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Selbstbestimmungsinitiative

Schweizer Justizminister gegen internationale Menschenrechte 

16.08.2007

Was am 1. August 2007 mit einer gezielten Provokation von Bundesrat Christoph Blocher begann, indem er die Vertreter/innen des Völkerrechts in der Schweiz mit fremden Vögten verglich, hat sich inzwischen – ganz nach dem Willen des Initiators – in eine verkappte Grundsatzdebatte über den Stellenwert von Menschenrechtsargumenten in der schweizerischen Politik gewandelt. Verkappt deshalb, weil die Kritiker das Ihre dazu beitragen, an der eigentlichen Stossrichtung der Attacke vorbeizureden. 

Um was es nicht geht

Erstens wird so getan, als ginge es Blocher um eine generelle Abwertung des Völkerrechts zugunsten der direkten Demokratie. Dagegen hat sich Blocher zurecht verwahrt. Obwohl auf seiner Klaviatur solche spektakulären Gegensätze nicht fehlen, käme es ihm nicht in den Sinn, zum Beispiel das internationale Wirtschaftsrecht (etwa WTO/GATT) als solches in Zweifel zu ziehen. Im Visier des Justizministers steht nur ein relativ enger Ausschnitt des internationalen Rechts, nämlich die internationalen Menschenrechte, welche allen Menschen bestimmte elementare Rechte zusprechen, wie die Religionsfreiheit oder das Recht auf Familienleben, die auch dazu dienen, Angehörige von Minderheiten in ihrem Freiheitsbereich zu schützen.

Auch würde man Blocher unterschätzen, wenn man glaubte, seine Absicht sei es, wichtige menschenrechtliche Verpflichtungen der Schweiz gleich als Ganzes auszuhebeln. Denn solche politisch unrealistischen Forderungen wie jene nach Kündigung der EMRK passen nicht zur übrigen Effizienz des Vorstehers des Justiz- und Polizeidepartements. Wenn er mit diesem Gedanken spielt, handelt es sich nur um ein populistisches Ablenkungsmanöver. Die SP Schweiz hat diese Finesse offensichtlich nicht verstanden, denn sie behandelt die ganze Debatte als blosse Provokation, auf die einzugehen sie vornehm verzichtet.

Doch Blochers Angriff ist weit mehr als nur Wahlkampf-Unterstützung für die SVP oder Wasser auf die Mühlen der aktuellen, menschenrechtlich problematischen Initiativen der SVP (Einbürgerungs-Initiative, Minarett-Initiative, Ausschaffungs-Initiative).

Ziele hinter der Provokation

Bundesrat Blocher hat ein Ziel seiner Bemühungen in der Rundschau des Schweizer Fernsehens vom 15. August 2007 selbst offen gelegt: Es geht ihm um die prinzipielle Schwächung von menschenrechtlichen Argumenten im Gesetzgebungs- und Umsetzungsprozess. Er möchte solche Argumente a priori entkräften, welche aus einer fachlichen juristischen Perspektive heraus auf die normativen Leitplanken verweisen, die sich von den international geltenden Menschenrechten herleiten. In seiner personalisierenden Art bezeichnet Blocher dies als Zurückbinden der Macht der Völkerrechtsprofessoren oder allgemein der Expertokratie, oder, wie es sein erster Trompeter (oder Einflüsterer?) Urs Paul Engeler in der Weltwoche zu benennen beliebt, «die elitäre Zunft der Staatsrechtsprofessoren» bzw. «die dünkelhafte Gilde der Rechtsprofessoren». Solche Verunglimpfungen eines Berufsstandes gehören zwar auch ins Kapitel Populismus, aber sie haben darüber hinaus einen methodischen Stellenwert (vgl. unten). Dazu passt, dass Blocher immer wieder suggeriert, die internationalen Menschenrechte würden «nur» Ausländern/-innen und Kriminelle schützen und der Mehrheitsbevölkerung nichts als Ärger bringen.

Festzuhalten bleibt: Eigentliches Ziel der Attacke ist das Gewicht von menschenrechtlichen Argumenten in der Gesetzgebung. Als Beispiele nennt Blocher selbst die im Ständerat beschlossene Konditionalisierung des Bezugs von Nothilfe für nicht-kooperative abgewiesene Asylsuchende, die dann im Nationalrat weniger wegen menschenrechtlicher Bedenken als wegen eines Bundesgerichtsentscheids im März 2005 rückgängig gemacht wurde, oder auch die Probleme bei der EMRK-konformen Umsetzung der Verwahrungsinitiative.

In unserer Dokumentation «Menschenrechte im Parlament» finden sich übrigens sehr viele Beispiele von parlamentarischen Geschäften, in denen menschenrechtliche Argumente zwar eingebracht wurden, jedoch kaum oder nichts fruchteten. Zum Glück gibt es auch andere Beispiele.

Zwei Wege zum Ziel?

Eine erste Methode zur Erreichung des Ziels der Schwächung der normativen Kraft von menschenrechtlichen Argumenten besteht, wie oben bereits angetönt, in der systematischen Diffamierung von denen, die solche Argumente mit Fachkompetenz vortragen. Es wird polemisch so getan, als würden diese Leute das in ihrem eigenen Machtinteresse tun. Denn das Völkerrecht – so belehrt uns Engeler als kleiner Foucault – sei ja ohnehin «ein reines Produkt der Macht». Die Abwertung und das Lächerlichmachen von Völkerrechtsexperten/-innen als «fremde Vögte» etc. soll über kurz oder lang eine über die SVP hinaus gehende Erosion der Glaubwürdigkeit von ausgewiesenen juristischen Fachpersonen bewirken. Angesichts der Tatsache, dass bereits heute menschenrechtliche Argumente bei vielen Politikern/-innen der Mitte kaum Gehör finden, ist die Strategie der Verunglimpfung als gefährlich einzustufen.

Die zweite mögliche Schiene der Zielerreichung ist eine institutionelle. Dem Vernehmen nach hat Blocher in einem Interview der «Mittelland-Zeitung» das schweizerische monistische Rechtssystem explizit in Frage gestellt, also die seit dem 19. Jahrhundert geltende Doktrin, wonach ratifizierte internationale Verträge in der Schweiz automatisch eine gewisse innerstaatliche Rechtswirkung erlangen. Offenbar liebäugelt er mit einem Wechsel hin zu einem dualistischen System, wonach ratifiziertes internationales Recht erst dann eine Rechtswirkung erlangt, wenn es ausdrücklich ins nationale Rechtssystem via Gesetzgebung überführt worden ist. Doch es ist äusserst fraglich, so bemerkt die «Neue Zürcher Zeitung» in einem informativen Artikel vom 15. August 2007, ob ein solcher Systemwechsel in der Praxis überhaupt machbar wäre. Mehr noch: Ist das dualistische System mit der direkten Demokratie überhaupt zu vereinbaren, ohne dass eine starke Rechtsunsicherheit entsteht? Ob es dem Macher Blocher bewusst ist, dass dieser Wechsel kein gangbarer Weg ist, wissen die Götter. Entweder handelt es sich um eine Illusion oder um eine Täuschung im Dienste der fundamentalistischen «volks-demokratischen» Rhetorik.

Im Oktober 2007 hat sich die Rechtskommission des Ständerates mit dem Thema des Verhältnisses Völkerrecht / Landesrecht befasst und hielt eine Aussprache dazu mit dem Vorsteher des Eidg. Justiz- und Polizeidepartementes. Die Kommission schreibt in ihrer Medienmittielung folgendes: «In der Schweiz bilden Völkerrecht und Landesrecht eine Rechtsordnung. Es ist jedoch nicht immer eindeutig, wie Bundesgesetze oder Volksinitiativen behandelt werden sollen, die gegen Völkerrecht verstossen. Die Kommission ist der Ansicht, dass man solche Fragen differenziert angehen sollte und hat deshalb ein Postulat eingereicht, welches den Bundesrat beauftragt, u. a. zu prüfen, welchen Stellenwert das Völkerrecht für die Schweiz und innerhalb der Schweizer Rechtsordnung hat, ob allenfalls der Dualismus (Getrenntheit von nationalem und internationalem Recht) den Monismus (Einheit von nationalem und internationalem Recht) ablösen soll und ob die so genannte "Schubert-Praxis" weiterhin gilt. Diese besagt, dass spätere Bundesgesetze früherem Völkerrecht vorgehen, wenn der Bundesgesetzgeber sich bewusst war, dass das Bundesgesetz dem internationalen Recht widersprechen könnte.»

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