11.01.2011
Der folgende Beitrag, der in der Zeitschrift «Fluchtpunkt (51/2010)» erschienen ist, fasst die Haltung der SFH zum Thema «Rechtsschutz» zusammen.
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH macht sich seit langem für eine Verbesserung des Rechtsschutzes im Asylverfahren stark. Ob die vom Bund vorgeschlagene «Verfahrens- und Chancenberatung» eine geeignete Lösung darstellt, ist ungewiss.
Was sagt die Bundesverfassung?
«Jede Person hat in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist.» Und: «Jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, hat Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand.»
So steht es in der Schweizer Bundesverfassung in Artikel 29, der die «allgemeinen Verfahrensgarantien» festlegt. Selbstverständlich gilt dies auch für Asylsuchende, da die Verfassungsgarantien allen Personen die gleichen Rechte einräumen.
Soweit die Theorie und der Buchstabe des Gesetzes. Man müsste annehmen, dass Asylsuchende, die in der Regel mittellos sind, keine Landessprache beherrschen und sich in einem für sie völlig fremden Rechtssystem zurechtfinden müssen, aufgrund ihrer speziellen Situation besondere Unterstützung erhalten würden. Immerhin gehören sie zu den Schwächsten und Verletzlichsten der Gesellschaft. Die Praxis sieht leider ganz anders aus.
Zivilgesellschaftliches Engagement
Anders als in anderen europäischen Staaten – zum Beispiel den Niederlanden, Österreich, Schweden, Belgien und Dänemark – erhalten Asylsuchende in der Schweiz bis heute keine staatlich finanzierte Unterstützung und Begleitung im Asylverfahren. Die Rechts- und Chancenberatung im Asylbereich wird allein durch von Kirchen und Hilfswerken betriebene Rechtsberatungsstellen getragen. Dazu kommen noch einige engagierte Anwältinnen und Anwälte, welche Asylmandate übernehmen. Wohl wissend, dass ihre Aufwendungen nicht immer entschädigt werden.
Hilfswerke und Kirchen bekunden jedoch zusehends Mühe, die Finanzierung dieser Beratungsstellen sicherzustellen. Einige Stellen wurden bereits geschlossen, andere kämpfen um ihr Überleben. Als Grund nennen Verantwortliche nicht zuletzt auch den Rückgang von Spendengeldern. Es scheint, dass die seit Jahren laufende Kampagne gegen den Asylbereich Früchte trägt und die Arbeit der Hilfswerke in diesem Bereich von immer weniger Schweizerinnen und Schweizern ideell und finanziell mitgetragen wird.
Zurück zur Bundesverfassung: Man könnte glauben, dass – wie in anderen Verwaltungsverfahren – auch hier das Instrument der unentgeltlichen Rechtspflege greifen und der Staat Asylsuchenden einen Rechtsbeistand beiordnen würde. Leider gewähren das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesamt für Migration (BFM) diese Prozesskostenhilfe jedoch nur äusserst zurückhaltend.
ls Begründung verweisen sie auf die gesetzlich vorgesehene Hilfswerksvertretung bei den Anhörungen und die «zahlreichen im Asylbereich tätigen Hilfswerke und Beratungsstellen». Diese böten, so hält es ein Grundsatzurteil aus dem Jahr 2001 fest, «mannigfaltig weitergehende Leistungen, unter anderem auch die weitgehend kostenlose (...) Verbeiständung durch sachkundige Personen und Übersetzungsdienste» an. Es ist also ein Teufelskreis: Weil die Hilfswerke beraten, wird die unentgeltliche Rechtspflege nicht angeordnet.
Ein weiteres Problem ist die Tatsache, dass Mitarbeitende dieser Stellen in der Regel nicht als Beistand zugelassen werden, weil man dazu das Anwaltspatent braucht. Zwar ist das Niveau der Rechtsberatungsstellen hoch und viele Fachjuristinnen und -juristen sind dort tätig, doch nur die wenigsten besitzen ein Anwaltspatent.
Mangelhafter Rechtsschutz
In der Praxis ist der Rechtsschutz daher völlig ungenügend und lückenhaft. Die Beratungsstellen haben zu knappe Kapazitäten, um allen Asylsuchenden eine fundierte Einschätzung ihres Falles geben zu können. Die Folge ist, dass viele unqualifizierte Laienbeschwerden das Gericht belasten und damit letztlich das Verfahren verlangsamen.
Die SFH kämpft seit Jahren für eine Verbesserung des Rechtsschutzes im Asylverfahren. Sie rief den Bund wiederholt dazu auf, seine Verantwortung in diesem Bereich wahrzunehmen. Die SFH steht mit ihren Forderungen nicht alleine. Auch das UNHCR-Büro für die Schweiz und Liechtenstein taxiert den Rechtsschutz als mangelhaft.
Zuletzt wurde weitere internationale Kritik laut: In seinen Empfehlungen zur Umsetzung des UNO-Pakts über bürgerliche und politische Rechte in der Schweiz bemängelte der UNO-Menschenrechtsausschuss 2009 den lückenhaften Rechtsschutz. Er forderte die Verantwortlichen dazu auf, Asylsuchenden den Zugang zu Rechtsschutz durch die Garantie unentgeltlichen Rechtsbeistands zu ermöglichen.
Bestimmungen überzeugen (noch) nicht
Die SFH begrüsst daher grundsätzlich, dass der Bundesrat in der aktuellen Revisionsvorlage eine entsprechende Gesetzesänderung vorschlägt. In der jetzigen Form überzeugen die Bestimmungen jedoch nicht. Angesichts der hochrangigen Rechtsgüter die auf dem Spiel stehen, muss der Bund Hand bieten zu einer wirklichen Verbesserung der Situation. Ob die vom Bund vorgeschlagene «Verfahrens- und Chancenberatung» eine adäquate Lösung darstellt, ist noch ungewiss.
Fest steht für die SFH, dass das Asylverfahren der Begleitung durch qualifizierte Fachpersonen bedarf. Die Betroffenen benötigen dazu professionelle Übersetzung, um das komplexe Verfahren zu verstehen. Ferner sollte das Mandat auch die Rechtsvertretung umfassen. Es ist dringend angezeigt, den Umfang der «Verfahrens- und Chancenberatung» genau zu definieren, bevor ein etabliertes System wie die Hilfswerksvertretung (HWV) aufgehoben wird.
Die SFH und die Hilfswerke bieten für die Verbesserung des Rechtsschutzes ein grosses Pfand, indem sie bereit sind, auf die heute gesetzlich geregelte Anwesenheit der HWV zu verzichten. Zukünftig würde die Zivilgesellschaft die Anhörungen von Asylsuchenden nicht mehr begleiten. Selbst wenn der Bund die Rechtsberatung unterstützt, so wird gleichzeitig ein zentrales Element des Verfahrens – die Anhörung, in der die Asylsuchenden ihre Fluchtgründe darlegen – neu zu einer rein amtsinternen Angelegenheit ohne Kontrolle von aussen. Hier ist der Bund gehalten, wirksame Alternativen vorzuschlagen.