20.02.2025
Eine Studie des Instituts Gfs Bern zeigt auf, dass Queerfeindlichkeit in der Schweiz zugenommen hat. Einerseits ist die Bevölkerung gegenüber Themen der LGBTQIA+-Community grundsätzlich offen, andererseits macht ein erheblicher Teil dieser Gemeinschaft regelmässig Erfahrungen mit Diskriminierung. Es wird sich zeigen, ob die Erweiterung des Diskriminierungsverbots in Art. 261bis auf sexuelle Orientierung und Geschlecht ausreicht, um die Situation zu verbessern.

Seit einiger Zeit ist zu beobachten, dass insbesondere rechte Politiker*innen das LGBTQIA+-Thema bewirtschaften, und zwar auf despektierliche Art und Weise. Ein Beispiel: Die St. Galler SVP-Ständerätin Esther Friedli spricht von «Auswüchsen» und «Gender-Wahn», will die «Freiheit verteidigen» und sagt «nein zur absurden Gender-Politik der Luxuslinken». Diese Wortwahl zeigt, es geht ihr nicht allein um den Genderstern oder gar die Lesbarkeit der deutschen Sprache, sondern um Queer-Menschen im Allgemeinen und schlicht um Aufmerksamkeit. Sie suggeriert, es handle sich um konstruierte – insbesondere linke – Probleme.
Die Hetze ist laut und oft beleidigend; dennoch handelt es sich offenbar um eine Minderheit, die sich hier lautstark gegen eine andere Minderheit bemerkbar macht. So lehnte kürzlich das Stadtzürcher Stimmvolk die SVP-Initiative «Tschüss Genderstern» mit einer guten Mehrheit bei einer Stimmbeteiligung von mehr als 50 Prozent ab.
Leider sind aber die pejorativen Begriffe, wie zum Beispiel «Gender Gaga» längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen und entfalten ihre Wirkung. Eine repräsentative Studie in der Bevölkerung und in der LGBTQIA+-Community vom November 2024 zeigt, dass Queerfeindlichkeit zugenommen hat in der Schweiz: «Die Bevölkerung ist gegenüber Themen der LGBTQIA+-Gemeinschaft (zwar) grundsätzlich offen und auch wohlgesinnt», fasst das Institut Gfs Bern, das diese Studie im Auftrag von Amnesty und weiteren Menschenrechtsorganisationen durchgeführt hat, das Ergebnis zusammen. Viele Anliegen würden von der Mehrheit grundsätzlich positiv bewertet. Gleichwohl zeigen die Forscher*innen auf, dass «insbesondere männliche, ältere, politisch rechtsstehende Personen und Menschen, die religiös sind, dazu neigen, sich weniger mit den Anliegen und Herausforderungen von LGBTQIA+-Menschen auseinanderzusetzen; sie zeigen tendenziell eine ablehnende Haltung». Ganz generell sei hier die Meinung weit verbreitet, dass LGBTQIA+-Themen viel zu viel Platz im öffentlichen, medialen und politischen Diskurs einnehmen würden.
Diskriminierungsverbot in der Verfassung
In der Bundesverfassung ist ein Diskriminierungsverbot verankert. Ausgangslage dieses Verbotes ist das Gleichheitsgebot: «Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren», wie es die Menschenrechtserklärung von 1948 in Artikel 1 vorsieht. Auch die Bundesverfassung schreibt in Artikel 8, Absatz 1 fest, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Und weiter in Absatz 2: «Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung».
Das einzige im schweizerischen Recht strafrechtlich verankerte Diskriminierungsverbot findet sich in Artikel 261bis des Strafgesetzbuches (StGB). Diese Bestimmung verbietet öffentliche rassistische Hetze (Abs. 1), Verleumdung (Abs. 2) und gegen die Menschenwürde verstossende Äusserungen auf Grund von rassistischen Zuschreibungen, Ethnie und Religion (Abs. 4). Mit der Volksabstimmung vom 9. Februar 2020 wurde diese Bestimmung um ein Verbot der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung ergänzt. Damit werden auch Personen geschützt, die aufgrund ihrer Homo-, Hetero- oder Bisexualität diskriminiert werden. Strafbar macht sich auch, wer einer Person wegen rassistischen Zuschreibungen, ihrer Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung eine öffentlich angebotene Leistung verweigert.
Im März 2024 verurteilte das Bundesgericht den bereits in Frankreich mehrfach wegen Beleidigungen verurteilten schweizerisch- französischen rechtsextremen Essayisten Alain Soral wegen Diskriminierung und Aufruf zu Hass aufgrund der sexuellen Orientierung. In einem Internetvideo hatte er eine Westschweizer Journalistin als «fette lesbische Aktivistin» beschimpft und sich diffamierend über Homosexuelle geäussert. Es ist das erste Urteil im Rahmen des seit Juli 2020 geltenden Diskriminierungsschutzes bezüglich der sexuellen Orientierung und legt einen weiteren Baustein zum Schutz der LGBTQIA+-Community in der Schweiz.
Parlament stellt Sexismus unter Strafe
Noch offen ist, ob eine weitere Ergänzung im Strafgesetzbuch ein abermaliger Baustein werden kann: Das Parlament beschloss in der Wintersession 2024 zwar, Aufrufe zu Hass und Gewalt aufgrund des Geschlechts unter Strafe zu stellen. Verurteilte können bis zu drei Jahre hinter Gitter kommen oder kassieren eine Geldstrafe. So soll Artikel 261bis im Strafgesetzbuch mit dem Wort «Geschlecht» ergänzt werden. Bisher machte sich strafbar, wer öffentlich eine Person oder eine Gruppe wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung diskriminierte oder gegen sie zu Hass aufrief. Neu sollen auch entsprechende frauen- oder männerfeindliche Äusserungen oder Handlungen bestraft werden können. Ob damit aber auch ein entsprechendes Verhalten gegen nonbinäre Personen oder andere Geschlechtsidentitäten strafbar wird, werden die Gerichte definieren müssen.
Der Weg zu einer inklusiven Gesellschaft ist noch weit
Die Gfs-Studie zeigt auf, dass ein erheblicher Teil der LGBTQIA+-Personen regelmässig Erfahrungen mit Diskriminierung macht. Beleidigungen, Bedrohungen und unangemessenes Anstarren gehören für viele mehr oder weniger zum Alltag. Schockierend sei, so formulieren es die Forscher*innen, dass etwa jede dritte Person in den letzten fünf Jahren körperliche oder sexuelle Übergriffe erlebt hat – die meisten dieser Vorfälle werden jedoch nie gemeldet.
Zwar haben die stärkere öffentliche Sichtbarkeit von LGBTQIA+-Personen sowie Fortschritte in Recht und Gesetz dazu beigetragen, Vorurteile, Intoleranz und Gewalt zu reduzieren. Dennoch gibt es auch gegenläufige Entwicklungen: «Die Hauptgründe für eine Verschlechterung der Situation werden häufig in polarisierenden und kontroversen Aussagen von Politik und politischen Parteien gesehen», schreiben die Studien-Autor*innen. Intoleranz wird also insgesamt weniger der Zivilgesellschaft zugeschrieben, vielmehr ist sie der politischen Rhetorik und Agitation geschuldet.
Daraus schlussfolgern die Forscher*innen: «Diese Dynamik zeigt, dass trotz positiver Fortschritte auf struktureller Ebene der Weg zu einer wirklich inklusiven Gesellschaft weiterhin mit Herausforderungen verbunden ist». Vor diesem Hintergrund sei auch der Wunsch zu verstehen, die Landesregierung möge mehr Massnahmen ergreifen, um eine Verbesserung der Alltagssituation von LGBTQIA+-Menschen in der Schweiz zu erzielen.
Dabei handelt es sich um Massnahmen, die das Diskriminierungsverbot wie es nun in Art. 261bis formuliert ist, in konkreten Alltagssituationen eine Wirkung entfalten lassen.
Weiterführende Hinweise
- Studie Gfs, Bern zur «Betroffenheit von queerfeindlicher Gewalt und Diskriminierung sowie der Wahrnehmung von LGBTIQ+ in der Bevölkerung», November 2024
- «Privatrechtliche Normen zum Schutz vor Diskriminierung», Dossier humanrights.ch, 23.04.2020
- «Sein dürfen», Transidentes Leben, WoZ; Nr. 48 vom 28.11.2024
Dieser Text wurde von Barbara Heuberger verfasst. Sie ist freie Journalistin mit Schwerpunkt Kinderrechte und schreibt regelmässig Texte für humanrights.ch.