24.09.2024
Medienmitteilung, 24.09 2024
zur ausserordentlichen Session «EMRK» im Ständerat
Am Mittwoch wird im Ständerat die Motion 24.3485 («Der EGMR soll sich an seine Kernaufgaben erinnern») debattiert, die vom Bundesrat zur Annahme empfohlen wird. Mit der Motion wird die Unabhängigkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte EGMR grundsätzlich in Frage gestellt. Durch die Annahme würde der Gerichtshof in seiner wichtigen Aufgabe geschwächt, Korrekturen im innerstaatlichen Recht zum Schutz fundamentaler Rechte zu verlangen. Wie bedeutsam dies für die Schweiz ist, zeigen historisch relevante Beispiele wie die Einführung des Frauenstimmrechts im Zuge der Ratifizierung der EMRK, die Stärkung der Verfahrensrechte im Strafprozessrecht sowie der Garantien im Straf- und Massnahmenvollzug.
Es gehörte schon immer zu den Kernaufgaben des EGMR, die Staaten darin zu unterstützen, ihre Gesetze menschenrechtskonform auszugestalten. Der Gerichtshof hat seit den 70er-Jahren durch seine Rechtsprechung gewichtige Impulse für die Schweiz ausgelöst, um grundrechtliche Mängel im innerstaatlichen Recht zu korrigieren. Wichtige Beispiele sind die wiederholt festgestellten Verletzungen des Rechts auf ein faires Verfahren gemäss Artikel 6 EMRK. Durch diverse EGMR-Urteile konnte etwa sichergestellt werden, dass Asbestopfer Zugang zu Schadenersatzforderungen haben, zudem wurden bei Obhutsstreitigkeiten Beschwerdemöglichkeiten geschaffen, und die unverhältnismässige lange Verfahrensdauer vor Schweizer Gerichten wurde reduziert. Mit diesen Urteilen wurde die Schweiz verpflichtet, Anpassungen im geltenden Recht vorzunehmen.
Die Praxis des EGMR hat ausserdem zur Vereinheitlichung des schweizerischen Strafverfahrens beigetragen sowie Grundsätze der Verfahrensgerechtigkeit in der schweizerischen Strafprozessordnung entscheidend mitbeeinflusst. Dazu gehören etwa der Anspruch auf eine Pflichtverteidigung für angeklagte Personen, das Verwertungsverbot von illegal erworbenen Beweisen sowie die Befreiung von Verfahrenskosten für Angeschuldigte, die freigesprochen werden. Zudem wurden gestützt auf die Rechtsprechung des Menschenrechtsgerichtshofs mit der Totalrevision der Bundesverfassung von 1999 allgemeine Verfahrensgarantien (Art. 29 BV), eine Garantie speziell in Verfahren vor Gerichten (Art. 30 BV) und Garantien bei Freiheitsentzug (Art. 32) eingeführt. Speziell zu betonen ist ausserdem die Einführung des Rechtsmittels auf Revision, mit dem vor Bundesgericht die erneute Beurteilung eines Falles beantragt werden kann, wenn der EGMR eine Verletzung der EMRK festgestellt hat.
Diese fundamentalen Anpassungen des Schweizer Rechts an die menschenrechtlichen Vorgaben waren nur möglich, weil die Richter*innen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ihre Urteile unabhängig und frei fällen konnten. Daher erwartet die NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz vom Ständerat, die Motion Caroni abzulehnen.
In der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz haben sich über 100 schweizerische Nichtregierungsorganisationen zusammengeschlossen. Die Organisationen aus der deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Schweiz vertreten das ganze Spektrum der Menschenrechtsarbeit und setzen sich gemeinsam für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte in der Schweizer Innen- und Aussenpolitik ein.
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Tarek Naguib
Koordinator der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz
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