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Der journalistische Quellenschutz als Eckpfeiler der Pressfreiheit

10.11.2020

Der Quellenschutz ist nicht ein blosses Privileg von Journalisten*innen, sondern ein wesentliches Merkmal des Rechts auf Information. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stärkt das Zeugnisverweigerungsrecht der Medienschaffenden in der Schweiz.

In einem Urteil vom 6. Oktober 2020 kommt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zum Schluss, dass die behördliche Aufforderung an eine Journalistin, die Identität ihres Informanten offenzulegen, eine Verletzung der Pressefreiheit gemäss Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) darstellt.

Eine Journalistin berichtete 2012 in der «Basler Zeitung» über einen Haschisch- und Cannabis-Dealer. Die Basler Staatsanwaltschaft eröffnete daraufhin ein Strafverfahren gegen Unbekannt wegen Betäubungsmitteldelikten und forderte die Journalistin auf, Informationen über den Drogendealer preiszugeben. Diese verweigerte die Aussage.

Das Bundesgericht entschied in letzter Instanz, dass sich die Journalistin im konkreten Fall nicht auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen könne. Der Handel mit weichen Drogen sei eine qualifizierte Straftat und das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung von Drogendelikten höher zu gewichten als das Interesse am Quellenschutz. Die Journalistin erhob daraufhin Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und machte eine Verletzung der Pressefreiheit geltend.

Verbotswirkung für die Presse

Der Schutz journalistischer Quellen stellt gemäss dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein Eckpfeiler der Pressefreiheit dar. Der Quellenschutz sei nicht ein Privileg für Journalisten*innen, sondern vielmehr ein wesentliches Merkmal des Rechts auf Information und müsse mit grösster Vorsicht behandelt werden. Ohne das Zeugnisverweigerungsrecht der Medienschaffenden würden Informant*innen möglicherweise davon abgehalten, die Presse bei der Beantwortung wichtiger Fragen von allgemeinem Interesse zu unterstützen. Die Mithilfe von Journalisten*innen bei der Identifizierung anonymer Quellen in einem Strafverfahren hätte eine Verbotswirkung und die Presse könnte ihre Rolle als «vierte Gewalt» im Staat möglicherweise nicht mehr wahrnehmen (vgl. Goodwin gegen Royaume-Uni, § 39 f.; Tillack gegen Belgien, § 65).

Angesichts der grossen Bedeutung, welche der Quellenschutz für die Pressefreiheit hat, sei die Offenlegung der Identität von Informant*innen in einer demokratischen Gesellschaft nur dann mit der Europäischen Menschenrechtskonvention zu vereinbaren, wenn eine entsprechende Aufforderung durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt werden könne. Einschränkungen des Quellenschutzes sind nur zulässig, wenn sie «in einer demokratischen Gesellschaft notwendig» sind (Art. 10 Abs. 2 EMRK).

Strafverfolgung vs. Quellenschutz

Die Schweizer Justizbehörden haben gemäss dem Urteil aus Strassburg keinen zwingenden Grund dafür, den Quellenschutz für die Medienschaffende zu missachten. Ein überwiegendes öffentliches Interesse zur Begründung einer Aussagepflicht sei nicht vorhanden.

Journalist*innen können nach Artikel 28a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs (StGB) und Artikel 172 Absatz 1 der Strafprozessordnung (StPO) Auskünfte über die «Identität des Autors oder über Inhalt und Quellen ihrer Informationen» verweigern, ohne sich dabei strafbar zu machen. Eine Ausnahme im Quellenschutz bilden die qualifizierten Betäubungsmitteldelikte nach Artikel 19 Absatz 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BetmG), bei deren Vorliegen die Medienschaffenden zur Aussage verpflichtet sind (vgl. Art. 28a Abs. 2 lit. b StGB, Art. 172 Abs. 2 lit. b Ziff. 4 StPO).

Obwohl der Drogenhandel im Schweizerischen Strafgesetzbuch zu den Straftaten gehört, die eine Ausnahme vom Quellenschutz rechtfertigen (Art. 28a Abs. 2 lit. b StGB), vermag dieser Umstand allein noch nicht die Verpflichtung zur Offenlegung einer Quelle zu begründen. Vielmehr muss gemäss dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im konkreten Fall das Interesse des Staates an der Strafverfolgung dem Interesse der Journalistin am Schutz ihrer Quelle gegenübergestellt werden. Dabei sei zwar relevant, dass die Journalistin als einzige den Strafbehörden bei der Identifizierung des Drogenhändlers hätte helfen können. Die Tatsache, dass ohne ihre Hilfe die strafrechtliche Untersuchung nicht vorankommt, vermag die Missachtung des Quellenschutzes jedoch nicht zu begründen.

Ob Journalist*innen zur Offenlegung ihrer Quellen verpflichtet sind, hängt gemäss der Begründung der Richter*innen vielmehr auch davon ab, welche Straftat Anlass zur Strafuntersuchung gegeben hat. Im vorliegenden Fall sei die dem Drogendealer angelastete Haschisch- und Canabishandel jedoch nur von geringer Schwere. Zudem bestehe ein öffentliches Interesse am Bericht der Journalistin: Dieser zeigt auf, dass der Drogenhändler jahrelang sein Geschäft betreiben konnte, ohne dabei von den Behörden entlarvt zu werden.

Die Aussageverpflichtung der Journalistin könne nicht zuletzt auch nachteilige Auswirkungen für den Ruf der Basler Zeitung haben: Bei potenziellen Informant*innen und Quellen hätte das Urteil des Bundesgerichtes in Zukunft abschreckend Wirkung. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kommt aus diesen Gründen zum Schluss, dass der Eingriff in die Pressefreiheit der Beschwerdeführerin nicht als «in einer demokratischen Gesellschaft notwendig» erachtet werden kann und das Bundesgerichtes gegen Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstossen hat.

Meilenstein für die Pressefreiheit

In Anbetracht des massiven Drucks, der weltweit auf der Pressefreiheit lastet, ist das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sehr zu begrüssen. Der Quellenschutz ist als Eckpfeiler der Pressefreiheit für die Arbeit der Medien und die freie Meinungsbildung in der Gesellschaft von ungemeiner Bedeutung.

In diesem Sinne zeigen sich auch der Journalistenverband Impressum und die Schweizer Sektion von Reporter ohne Grenzen (RSF) erfreut über das Urteil aus Strassburg: Medienschaffende könnten ihre Rolle als «watchdog» nur wahrnehmen, wenn sich ihre Informant*innen – insbesondere «Whistleblower*innen» und Informant*innen aus dem kriminellen Umfeld – auf absolute Vertraulichkeit und Diskretion verlassen können. Gemäss Reporter ohne Grenzen «müssen die Justizbehörden alle notwendigen Konsequenzen aus diesem Urteil ziehen und künftig den Vorrang des Prinzips des Quellenschutzes von Journalisten klar anerkennen.»

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