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Die Zentren für «renitente Asylbewerber» nach Art. 26 AsylG

10.05.2013

Im Rahmen verabschiedeten Asylgesetzverschärfung wurde unter anderem eine Bestimmung (Art. 26) erlassen, welche das Bundesamt für Migration dazu ermächtigt, «renitente» Asylsuchende in besonderen Zentren unterzubringen. Die Analyse von humanrights.ch zeigt im Hinblick auf die Abstimmung vom 9. Juni 2013, wo die rechtlichen Probleme bei solchen Zentren liegen.

Als «renitente Asylsuchende» gelten Asylsuchende, die «die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden oder die durch ihr Verhalten den ordentlichen Betrieb der Empfangsstellen erheblich stören». Diese Bestimmung wurde per Dringlichkeitsbeschluss eingeführt und ist deshalb bereits geltendes Recht. In der Praxis anwendbar ist sie allerdings noch nicht. Das EJPD erarbeitet momentan verschiedene Alternativen für die Realisierung dieser Zentren.

Keine geschlossenen Zentren

2012 hat das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge UNHCR neue Richtlinien veröffentlicht, welche anwendbare Kriterien und Standards betreffend der Haft von Asylsuchenden und Alternativen zur Haft festlegt («Detention Guidelines»). Haft wird hierbei definiert als Unterbringung an einem geschlossenen Ort, welche die Asylsuchenden nicht freiwillig verlassen dürfen. Hierzu gehören neben Gefängnissen, auch geschlossene Empfangszentren oder Festhaltezentren. Entscheidend ist hierbei nicht das Etikett, sondern ob die Asylsuchenden de facto ihrer Freiheit beraubt werden. Aus den Wortprotokollen im Nationalrat geht deutlich hervor, dass es sich bei den «besonderen Zentren» gemäss Art. 26 nicht um eine Haft in diesem Sinne handeln soll.

Der Minderheitsantrag der SVP hierzu, renitente Personen in geschlossenen Unterkünften unterzubringen, wurde klar abgelehnt. Dies widerspreche Art. 5 der EMRK und sei eines Rechtsstaates unwürdig, sagte  Bundesrätin Sommaruga in der Nationalratsdebatte. Es gehe bei den Zentren nicht darum, den Asylsuchenden die Freizeit zu entziehen, sondern darum, dass man sie auf ein bestimmtes Gebiet einschränken kann. «In einem Rechtsstaat gibt es keine freiheitsberaubenden Massnahmen, die nicht von einem Richter überprüft werden können. Das ist die Grundlage unseres Rechtsstaates, und ich gehe davon aus, dass wir uns auch in Zukunft daran halten können.»

Die geplante Asylinitiative der SVP, welche vorsieht, sämtliche Asylsuchenden während des Asylverfahrens in geschlossene Internierungslager zu stecken, steht in krassem Widerspruch zur erwähnten UNO-Richtlinie und fundamentalen Menschenrechten.

Bundesrat hat seine Ansicht geändert

Bereits im Mai 2012 hatte SVP-Nationalrat Hansjürg Fehr den Bundesrat mittels einer Interpellation darauf hingewiesen, dass es im Umfeld von Asylunterkünften immer mehr zu Belästigungen, Tätlichkeiten, Diebstählen, Einbrüchen, Drogendelikten und anderen Straftaten komme, die durch renitente und kriminelle Asylsuchende verursacht würden.

In seiner Antwort schrieb der Bundesrat damals, dass diesen Problemen mit einer konsequenten Anwendung der bestehenden Instrumente begegnet werden kann. So erlaubten es insbesondere die ausländerrechtlichen Zwangsmassnahmen, die Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden einzuschränken, wenn sie die öffentliche Sicherheit und Ordnung stören oder gefährden. In solchen Fällen könnten Ein- oder Ausgrenzungen angeordnet oder Ausgangsbewilligungen verweigert werden. Bei Widerhandlungen dagegen könne eine Vorbereitungshaft verfügt werden.

Im Rahmen der neuerlichen Asylgesetzverschärfung hat der Bundesrat seine Haltung dazu nun geändert. Bundesrätin Sommaruga erläuterte, dass der Bundesrat die «besonderen Zentren» unterstützt, weil sie insbesondere auch den Asylsuchenden nützt, die sich korrekt verhalten und die auch bereit sind, an einem raschen und effizienten Asylverfahren mitzuarbeiten. Für Personen, welche Ärger machen, indem sie andere Personen in den Zentren und auch Betreuungspersonal nicht nur stören, sondern zum Teil auch unter Druck setzen, brauche es gesonderte Zentren. Wie sich diese Zentren genau unterscheiden von normalen Durchgangszentren, ist bis jetzt allerdings noch nicht klar. Bundesrätin Sommaruga deutete an, dass die Personen in diesen Zentren zum Beispiel nur noch mit Sachleistungen unterstützt werden.

Unter anderen äusserte sich SP-Nationalrätin Pascale Bruderer in einem Interview mit dem Tagesanzeiger  positiv zu dieser Massnahme: «Dieses Problem muss man auf den Tisch bringen und Lösungen liefern».

Kritik von NGO

Verschiedene Organisationen kritisieren die «besonderen Zentren» in vielerlei Hinsicht. Das Referendumskomitee gegen die Asylgesetzverschärfung (www.asyl.ch) schreibt in seinem Argumentarium: «Es ist unmenschlich, Asylsuchende in Lager zu sperren. Noch nie haben Lager etwas Positives bewirkt, sondern die Dinge nur verschlimmert.» Und in einem offenen Brief an Pascale Bruderer weisen sie darauf hin, dass es objektiv nicht eruierbar ist, was «erheblich stört». «Ein geringer Verstoss gegen die Hausordnung eines Empfangszentrums kann genügen. Wer also fortan als ‹renitent› gilt, ist unklar. Mit diesen höchst unbestimmten Kriterien drohen Willkür und Rechtsungleichheit.»

Auch Amnesty International kritisiert insbesondere den unklaren Rechtsbegriff der «Renitenz»: «Eine solche Massnahme öffnet der Willkür Tür und Tor und schafft Rechtsunsicherheit. (…) Straffällige Personen können nach geltendem Strafrecht behandelt werden. Wegen eines Delikts überführte Personen gelten bis zu ihrer Verurteilung als unschuldig.» Weiter kritisiert Amnesty auch, dass die Verschlechterung der Lebensbedingungen die Integration jener Asylsuchenden erschwert, die am Ende des Asylverfahrens in der Schweiz bleiben können. Und das ist immerhin rund die Hälfte.

  • Schweizer Asylpolitik und internationales Flüchtlingsrecht (pdf, deutsch, 5 S.) (online nicht mehr verfügbar)
    Die Position von Amnesty International zur aktuellen Diskussion

Begriff der Renitenz muss geklärt werden

Das rechtsstaatliche Prinzip der Rechtssicherheit erfordert, dass das Gesetz und die rechtlichen Konsequenzen vorhersehbar sind. Art.26 erfüllt diese Voraussetzung nicht. Um das Prinzip der Rechtssicherheit nicht zu verletzen, muss deshalb nun auf Verordnungsstufe präzise festgelegt werden, in welchen Fällen eine Person in ein besonderes Zentrum verlegt werden darf.

Sommaruga umschrieb den Begriff der «Renitenz» in der Ratsdebatte folgendermassen: «Unter renitenten Asylsuchenden verstehen wir Personen, meistens Männer, die den Betrieb stören, die betrunken in die Unterkunft kommen, die andere anpöbeln, die auf öffentlichen Plätzen für Unmut sorgen, die sich in Raufhändel verwickeln oder andere in Raufhändel verwickeln oder die andere Personen sexuell belästigen; es sind Personen, die in Schlägereien involviert sind respektive sich hineinziehen lassen oder solche anziehen.»

Es wäre hier wohl ehrlicher gewesen, offen zu kommunizieren, dass sich die neue Bestimmung mit dem Strafrecht überschneidet: Raufhandel (Art. 133 StGB), sexuelle Belästigung (Art. 198 StGB), Angriff (Art. 134 StGB), Körperverletzung (Art. 122, Art. 123) sind allesamt strafrechtlich relevante Tatbestände. Im Gegensatz zu einem strafrechtlichen Verfahren muss eine Person für die Verlegung in ein Zentrum allerdings nicht zuerst für schuldig befunden werden. Damit ist einer „pragmatischen Willkür“ Tür und Tor geöffnet.

Kommentar humanrights

Tatsache ist, dass es in verschiedenen Empfangszentren wie zum Beispiel in und um das Empfangs- und Verfahrenszentrum Chiasso zu Problemen mit «renitenten» Asylsuchenden gekommen ist. (Siehe hierzu: Interpellation Quadri 11.3848, Interpellation Pelli 11.3630, Motion Quadri 11.3493). Dies ist angesichts der schwierigen Lebenssituationen, in denen sich Asylsuchende befinden, nichts Überraschendes. Die Gründe dafür sind offensichtlich: Perspektivenlosigkeit, Unterbeschäftigung oder Traumatisierungen.  Es ist nachvollziehbar, dass man insbesondere verletzliche Personengruppen (Frauen, Kinder) vom Verhalten dieser Personen schützen will, indem man «besondere Zentren» für auffällige Personen erstellt.

Problematisch wäre es hingegen, wenn hierbei ein primär repressiver Ansatz gewählt und die Zentren zu einer Stigmatisierung führen würden. Wo Repression nötig ist, muss ein strafrechtliches Verfahren eingeleitet werden. Unkooperative Personen brauchen eine gute Betreuung, vielleicht sogar eine intensivere als die «normalen» Asylsuchenden. Um eine Verringerung von störendem Verhalten zu erreichen, muss in diesen Zentren deshalb ein sozialpädagogischer Ansatz gewählt werden.

Bundesrätin Sommaruga erwähnt zwar, dass auch in den vorgesehenen Sonderzentren Beschäftigungsprogramme angeboten werden sollen. Es ist aber fragwürdig, wieweit eine individuell-präventive Strategie verfolgt wird. Viel eher scheint die Grundstimmung dahin zu gehen, dass man das «störende Element» isolieren will, ohne den Problemen, die dahinter stehen, auf den Grund zu gehen. Eine Isolierungspolitik birgt ein erhebliches Konfliktpotenzial. Aus menschenrechtlicher Perspektive könnte dies insbesondere  hinsichtlich traumatisierten, oder verletzlichen Personen zu einer unhaltbaren Situation führen. Zudem stellt die geplante «Eingrenzung» im Umfeld dieser Zentren eine krasse Einschränkung der Bewegungsfreiheit dar. Je mehr der Bewegungsradius eingeschränkt wird, desto eher kommt der Aufenthalt in einem solchen Zentrum einer Haftsituation gleich. Die Kritik von verschiedenen Organisationen an den vorgesehenen Sonderzentren ist aus dieser Perspektive durchaus nachvollziehbar.