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Aufruf zur Fortsetzung der humanitären Tradition der Schweiz auch im Nahost-Konflikt

22.10.2024

Offener Brief an die Mitglieder der aussenpolitischen Kommission des Ständerates (APK-S), 22.10.2024

 

Sehr geehrte Mitglieder der aussenpolitischen Kommission des Ständerates

Die unterzeichnenden Organisationen begrüssen, dass die Uno-Generalversammlung der Schweiz als Depositarstaat der Genfer Konventionen im September das Mandat erteilt hat, ein Treffen der Vertragsparteien über den Nahost-Konflikt einzuberufen. Mit Blick auf diese Konferenz, die innerhalb der kommenden sechs Monate stattfinden soll, möchten wir auf die wichtige Rolle der Schweiz in diesem Konflikt hinweisen.

Je mehr sich die Lage in Israel, im besetzten palästinensischen Gebiet und dem Libanon verschärft, umso wichtiger wird die Versorgung der Zivilbevölkerung in der Region. Das Uno-Hilfswerk für die palästinensischen Flüchtlinge (UNRWA) hat den humanitären Auftrag, den Palästinaflüchtlingen Hilfe und Schutz zu gewähren, bis eine gerechte und dauerhafte Lösung für ihre Notlage vorliegt. Seit dem 7. Oktober 2023 ist die Handlungsfähigkeit der UNRWA im Gazastreifen stark eingeschränkt. Sie bleibt dennoch die grösste humanitäre Akteurin in Gaza und auch im Libanon. Zahlreiche humanitäre Organisationen haben in den letzten Monaten immer wieder bestätigt, dass keine andere Organisation oder Behörde die Aufgaben der UNRWA übernehmen kann. Während der Suche nach einer politischen Lösung für den Nahostkonflikt, bleibt die UNRWA ein wichtiger Stabilitätsfaktor in der Region, wo sie grundlegende Dienstleistungen bietet.

Mit ihren 13'000 Mitarbeitenden im Gazastreifen erreicht die UNRWA mehr Menschen als jedes andere Hilfswerk. Über 1,4 Millionen Menschen sind laut dem letzten Update der OCHA direkt von der Hungersnot betroffen und haben im September keine Nahrungsmittelrationen erhalten. Fast 300’000 Kinder im Alter zwischen 6 Monaten und 5 Jahren sind zum Teil stark unterernährt. Aufgrund der zerstörten Infrastruktur und der andauernden Bombardierungen ist die medizinische Versorgung im Gazastreifen fast komplett zum Erliegen gekommen. Der Zugang für Hilfsorganisationen wird von Israel stark beschränkt bis verunmöglicht, zuletzt durch die
Entscheidung, den Generalsekretär der Uno zur «Persona non-grata» zu erklären.

Trotz dieser Situation hat der Nationalrat am 9. September 2024 vorgeschlagen, alle weiteren Schweizer Beiträge für die UNRWA einzustellen. Und das, obwohl der Bundesrat – nach Zustimmung beider aussenpolitischen Kommissionen − noch im Mai dieses Jahres dem Hilfsappell der UNRWA gefolgt war und eine erste Tranche von 10 Millionen Franken ausbezahlt hatte. Der Entscheid des Nationalrats ist nicht nur mit Blick auf die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen niederschmetternd, er ist ein Zeichen für die Abkehr der Schweiz von ihrer humanitären Tradition und von ihren Verpflichtungen im humanitären Völkerrecht. Er ist besonders stossend nach dem Entscheid des Internationalen Gerichtshofs (IGH) im Januar 2024, dass Israel sofort Massnahmen ergreifen muss, um einen drohenden Völkermord zu verhindern und humanitäre Hilfe im Gazastreifen sicherzustellen. Alle Staaten haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Massnahmen des IGH umgesetzt werden und die humanitäre Hilfe für die palästinensische Zivilbevölkerung im Gazastreifen gewährleistet ist. Der Nationalrat riskiert somit auch, dass die Schweiz diesem Urteil direkt widerspricht.

Seit der Entscheidung im Nationalrat hat sich der Konflikt in Gaza weiter ausgedehnt, und insbesondere im Libanon verschärft sich die Situation massiv. Auch dort spielt die UNRWA eine unersetzbare Rolle für die humanitäre Reaktion und die Betreuung von geflüchteten Personen aus den palästinensischen Gebieten, Syrien und dem Libanon selbst, und trägt somit entscheidend zur Stabilität des Landes und der Region bei. In dieser Situation den Kollaps der Organisation zu riskieren, wäre kurzsichtig, unverantwortlich und nicht mit den Interessen und Werten der Schweiz vereinbar.

Stellen Sie sich als Mitglied der Chambre de Reflexion auf die Seite der Menschlichkeit! Wir bitten Sie als Mitglieder der aussenpolitischen Kommission des Ständerats, den Fehlentscheid des Nationalrates zu korrigieren, der katastrophale Auswirkungen auf das Leben und das Überleben von Millionen Menschen hat. Die Schweiz wäre neben den USA das einzige Land, das die lebensnotwendigen Zahlungen an die UNRWA sistiert.

Ziel der Uno-Konferenz in der Schweiz muss ein Bekenntnis aller beteiligten Parteien sein, die Genfer Konventionen einzuhalten und das Völkerrecht als Grundlage für eine Lösung des Nahost-Konfliktes zu respektieren. Wenn die Schweiz ihrer humanitären Tradition treu bleiben will, muss sie sich daneben weiterhin für einen Waffenstillstand und für die humanitäre Hilfe in Gaza und im Libanon einsetzen.

Die Abstimmung über die Weiterfinanzierung der UNRWA ist deshalb auch eine Abstimmung über den Stellenwert des internationalen Rechts in der Schweiz und über unsere humanitäre Tradition. Eine Einstellung der UNRWA-Finanzierung würde die Glaubwürdigkeit der Schweiz als Gastgeberin der geplanten Uno-Konferenz beschädigen und ihre diplomatischen Bemühungen sabotieren.

Mit freundlichen Grüssen,

Alexandra Karle, Amnesty International Schweizer Sektion
Andreas Missbach, AllianceSud
Tarek Naguib, NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz
Forum für Menschenrechte in Israel / Palästina
Andrea Nagel, Frieda – die feministische Friedensorganisation
Guy Bollag, Jüdische Stimme für Demokratie und Gerechtigkeit in Israel/Palästina
Morgane Rousseau, Médecins du Monde Switzerland
Geri Müller - Gesellschaft Schweiz-Palästina
Ina autra senda - Swiss Friends of Combatants for Peace (Kollektiv)
medico international schweiz
Peace Watch Switzerland

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Tarek Naguib
Koordinator der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz

tarek.naguib@humanrights.ch
031 301 06 73
Bürozeiten: Mo-Mi

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