? Der Bericht liefert leider keinen Hinweis für die Beantwortung dieser Frage, obwohl dies sehr viel aufschlussreicher gewesen wäre als die meisten der routinemässigen Ausführungen im Kohärenz-Kapitel des Berichts.

Fazit

Der «Bericht über die Menschenrechtsaussenpolitik der Schweiz 2011 – 2014» gibt einen guten Überblick über die wichtigsten menschenrechtspolitischen Handlungsfelder der Schweiz. Allerdings ist der Bericht allzu sehr einer Schaufenster-Mentalität verhaftet. Wunde Punkte werden unter dem Teppich gehalten, und menschenrechtspolitisch gesehen problematische innen- und aussenpolitische Entwicklungen werden kaum konkret angesprochen und analysiert.

Das Parlament hat den Inhalt des Berichts anlässlich der Frühlingssession 2015 gemeinsam mit dem Aussenpolitischen Bericht 2014 zur Kenntnis genommen. Die Räte widmeten den Berichten je eine kurze Debatte, wobei der Menschenrechts-Bericht nur am Rande thematisiert wurde.

Aus NGO-Sicht ist der Aufwand für einen solchen Menschenrechtsbericht über eine ganze Legislatur erst dann gerechtfertigt, wenn das EDA entsprechende Bemühungen daran knüpft, ihn auch ausserhalb des Parlaments öffentlich zur Diskussion zu stellen. Dieses Feld liegt noch brach.

Dokumentation