18.01.2024
Im Dokumentarfilm «Die Anhörung» durchleben vier abgewiesene Asylbewerber*innen die Anhörung zu ihren Fluchtgründen noch einmal und beleuchten so den Kern des Asylverfahrens. Der Film gibt zum ersten Mal Einblick in die heikle Anhörungssituation und stellt damit das Asylverfahren selbst in Frage. Wird es den Befragten diesmal gelingen, ihre traumatischen Erlebnisse so zu schildern, dass sie den offiziellen Kriterien genügen? Im Rahmen einer Filmpartnerschaft hat humanrights.ch mit einem der Protagonist*innen diese Fragen weiter vertieft.
Interview mit Pascal Onana* aus Kamerun, der im April 2018 einen Asylantrag gestellt hat. Noch heute kämpft er um eine Aufenthaltsbewilligung und vor allem für eine bessere, inklusivere Gesellschaft.
Herr Onana, zuerst einmal ganz herzlichen Dank, dass Sie mit uns nochmals über ihre Anhörung sprechen! Wie ist es dazu gekommen, dass Sie bei diesem Film mitgewirkt haben?
Ich wurde von Lisa Gerig, der Regisseurin des Films, kontaktiert, die von meiner Geschichte und meinen laufenden Projekten in der Schweiz gehört hatte. Ursprünglich hatte ich nicht vor, bei diesem Film mitzumachen, weil ich befürchtete, dass er sich negativ auf mein damals noch laufendes Asylverfahren auswirken würde. Wenn man über seinen Weg im Asylverfahren spricht, kommen auch Erinnerungen und Traumata hoch. Das wollte ich nicht nochmals und vor allem auch nicht bei jeder Ausstrahlung immer wieder erleben. Ich nahm mir also eine lange Bedenkzeit, dachte über die Ungerechtigkeiten nach, die es in diesem Verfahren und während den Anhörungen gibt. Und ich entschied mich, an diesem Projekt teilzunehmen. Ich habe es nicht für mich getan, denn für mich kommt es vielleicht etwas zu spät. Aber ich wünsche mir für die Zukunft, dass es wirklich grosse Veränderungen in diesen Anhörungen und in diesem Asylverfahren gibt.
Können Sie uns Einblick geben, wie sich jemand fühlt, der oder die zu einer solchen Anhörung durch das Staatssekretariat für Migration (SEM) muss?
Man fühlt sich wie in einem Verhör durch den Geheimdienst wegen angeblicher Straftaten, die man begangen haben soll. Man fühlt sich wie in eine Falle gelockt und in die Enge getrieben. Am Anfang wird einem mitgeteilt, dass man keine Angst zu haben braucht, dass man vertrauen kann. Aber dann wird man mit kaum verhüllten Drohungen konfrontiert, wenn man nicht mehr in der Lage ist zu vertrauen und alles zu erzählen. Während diesen Anhörungen fühlt man sich sehr einsam und sogar verlassen. Man durchläuft alle Zustände, insbesondere Angst und Scham. Wenn man quasi gezwungen ist, alles bis ins kleinste Detail zu erzählen, auch die Details, an die man sich nicht mehr erinnern kann oder über die man nicht sprechen kann, geht man völlig retraumatisiert aus der Anhörung hinaus. Von Anfang an ist das Prinzip klar, man weiss, wer alle Rechte und wer alle Pflichten hat. Von der Gestaltung des Raumes über den Tonfall bis hin zum Ablauf der Anhörungen scheint alles darauf ausgerichtet zu sein, den Befragten zu demoralisieren. Meine drei Anhörungen dauerten jeweils etwa acht Stunden. Ich überlasse es Ihnen, sich den Rest auszumalen...
Welches war für Sie der schlimmste Moment in der Anhörung?
Schon der Anfang ist beängstigend, beginnend mit dem Moment, in dem die Pflichten des Befragten aufgezählt werden. Beim Erklären der Rechte geschieht dies mit einer Deutlichkeit, die aufzeigt, dass es Konsequenzen für den weiteren Verlauf des Verfahrens haben kann, wenn man von diesen Rechten Gebrauch macht. Der Rest der Anhörung orientiert sich dann an diesem von Anfang an festgelegten Machtverhältnis.
Wie war das für Sie, Ihre Anhörung im Film nochmals durchleben zu müssen?
Das Team kennt mein Trauma, da wir lange darüber gesprochen haben. Wir haben versucht, Grenzen zu setzen. Ich hatte jedes Mal das Recht, eine Szene auszusetzen oder alles abzubrechen. Als ich an dieses Filmprojekt dachte und daran, was es an Aufklärung und Veränderung bewirken könnte, beschloss ich mich zu überwinden. Trotzdem werde ich mir den Film nicht oft anschauen, vielleicht ein- oder zweimal und nicht mehr.
Menschen im Asylverfahren haben einen wichtigen Grund, weswegen sie ihre Heimatländer verlassen. Sie erleben oft traumatisierende Dinge vor und während der Flucht. Auch Sie haben sehr schlimme Dinge erlebt. Wurde in Ihrer Anhörung auf diese Erlebnisse Rücksicht genommen?
Nein, ich persönlich hatte nicht diesen Eindruck, und das ist sehr schade! Ich hatte eher den Eindruck, dass es darum ging, mich zu brechen. Denn als ich während der Anhörung in emotionale Not geriet, erhielt ich ausser einer Pause kein Zeichen von Verständnis. Vielleicht hielten sich diese Personen aber ja auch nur an die Arbeitsanweisungen.
Wie denken Sie kann eine Person, die nicht in ihrem Land aufgewachsen ist und sozialisiert wurde, im Gespräch feststellen, ob sie die Wahrheit sagen oder nicht?
Ich glaube, es gibt allgemeine Techniken, bei denen man gestische oder sprachliche Muster analysiert, um festzustellen, ob eine Person etwas zu verbergen hat. Was die Anhörung im Asylverfahren betrifft, braucht man viel mehr als das. Man muss die kulturellen Verhaltensweisen sowie die spezifischen kulturellen und politischen Probleme kennen und vor allem in der Lage sein, sie zu verstehen.
Wie denken Sie, sollten solche Anhörungen aussehen, damit sich die Befragten ernst genommen fühlen?
Das ist eine grosse Frage, die ich in wenigen Zeilen beantworten soll, und es ist nicht einfach. Eigentlich muss alles neu überdacht werden. Der Mensch muss wieder in den Mittelpunkt gestellt werden. Man kann sehr wohl menschlich und mitfühlend sein und trotzdem Antworten erhalten und vielleicht sogar mehr Antworten als durch Drohungen. Ich muss sagen, dass menschlich und mitfühlend zu sein nicht bedeutet, lax oder gefällig zu sein, damit das nicht falsch verstanden wird. Abgesehen von Befragungen gibt es viele andere Möglichkeiten, Informationen zu überprüfen. Es ist nicht nötig, Asylsuchende dafür zu traumatisieren. Die Betreuung von Asylsuchenden, die nach der Anhörung retraumatisiert sind, muss ebenfalls gewährleistet werden. Der Albtraum lebt nach der Anhörung eigentlich wieder auf, aber das wird nicht berücksichtigt. Nach den Interviews werden wir nach Hause geschickt, ohne abzuklären, in welchem Zustand wir uns befinden und was in den nächsten Minuten, Stunden oder Tagen passieren kann.
*Name geändert
- Ab 25. Januar 2024 im Kino
Premieren
- Bern, Rex – Dienstag, 23. Januar, 20:00 Uhr
- Luzern, Bourbaki – Mittwoch 24. Januar, 18:10 Uhr
- Zürich, Riffraff – Donnerstag 25. Januar, 18:30 Uhr
- Winterthur, Cameo – Freitag 26. Januar, 20:00 Uhr
- St. Gallen, Kinok – Dienstag, 30. Januar, 18:00 Uhr