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Schweiz schafft einen Minderjährigen aus

23.11.2009

Die waadtländischen Behörden haben in einer Nacht- und Nebelaktion einen 17-jährigen Somalier festgenommen und obwohl er allein und ohne Familie lebt, nach Rom zurück geschafft. Nach dem Vorfall erklären die nationalen und kantonalen Behörden lapidar, dies entspreche den rechtlichen Normen. Um den menschlichen Aspekt dieser Ausschaffung foutieren sich die Behörden. Dies ist einem Mediencommuniqué zu entnehmen, welches Etienne Corbaz, Doyen des OPTI, einem Lausanner Bildungsangebot für Jugendliche wie der 17-jährige Somalier, verfasst hat.

Lampedusa und nun Rom

Am 12. November 2009 hat die waadtländische Sicherheitspolizei den minderjährigen Somalier Abdirashid im Schlaf geweckt und zum Flughafen Zürich gebracht, um ihn nach Rom abzuschieben, schreibt Corbaz. Laut den kantonalen und Bundesbehörden, welche informiert wurden, ist dieser Ablauf rechtsgültig und somit durchführbar. Abdirashid kam im Januar 2009 allein in der Schweiz an, seine Mutter sei in Mogadishu, sein Vater 2007 verstorben. Seit August 2009 habe Abdirashid die Klassen der Lausanner Schule OPTI besucht. Er sei ein seriöser und motivierter Schüler, ein respektierter Kamerad, und die Lehrkräfte bewunderten seinen Wunsch zu lernen, ist der Medienmitteilung vom 15. November 2009 zu entnehmen.

Bevor Abdirashid in die Schweiz kam, führte ihn sein Weg nach Angaben von Corbaz durch Italien. Nachdem er vor den Kriegen in der somalischen Hauptstadt floh, war er während drei Monaten unter sehr schwierigen Umständen (Hygiene und Zusammenleben) in Lampedusa in einem Lager. Nachdem er einige Zeit in Italien herumgezogen war, gelangte er im Januar 2009 in die Schweiz. Der Weg des jungen Somaliers sei von Leid und Angst geprägt gewesen, steht im Communiqué weiter.

Behörden entschieden für Dublin und gegen UNO-Kinderrechtskonvention

Nun veranlassten die Bundesbehörden, Abdirashid im Rahmen des Dublin-Abkommens nach Italien, den Staat, in welchem der Knabe erstmals aktenkundig wurde, auszuliefern. Für die Schweiz ist das Dublin-Abkommen seit rund einem Jahr in Kraft. Das Abkommen unterscheidet nicht zwischen Erwachsenen und Minderjährigen (abgesehen von der Pflicht, bei einer Rückführung anzugeben, ob ein Minderjähriger dabei ist). Im Zielland Italien ist der 17-Jährige ohne Betreuung wiederum gänzlich sich selber überlassen.

Die Behörden berufen sich auf die Asylgesetze. Darüber geht vergessen, dass die Schweiz als Vertragsstaat der UNO-Kinderrechtskonvention den Schutz von Minderjährigen besonders im Auge behalten muss. Der Ausschuss für Kinderrechte der UNO hat sich in einem General Comment bereits vor vier Jahren zum Umgang mit minderjährigen Asylsuchenden geäussert. Darin hält er fest, dass Vertragsstaaten dazu verpflichtet sind, solche Kinder besonders zu schützen, weil sie häufig Gefahr laufen, Opfer von Verbrechen (Menschenhandel, Organhandel, Kinderprosititution) zu werden. Die Schweizer Behörden hätten also im fraglichen Fall durchaus Ermessensspielraum gehabt und von einer Ausschaffung absehen können.

Antwort des Bundesrates in der Fragestunde des Nationalrates

Ende November 2009 hat der Bundesrat zum genannten Fall in der Fragestunde des Nationalrates Stellung genommen. Er hält in der Antwort an Nationalrat Antonio Hodgers (Grüne, GE) fest, dass Rückführungen von unbegleiteten Minderjährigen seit Februar 2009 nach Griechenland ausgesetzt seien. Für den Bundesrat bestehe jedoch derzeit kein Anlass, Überstellungen von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden in die übrigen Dublin-Staaten generell auszusetzen. Es lägen derzeit keine Hinweise bezüglich einer Verletzung der Kinderrechtskonvention vor.

Dokumentation

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