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Rassismus im Bildungssystem: Bildungsgerechtigkeit - von Repräsentation und Teilhabe

07.09.2023

Seit einigen Jahren häufen sich die Meldungen von rassistischen Vorfällen im Bildungsbereich. Fundierte Studien mit rassismusrelevanten Daten dazu fehlen jedoch und die Erfahrungen von Betroffenen werden in der Schweiz (noch) nicht systematisch erhoben. In diesem Beitrag wird den Fragen nachgegangen, was genau das Etablieren einer rassismuskritischen Schulkultur bedeutet und was es für einen gerechteren Zugang im Schweizer Bildungssystem braucht.

Im Bereich der Schule wirken verschiedene Formen von Rassismus: Der offensichtliche zwischenmenschliche Rassismus sowie rassistische Diskriminierung auf institutioneller und struktureller Ebene. Letztere sind schwieriger zu erkennen, da diese eher subtil wirken. Sie lassen sich oft erst erkennen, wenn sich Meldungen dazu häufen und sich die Systematik dahinter offenbart.

Rassistische Denkweisen werden auch in der Schule weitergegeben

Das Weitergeben von rassistischem Wissen in Schule äussert sich auf unterschiedlichster Weise: Es fehlt an Repräsentation für rassifizierte Kinder, sowohl in Büchern in der Schulbibliothek wie auch ganz konkret in den genutzten Lehrmitteln. Hinzu kommt, dass viele Lehrmittel oftmals rassistische Stereotypen aufweisen. Damit werden rassistische Vorannahmen unhinterfragt weiter gelehrt. Das wertet die einen Kinder ab, die anderen auf und vertieft bereits bestehende gesellschaftliche Ungleichheiten. Die Lehrpersonen, die dies erkennen, sind auch mit diesem Problem auf sich gestellt und müssen entweder in zeitintensiver Arbeit eigene Arbeitsblätter erstellen oder sich überlegen, wie sie mit der Klasse das Gespräch darüber führen können.

Teilhabe und Zugang für alle ist in der Schweizer Bildung nicht genügend gewährleistet

Ein weiterer Aspekt betrifft das Selektionsverfahren. Der Lehrplan 21 hält fest, dass sich die Schule am grundlegenden Wert der Chancengleichheit orientieren soll und dass allen Kindern und Jugendlichen ermöglicht werden soll, ihr Potenzial bestmöglich zu entfalten. Wie verschiedene Studien aufzeigen, konnte diese angestrebte Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung in den Schweizer Schulsystemen bisher nicht überall verwirklicht werden. Es zeigen sich zwei Problematiken. Zum einen, dass die Selektion der Kinder mit bereits 12 Jahren sehr früh stattfindet. Und zum anderen, dass die Selektion nicht nur leistungs- und kompetenzorientiert vorgenommen wird, sondern stark von den Vorstellungen der Lehrpersonen abhängig ist, wie diese die Möglichkeiten des Kindes aufgrund der familiären Verhältnisse einschätzen. Dieser Bias verstärkt die Chancenungleichheit und bevorzugt überwiegend nordeuropäisch und schweizerisch gelesene Kinder.

Etablieren einer rassismuskritischen Schulkultur

Damit die Schulen rassismuskritische Orte werden, braucht es einerseits die Bereitschaft der Schulteams, sich mit Rassismus auseinanderzusetzen und andererseits eine grundlegende Veränderung des Schulsystems.

Ein wichtiger Aspekt ist, dass aktiv über Rassismus gesprochen wird. Das tönt banaler als es ist. Denn sowohl für die betroffenen Schulkinder wie auch Lehrpersonen als auch für die nicht Betroffenen macht es sichtbar, dass eine solche Diskriminierung nicht richtig ist. Das Sprechen entlastet die Betroffenen und stärkt alle, sich gegen Rassismus einzusetzen. Es braucht zusätzlich verbindliche Abmachungen, dass und wie bei rassistischen Vorfällen – seien diese im Schulzimmer, auf dem Pausenplatz oder im Teamzimmer – interveniert wird. Dies gibt denjenigen Sicherheit, die Rassismus erfahren, wie auch allen Involvierten, indem sie wissen, dass sie intervenieren dürfen, ja sogar müssen, und zeigt auf, wie sie dies tun können. Ähnlich wie bei einem medizinischen Notfall, müssen wir auch dafür geschult werden.

Was braucht es für einen gerechteren Zugang im Schweizer Bildungssystem?

Aufgrund all dieser Aspekte muss das Thema Rassismus Teil des Lehrplans werden. Wenn Rassismus ein Schwerpunkt ist, muss das Thema auch in der Aus- und Weiterbildung für Lehrpersonen aufgenommen sowie entsprechende Lehrmittel entwickelt werden. Es ist nötig, dass es systematische Angebote gibt, damit sich die Lehrpersonen mit dem Thema vertraut machen können und ihr eigenes Vorwissen reflektieren können. Damit kann die Sprach- und Handlungslosigkeit überwunden werden. So können wir unseren Kindern und Jugendlichen eine diskriminierungsarme Lernumgebung ermöglichen – für eine möglichst grosse Chancengleichheit und einen vollständigen Schutz vor Diskriminierung. Denn das ist doch das Ziel und steht so auch in Artikel 2 (Chancengleichheit) und Artikel 8 (Nichtdiskriminierung) unserer Verfassung.

Zusammenfassung des Gastbeitrags im Rassismusbericht 2022 von Rahel El-Maawi, Dozentin für Soziokultur und Social Justice Trainerin. Sie ist Co-Autorin des Buchs «No to Racism – Grundlagen einer rassismuskritischen Schulkultur» hep Verlag, 2022.