02.06.2014
Das Bundesgericht hat in einem Urteil vom 28. April 2014 eine dünne Linie zwischen dem strafbaren und dem nicht-strafbaren Zeigen des Hitlergrusses gezogen. Demnach ist der öffentlich gezeigte Hitlergruss laut Art. 261bis StGB nicht strafbar, wenn er hauptsächlich dem Ausdruck des eigenen Bekenntnisses zur Nazi-Ideologie dient. Denn weder die nazistische Gesinnung als solche noch das Bekenntnis zur Gesinnung sind in der Schweiz strafbar. Diese Rechtslage straft jene Rechtspopulisten/-innen Lügen, welche nicht müde werden zu behaupten, das Antirassismusgesetz sei das Instrument einer Gesinnungsjustiz.
Wann ist der Hitlergruss strafbar?
Zwei Falltypen sind relevant für die Beantwortung der Frage, wann der Hitlergruss strafbar ist: Zum einen, wenn mit dem Hitlergruss öffentlich für die Nazi-Ideologie geworben wird. Dies betrifft vor allem rechtsextreme Aufmärsche und andere Kundgebungen, welche sich in propagandistischer Absicht an ein Publikum richten. Zum andern, wenn der Hitlergruss gezielt gegen Personen wegen deren rassistischen Zuschreibungen, Ethnie oder Religion eingesetzt wird. Falls die betroffenen Angehörigen von Minderheiten plausibel machen können, dass dieser Akt gegen ihre Menschenwürde gerichtet war, liegt auch ein Verstoss gegen Art. 261bis StGB vor.
Das bedeutet: Zwar ist es in der Schweiz nicht – wie in einigen Nachbarländern – generell verboten, den Hitlergruss öffentlich zu zeigen; doch der öffentlich gezeigte Hitlergruss ist auch in der Schweiz in den meisten relevanten Fällen strafbar.
Skandalisierung der Rechtslage
Das vorliegende Bundesgerichts-Urteil hat wohl deshalb ein grosses Aufsehen bis hin zur Skandalisierung erregt, weil mit dem Ort des Geschehens, der patriotisch und nationalistisch aufgeladenen Rütliwiese, viel Symbolik im Spiel war. Zudem ist der Hitlergruss aufgrund seiner unzweideutigen geschichtlichen Bedeutung in breiten Kreisen der Bevölkerung moralisch verpönt und geächtet.
Doch diese breite moralische Ablehnung spiegelt sich nicht 1:1 in der geltenden Rechtslage. Der Entscheid des Bundesgerichts, diesen Fall von Hitlergruss als nicht strafbar zu taxieren, ist deshalb rechtlich gesehen vernünftig, weil sachlich ausreichend begründet.
Revision von Art. 261bis?
Nach diesem Bundesgerichtsurteil sind einmal mehr Stimmen von Politikern/-innen laut geworden, den Art. 261bis StGB um ein generelles Verbot von eindeutig nazistischen Symbolen zu ergänzen. Ein derartiges, allerdings breiter gefasstes Gesetzesprojekt zum Verbot rassistischer Symbole ist zwischen 2004 und 2010 sang- und klanglos gescheitert, und zwar letztlich an der breiten Skepsis, welche in der Vernehmlassung zum Ausdruck gekommen war.
Es ist in unterschiedlichen Problemlagen deutlich geworden, dass die Antirassismusstrafnorm Art. 261 bis StGB etliche Konstruktionsfehler inhaltlicher und juristischer Art aufweist. Dennoch wäre es ein Fehler, eine Gesamtrevision des Art. 261bis StGB zu fordern. Angesichts der grundsätzlichen Ablehnung des Art. 261bis StGB durch die politische Rechte wäre dies ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang.
Dokumentation
- BGer Urteil 6B_297/2013 vom 28. April 2014
- Öffentlicher Hitlergruss nicht in jedem Fall strafbar
Medienmitteilung des Bundesgerichts vom 21. Mai 2014 (pdf, 2 S.) - Abschreibung der Motion 04.3224 der RK-N vom 29. April 2004
Bericht des Bundesrats vom 30. Juni 2010 (pdf, 12 S.) - Wann der Hitlergruss erlaubt ist
Tages-Anzeiger vom 21. Mai 2014 - Skandal-Urteil des Bundesgerichts: Hitlergruss auf Rütli erlaubt!
Blick vom 22. Mai 2014 - «Nazi-Symbole gehören verboten!»
Blick vom 22. Mai 2014 (online nicht mehr verfügbar) - «Strafrecht soll eine scharfe Waffe sein»
Interview von swissinfo mit Strafrechtler Marcel A. Niggli, 27. Mai 2014