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Ein kleiner Schritt zur Stärkung des Demonstrationsrechts

04.02.2025

Während des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos im Jahr 2023 wurde der Organisation «Strike WEF» von den kantonalen Behörden der Zugang zu einer Kantonsstrasse verweigert, die sie für ihre Demonstrationszug benutzen wollte. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut und befand, dass die Verlegung der gesamten Route einen unverhältnismässigen Eingriff in die Meinungs- und Versammlungsfreiheit darstelle.

Im November 2022 reichte die Organisation «Strike WEF» einen Antrag auf eine zweitägige «Winterwanderung für Klimagerechtigkeit» während des Weltwirtschaftsforums 2023 ein. Vier Tage vor der Veranstaltung verweigerten die Bündner Behörden den Zugang zur Kantonsstrasse nach Davos und forderten die Teilnehmer*innen auf, ihre Wanderung auf Nebenstrassen und Wanderwegen durchzuführen. In seinem Urteil vom 8. Oktober 2024 hiess das Bundesgericht die Beschwerden der Organisatoren der Winderwanderung gut und erinnerte daran, dass die Grundrechte in beschränktem Masse ein Recht auf Nutzung des öffentlichen Grundes vorsehen für Demonstrationen, mit denen die Bevölkerung angesprochen werden soll.

Der Schutz des Demonstrationsrechts ist in der Schweiz jedoch bei weitem noch nicht ausreichend, da in vielen Kantonen nach wie vor eine Praxis der Abschreckung vorherrscht.

Bundesgericht widerspricht Routenverbot

Das Bundesgericht lässt die Beschwerde eines Demonstrationsorganisators gegen das von den Bündner Behörden verhängte Verbot zu. Der Beschwerdeführer hatte am 10. November 2022 ein Bewilligungsgesuch für einen Marsch am Samstag, 14. Januar 2023 auf der Kantonsstrasse von Küblis nach Klosters Platz eingereicht. Die Anzahl der erwarteten Teilnehmer*innen belief sich auf maximal 300 Personen. Am 10. Januar 2023 verweigerte das kantonale Tiefbauamt die Bewilligung für die Benutzung der Kantonsstrasse und das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden wies die vom Veranstalter gegen diesen Entscheid eingereichten Beschwerden ab.

In seinem Urteil kommt das Bundesgericht zu dem Schluss, dass die Verweigerung der Benutzung der Kantonsstraße auf der gesamten Strecke durch die Bündner Behörden nicht zulässig war. Nach Ansicht des Obergerichts hätte diese Route auf bestimmten Abschnitten und unter bestimmten Bedingungen genehmigt werden können, da die Verlegung der gesamten Route ausserhalb die Kantonsstraße einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Meinungs- und Versammlungsfreiheit darstellte. Entsprechende Grundrechte verleihen in begrenztem Umfang das Recht, den öffentlichen Grund für Veranstaltungen zu nutzen, die eine publikumswirksame Wirkung vorsehen.

Das Obergericht erinnert daran, dass anlässlich des WEF 2020 ein Demonstrationsmarsch entlang der Kantonsstrasse vom Tiefbauamt bewilligt worden war und ohne Schwierigkeiten stattgefunden hatte. So gab es nach Ansicht der Richter*innen keine Hinweise auf Probleme, die die Verweigerung einer ähnlichen Bewilligung gerechtfertigt hätten, weil die allgemeinen Gefahren für die Verkehrssicherheit der Benutzung der Kantonsstrasse für die Demonstration nicht entgegenstanden. Das Bundesgericht ist der Ansicht, dass eine weniger einschneidende Massnahme angehordnet hätte werden können, indem man beispielsweise auf bestimmten Abschnitten die Benutzung einer einzigen Spur der Kantonsstrasse erlaubt hätte.

Die Richter*innen in Monrepos kommen ausserdem zum Schluss, dass das Recht des Veranstalters auf Prüfung seines Antrags innerhalb einer angemessenen Frist verletzt wurde. Die kantonalen Behörden hatten bereits am 16. Dezember 2022 entschieden, dass die gewählte Route nicht genehmigt werden würde, sodass eine Entscheidung trotz der Weihnachtsfeiertage im Jahr 2022 hätte gefällt werden müssen.

Andere Haltung gegenüber der Strassenblockade

Während das Bundesgericht in diesem Fall einen Aspekt des Demonstrationsrechts verteidigt, war es in seinem Urteil vom 16. Januar 2024 zu einem Fall, bei dem es um die Blockade einer Strasse durch Klimaaktivisten in Lausanne ging, wesentlich restriktiver . Im Dezember 2019 hatten sich Demonstrantinnen und Demonstranten auf der Rue Centrale in Lausanne versammelt, ohne vorher eine Genehmigung einzuholen. Nachdem sie ihre Aktion bei den Lausanner Verkehrsbetrieben angekündigt und ihre Forderungen an die Behörden weitergeleitet hatten, blockierten sie rein durch ihre Präsenz den Verkehr. Nach mehreren Aufforderungen, den Ort zu verlassen, wurden die Teilnehmer*innen von der Polizei evakuiert und wegen Verstosses gegen die Strassenverkehrsordnung und gegen die Demonstrationsbewilligungspflicht, verurteilt.

Das Bundesgericht war der Ansicht, dass die Verurteilung der Beschwerdeführenden insbesondere wegen Verletzung des Strassenverkehrsgesetzes (SVG) nicht gegen die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art. 11 Abs. 2 EMRK) verstosse, da die durch ihre Aktion verursachte Störung zu gross gewesen sei. Der Gerichtshof stellte hingegen fest, dass die Freiheit, an einer friedlichen Versammlung teilzunehmen so wichtig ist, dass eine Person grundsätzlich dafür nicht bestraft werden kann, dass sie aber eingeschränkt werden muss, wenn die Sicherheit auf dem Spiel steht oder wenn die verursachte Störung zu gross ist. Die Richter*innen kamen zum Schluss, dass nur die Organisator*innen einer Demonstration wegen des Verstosses gegen die Pflicht, eine vorherige Genehmigung einzuholen, verurteilt werden können. Sie erinnerten daran, dass die Möglichkeit der Teilnehmer*innen zur Meinungsäusserung gegeben sein muss.

Das Demonstrationsrecht unter Druck

Im Rahmen ihrer Kampagne «Protect the protest» erinnert Amnesty International daran, dass «friedliche Demonstrationen ein Grundrecht sind – auch ohne eine von den Behörden ausgestellte Genehmigung – und dass gewaltloser ziviler Ungehorsam eine durch das Völkerrecht geschützte Ausdrucksform ist». Ein von der Menschenrechtsorganisation erstellter Bericht prangert an, dass fast alle Kantone die Ausübung des Demonstrationsrechts durch die Einführung eines Bewilligungssystems einschränken und somit abschrecken, was im Widerspruch zu den internationalen Verpflichtungen der Schweiz in Bezug auf die Versammlungsfreiheit steht. In einer Stellungnahme erinnert Amnesty Schweiz daran, dass der Staat im Rahmen seiner Verpflichtung zur Verwirklichung des Demonstrationsrechts die Polizeikosten für die Aufrechterhaltung der Ordnung oder die Ermöglichung friedlicher Demonstrationen übernehmen muss, auch wenn dies die Lenkung des Verkehrs einschliesst.

Im Kanton Freiburg sind die Organisatoren von Demonstrationen mit besonders hohen Hürden konfrontiert. Die Kantonspolizei stellt ihre - oft unverhältnismässigen - Einsatzkosten für politisch motivierte Demonstrationen in Rechnung, auch wenn es keine Ausschreitungen gibt. Die Organisatoren müssen zudem Verwaltungsgebühren für die Bewilligung von Veranstaltungen zahlen, das Gelände nach der Veranstaltung reinigen und eine Haftpflichtversicherung abschliessen. Eine Anfang 2024 gegründete Koalition hat vor Gericht gegen die Erhebung von Gebühren für die Verkehrsregelung im Zusammenhang mit Demonstrationen geklagt. Eine im Grossen Rat des Kantons Fribourgs eingereichte Motion verlangt eine Präzisierung von Artikel 42 des kantonalen Polizeigesetzes (PolG), damit Veranstaltungen mit politischem Charakter weiterhin unter die ordentliche Regelung von Art. 42 Abs. 1 PolG bleiben, da sie keine Gegenleistung vorsehen.

In ihrem Bericht 2024 prangert die «Coordination genevoise pour le droit de manifester» Folgendes an: Das Bewilligungssystem des Kantons Genf, die zunehmenden Einschränkungen der Demonstrationsrouten, das Verfahren zur Erlangung von Bewilligungen sowie Einschüchterungen wie Geldstrafen, die manchmal an Teilnehmer*innen von Demonstrationen wegen Befehlsverweigerung, Störung der öffentlichen Ordnung oder Verletzung des Verkehrsgesetzes ausgestellt werden.