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Zugang zu Krankenversicherung für Sans Papiers – keine Lösung in Aussicht

30.05.2012

Zwischen 30‘000 und 150‘000 Sans Papiers leben in der Schweiz. Der Grossteil davon hat keine Krankenversicherung, obwohl diese in der Schweiz für alle obligatorisch ist. Der Zugang zu medizinischen Leistungen und das Recht auf Gesundheit (Art. 12 UNO-Pakt I, Art. 41 BV) dieser Personen sind stark eingeschränkt. Im Parlament haben einzelne Politiker/innen Druck gemacht, damit das Problem angegangen wird. Nach einer Analyse des Themas hält es der Bundesrat nun für wünschenswert, dass auch Sans Papiers über eine Krankenversicherung verfügen. Dennoch ist eine Lösung des Problems bisher nicht in Sicht.

Aktuelle Situation

Obwohl Sozialversicherungen für alle in der Schweiz lebenden Personen obligatorisch sind, seien 90 Prozent der Sans Papiers nicht versichert, schätzen NGOs. Ihr Zugang zur medizinischen Versorgung sei nicht sichergestellt. Sans Papiers haben demnach nicht nur Mühe für die Versicherungskosten aufzukommen. Ihr illegaler Aufenthaltsstatus ist auch ein oft unüberwindbares Hindernis beim Abschluss einer Versicherung. Dabei wären die Krankenkassen aufgrund einer Weisung des Bundesamts für Sozialversicherung verpflichtet, Papierlose zu versichern. Sind diese nicht im Stande die Kosten zu übernehmen, stünden ihnen zudem Prämienverbilligungen zu. Diese mit Blick auf die Grundrechte von Papierlosen sinnvolle Weisung des Bundes wird aber in der Praxis kaum berücksichtigt.

In dieser unbefriedigenden Situation haben die Beratungsstellen für Sans Papiers die Aufgabe übernommen, für ihre Klienten Anträge bei den Krankenkassen (auf Aufnahme in die Grundversicherung) sowie bei den Wohngemeinden (auf Bezahlung der Prämienverbilligung) einzureichen. «Für Sans Papiers ist es praktisch unmöglich, selbstständig einer Krankenkasse beizutreten», sagt Annagun von Reding von der Sans-Papiers-Gesundheitsversorgung beim Roten Kreuz in Bern gegenüber der Zeitung «Der Bund». Laut ihren Schätzungen sind derzeit bloss 10 Prozent der illegal Anwesenden krankenversichert. Wenig erfolgversprechend ist in der Regel auch ein Antrag auf Prämienverbilligung. Zwar wären die Kantone gemäss Bundesamt für Gesundheit zur Ausbezahlung verpflichtet. Reichen die Beratungsstellen in einem konkreten Fall Antrag bei einer zuständigen Gemeinde ein, wird dieser jedoch oft nicht weitergeleitet. Dagegen vorzugehen, ist einem Sans Papier kaum möglich.

Reaktionen auf Bundesebene

Das Problem wird unter anderem auch vom Bundesrat im Bericht «Krankenversicherung und Zugang zur Gesundheitsversorgung von Sans Papiers» angesprochen, den er im Mai 2012 veröffentlichte. Darin erstellt der Bundesrat eine Bestandesaufnahme der gegenwärtigen Situation und beschreibt das Spannungsfeld zwischen den Bestimmungen des Krankenversicherungsrechts, den aufenthaltsrechtlichen Bundesregulierungen und den Bestimmungen zur Meldepflicht und zum Datenschutz. Der Bundesrat betont ferner, dass eine Krankenversicherung für alle Sans Papiers sinnvoll sei.

Der Bundesrat hat den Bericht in Beantwortung eines Postulats von Bea Heim (09.3484) verfasst. In den vergangenen Jahren gab es auf Bundesebene zwei weitere Vorstösse, welche den Bundesrat dazu aufforderten, das Problem anzugehen. Es handelt sich dabei um die Interpellation Heim (09.4122) und die Dringliche Anfrage von Christine Goll (10.1053). Eine Motion von Alex Kuprecht (10.3203), welche vom Parlament abgelehnt wurde, forderte zudem die Aufhebung der Versicherungspflicht für Sans Papiers.

Der Bericht «Erleichterter Datenaustausch zwischen Bundes- und Kantonsbehörden» des Bundesrats tangiert das Thema ebenfalls. Im Zuge der Forderungen nach einer restriktiveren Einwanderungspolitik prüfen die Departemente EJPD, EDI und EVD derzeit, ob Asyl- und Ausländerbehörden informiert werden müssen, wenn Sans Papiers Sozialleistungen beziehen. Würde sich der Bundesrat für den Datenaustausch aussprechen, dürfte dies den Zugang zu medizinischen Leistungen für Sans Papiers zusätzlich erschweren.

Bisher hat der Bundesrat jedoch noch keine konkreten Anweisungen gegeben, wie er das Problem zu lösen gedenkt.

Aktivitäten seitens der NGOS

Auf Ebene der Zivilgesellschaft werden hingegen seit längerem Taten gefordert. Vertreter/innen der Organisationen ACAT und Solidarité sans frontières (Sosf) haben im März 2011 die Petition «Forderung nach einer gesicherten Krankenversicherung für Sans Papiers» bei der Bundeskanzlei deponiert. Das Begehren wurde von 7053 Personen unterzeichnet. Es kämpft für einheitliche Regeln bei der Gesundheitsversorgung von Sans Papiers. Acat schreibt dazu: «Sans Papiers leben unter schwierigen Bedingungen unter uns, weil sie aus unterschiedlichen Gründen keine bessere Wahl haben. Ihre Arbeit ist oft anstrengend und ungesund, ihre Situation wird nicht selten von Arbeitgebenden ausgenutzt. Dazu kommt der Stress des Lebens in der Illegalität, weit weg von Heimatland und Familie. All dies hat Folgen für die Gesundheit und das seelische Wohlbefinden. Sans Papiers sind unter diesen prekären Lebensbedingungen häufiger krank als andere Menschen. Psychosomatische Erkrankungen, Depressionen und chronische Krankheiten sind die häufigsten Erscheinungen.»

Derweil rief die regierungsübergreifende Global Migration Group in einem Erlass vom 30. September 2010 zu Sans Papiers die Staaten dazu auf, das Problem nicht allein aus dem Blickwinkel von Souveränität, Grenzsicherheit und Durchsetzung von ausländerrechtlichen Vorgaben anzugehen. Diese Vorgaben können gemäss dem Erlass nicht über der Verpflichtung der Staaten stehen, diesen Personen ihre international garantierten Rechte zukommen zu lassen und ihnen ein Leben in Würde und Sicherheit zu gewährleisten.

    Dokumentation

    Petition der NGOs

    Anlaufstelle