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Menschenrechtliche Sorgfaltspflicht für Unternehmen: Gesetz in Frankreich

08.05.2017

Nach jahrelangem Ringen wurde in Frankreich ein neues Gesetz zu transnationalen Unternehmen verabschiedet. Das Gesetz verpflichtet grosse Unternehmen, Massnahmen zu ergreifen, um Menschenrechts- und Umweltrisiken zu identifizieren und diesen vorzubeugen. Der Gesetzesentwurf über unternehmerische Sorgfaltspflichten (Loi relative au devoir de vigilance des sociétés mères et des entreprises donneuses d'ordre) wurde am 21. Februar 2017 von der Nationalversammlung angenommen. Am 23 März 2017 bestätigte zudem der Verfassungsrat, dass der Gesetzesentwurf grösstenteils verfassungskonform ist.

Die Konzernverantwortungsinitiative fordert seit längerem ähnliche Mechanismen in der Schweiz. Bisher ohne Erfolg (lesen Sie hierzu unseren Artikel).

Was verspricht das neue Gesetz?

Im Jahr 2013 ist in Bangladesch das Gebäude Rana Plaza eingestürzt. Tausende Arbeiterinnen und Arbeiter, die für europäische Textilhersteller produzierten, kamen dabei ums Leben. Die betroffenen transnationalen Unternehmen weigerten sich, eine angemessene Entschädigung zu zahlen. Sie schoben die Verantwortung auf die mangelnden lokalen Vorschriften. Dieses dramatische Ereignis setzte in Frankreich den Prozess für die Schaffung eines verbindlichen Gesetzes für transnationale Unternehmen in Gang.

Nach langem hin und her wurde schlussendlich ein Gesetz verabschiedet, welches nützliche Instrumente bietet, um Konzerne zur Verantwortung zu ziehen. In Frankreich ansässige Unternehmen mit mindestens 5.000 Beschäftigten in Frankreich oder mit 10.000 Beschäftigten weltweit fallen unter das Gesetz. Etwa 150 Unternehmen, darunter Danone, Renault und Total, müssen nun einen Vorsorgeplan zur Einhaltung ihrer Sorgfaltspflichten erstellen. Der Plan soll aufzeigen, wie die Unternehmen dafür sorgen, dass entlang der gesamten Wertschöpfungskette die Menschenrechte und die Umwelt respektiert werden. Inspiriert von den OECD-Leitsätzen für transnationale Unternehmen und den UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechtemuss muss der zu veröffentlichende Vorsorgeplan eine Auslegeordnung der Risiken enthalten, um diese zu identifizieren, zu analysieren und zu hierarchisieren. Zudem müssen auch regelmässige Beurteilungen der folgenden Elemente vorgesehen sein: Angemessene Aktionen, um Risiken zu vermeiden und schweren Missachtungen vorzubeugen sowie ein Warnmechanismus und eine Sammlung von Anzeichen für mögliche Risiken.

Rückzieher bei den Sanktionen

Damit das Gesetz wirksam ist, müssen die Unternehmen dazu gebracht werden, diese neuen Verpflichtungen auch einzuhalten. Ende März 2017 hat der französische Verfassungsrat das Gesetz in Bezug auf die ursprünglich vorgesehenen Sanktionen allerdings stark abgeschwächt. Gemäss dem Gesetzesentwurf der Nationalversammlung wären die Unternehmen mit einer Busse von bis zu 10 Millionen Euro bestraft worden, wenn sie keinen solchen Plan erarbeitet hätten. Die Busse wäre sogar bis zu 30 Millionen Euro gewesen, falls Untätigkeit tatsächlich zu Menschenrechtsverletzungen geführt hätte. Über 60 Senatoren/-innen und Abgeordnete haben sich allerdings gegen den entsprechenden Gesetzesentwurf gewehrt und sich an den Verfassungsrat gewendet. Am 23. März 2017 entschied der Verfassungsrat sodann, dass die Verpflichtungen zur Sorgfaltsprüfung zu vage formuliert seien, um eine Nicht-Einhaltung mit Sanktionen zu bestrafen. Dabei beruft sich der Verfassungsrat auf den Grundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit von Tatbestand und Strafen.

Der Verfassungsrat entschied aber auch, dass die Verpflichtung, einen Plan zur Umsetzung der Sorgfaltspflichten zu erstellen, verfassungskonform sei. Auch die Möglichkeit des Richters, eine einstweilige Verfügung anzuordnen, falls das Unternehmen sich weigert, einen solchen  Plan zu erstellen, sowie die Haftungspflicht der Unternehmen hiess dar Verfassungsrat gut. Somit wird das Gesetz nicht substanzlos und kann konkret angewendet werden. Der Verfassungsrat betont zudem, dass dieses Gesetz ein wichtiges Ziel, welches von allgemeinem Interesse sei, verfolge.

Eine ähnliche Initiative in der Schweiz

Sandra Cossart von der NGO Sherpa, welche sich schon lange für das neue Gesetz eingesetzt hatte, sagte gegenüber Le Monde, dass das neue Gesetz ein grosser Fortschritt sei. Genau wie die European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) bezeichnet sie das neue Gesetz als einen historischen Schritt.

Auch in der Schweiz wird seit längerem auf einen solchen Schritt hin gearbeitet. Die Konzernverantwortungsinitiative – eine Koalition aus 80 Organisationen aus unterschiedlichen Bereichen –fordert einen ähnlichen Mechanismus, wie ihn das Gesetz in Frankreich vorsieht (lesen Sie hierzu unseren Artikel). Der Unterschied des französischen Gesetzes zur Konzernverantwortungsinitiative lag in jenen Punkten, welche der französische Verfassungsrat so oder so Rückgängig gemacht hatte. Die Initiative scheint daher mehr als nur vernünftig zu sein. Sollte die Konzernverantwortungsinitiative vom Schweizer Volk angenommen werden, könnten die Parlamentarier/innen über die Art der Sanktionen entscheiden. Zudem reduziert die Initiative das Anwendungsfeld des geplanten Gesetzes auf Unternehmen mit Sitz in der Schweiz. Das französische Gesetz betrifft auch Unternehmen, die in Frankreich nur aktiv sind, deren Sitz aber im Ausland liegt, sobald diese mehr als 10‘000 Mitarbeitende haben.

Trotzdem hat der Bundesrat die Initiative ohne Gegenvorschlag abgelehnt (lesen Sie hierzu unseren Artikel). Zudem hat er im Dezember 2016 einen zahnlosen «nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte» angenommen, der eigentlich dazu dienen sollte, dass Staaten Unternehmen besser zur Verantwortung ziehen können (lesen Sie hierzu unseren Artikel). Dies zeigt, dass die Behörden sich in diesem Themenbereich zu wenig engagieren, obwohl das Thema entscheidend ist und fast die ganze Bevölkerung betrifft. Eine Umfrage der Konzernverantwortungsinitiative vom Jahr 2016 zeigt, dass 92% der Schweizer Bevölkerung sich wünschen, dass Unternehmen die Menschenrechte und Umweltvorschriften auch im Ausland einhalten müssen.

Kommentar: Die Schweiz muss das Thema anpacken

Das neue Gesetz in Frankreich zeigt in aller Deutlichkeit, wie sehr die Schweiz in diesem Themenbereich im Rückstand liegt. Gleichzeitig kann das Gesetz der Schweiz auch als Vorbild dienen und kommt zu einem günstigen Zeitpunkt. Es zeigt, dass dieser Schritt möglich ist und wiederlegt ein gängiges Argument aus der Politik und Wirtschaft, wonach kein Land in diesem Bereich den ersten Schritt machen würde. Sollte ein Land diesen Schritt machen, hätte es einen bedeutenden Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Ländern und würde somit seine eigene Wirtschaft schwächen. Nun hat Frankreich den ersten Schritt gewagt, und die Schweiz kann folgen. Oder müsste man sogar sagen, dass es ihre Pflicht ist zu folgen?

Wenn die Schweiz nachzieht, so wird dies einen positiven Effekt auf andere Staaten haben und den Ball weiter ins Rollen bringen. Schliesslich sind andere Länder ebenfalls dabei, ähnliche Projekte zu verwirklichen. In den Niederlanden beispielsweise hat das Parlament im Februar 2017 ein Gesetz angenommen, welches die Sorgfaltspflicht von Unternehmen in Bezug auf Kinderarbeit regelt. Das Gesetz tritt 2020 in Kraft, wenn der Senat es billigt. Zudem ist anzunehmen, dass das französische Gesetz in Europa hohe Wellen schlagen wird. Bleibt zu hoffen, dass die Schweizer Parlamentarier/innen, welche den Bericht des Bundesrates über die Konzernverantwortungsinitiative besprechen, die Zeichen der Zeit erkennen. Der Abgeordnete Dominique Potier, welcher das französische Gesetz initiierte, hat einen sehr passenden Kommentar dazu gemacht: Wenn wir heute nicht fähig sind, die wirtschaftliche Globalisierung auf rechtlicher Ebene zu regeln, dann werden am Schluss extreme Positionen das Monopol über diesen Kampf erlangen.

Dokumentation