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Minderheitenkonvention: Zweite Überprüfung der Schweiz abgeschlossen

29.12.2008

Das Ministerkomitee des Europarats hat seine abschliessenden Schlussfolgerungen und Empfehlungen an die Schweiz zum zweiten Berichtszyklus betreffend das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten verabschiedet. Darin wird einigen Punkten aus dem ausführlichen Gutachten des beratenden Ausschusses des Europarats ein besonderer Nachdruck verliehen:

  • Forderung nach einer konsequenten Umsetzung des neuen Sprachengesetzes
  • Verbesserung der Politik der Mehrsprachigkeit im Kanton Graubünden
  • Verstärkung der Bemühungen um eine Behebung des grossen Mangels an Stand- und Durchgangsplätzen für die Fahrenden wie auch um effektive Mitwirkungsmechanismen und spezifische Bildungsangebote für die Schweizer Fahrenden.

Vorgeschichte

Mit der vorliegenden Resolution vom 19. November 2008 kommt der zweite Berichtszyklus der Schweiz zum Abschluss. Dieser wurde im Januar 2007 mit  dem Schweizer Staatenbericht eröffnet. Daraufhin besuchten die Mitglieder des beratenden Ausschusses des Europarats im November 2007 die Schweiz. Auf dieser Basis erarbeitete der Ausschuss ein Gutachten, welches im Februar 2008 an die Schweiz weitergeleitet wurde. Das EDA verfasste eine Stellungnahme zum Gutachten, welche Ende August 2008 vom Bundesrat verabschiedet wurde. Alle offiziellen Berichte des zweiten Zyklus finden sich unter

Inhaltliche Ergebnisse

Im vorliegenden Artikel geben wir einige Einblicke in die inhaltlichen Ergebnisse des zweiten Berichtszyklus. Dabei konzentrieren wir uns auf das Gutachten des beratenden Ausschusses vom 29. Februar 2008 sowie die Stellungnahme des Bundesrats vom 28. August 2008.

Gutachten des beratenden Ausschusses

Nebst der Beurteilung der sprachpolitischen Situation der traditionellen Sprachminderheiten in der Schweiz sind folgende Punkte in den Ausführungen des Europarats-Organs erwähnenswert:

  • Differenzen zur Frage, welche Gruppen unter den Schutz des Rahmenübereinkommens fallen.
  • Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz in den politischen Debatten
  • Gefährdung der Identität der Schweizer Fahrenden bzw. der Jenischen

Wer wird geschützt?

In der Interpretation der Schweiz beschränkt sich der Schutz des Übereinkommens auf Personengruppen, welche gegenüber der übrigen Bevölkerung des Landes zahlenmässig in der Minderheit sind, deren Mitglieder das Schweizer Bürgerrecht besitzen und lange andauernde, gefestigte und anhaltende Verbindungen zur Schweiz haben. Zudem müssen sie den Willen besitzen, zusammen ihre gemeinsame Identität, Kultur und Tradition, Religion oder Sprache zu erhalten. Damit fallen in der Schweiz in erster Linie die Sprachminderheiten aber auch die jüdische Gemeinschaft sowie die Fahrenden unter den Schutz des Abkommens.

Nicht geschützt sind demnach Gruppen ausländischer Staatsangehöriger oder auch die Muslime, was der Beratende Ausschuss auch im aktuellen Gutachten bedauert. Die Interpretation der Schweiz «sei sehr streng» und schliesse Ausländer/innen ausdrücklich von jeglichem Schutz durch das Übereinkommen aus. Immerhin würden die Behörden anerkennen, dass die Ausländer/innen als Mindeststandard gewisse verfassungsmässige Grundrechte genössen, die auch im Rahmenübereinkommen enthalten sind, so etwa die in Artikel 8 (Religionsfreiheit), 9 Absatz 1 (Recht auf freie Meinungsäusserung) und 10 Absatz 1 (Sprechen der eigenen Sprache im Privaten und in der Öffentlichkeit) des Rahmenübereinkommens genannten Rechte.

Die Schweiz widmet sich in ihrer Stzellungnahme der engen Definition von nationalen Minderheiten gleich zu Beginn und hält fest, dass sie die diesbezüglichen Empfehlungen des Beratenden Ausschusses unter Vorbehalt zur Kenntnis nehme. Ohne die Probleme, welche der Beratende Ausschuss erwähne, abstreiten zu wollen, vertrete die Schweiz die Ansicht, die Angelegenheit falle nicht in den Themenbereich Minderheitenschutz und werde besser von den dafür spezialisierten Instanzen angegangen

Der Beratende Ausschuss empfiehlt den Behörden, dennoch den Dialog mit Angehörigen von Gruppen, die von der Schweizer Erklärung nicht erfasst werden, zu intensivieren. Er weist darauf hin, «dass die Vertragsparteien die gegenseitige Achtung und das gegenseitige Verständnis sowie die Zusammenarbeit zwischen allen in ihrem Hoheitsgebiet lebenden Menschen fördern müssen.»

Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit

Das Gutachten nimmt im übrigen auch Bezug auf die Wahlkampagne der SVP vom Sommer/Herbst 2007 sowie auf die Minarettinitiative und die Einbürgerungsinitiative, bzw. auf diskriminierende Einbürgerungsentscheide in gewissen Gemeinden und empfiehlt: «Die Behörden sollten Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit in der politischen Debatte entschlossener bekämpfen und neue Massnahmen erarbeiten, um ein Klima der Toleranz gegenüber ethnischen Minderheiten, Ausländern, Asylsuchenden und Flüchtlingen zu gewährleisten.»

Identität der Fahrenden gefährdet

Im Zusammenhang mit dem Schutz der Fahrenden in der Schweiz lobt der Beratende Ausschuss zum einen den Bericht des Bundesrates aus dem Jahre 2006 und die weiteren positiven Entwicklungen (Bundesgerichtsentscheid vom März 2003, Inkrafttreten des Bundesgesetzes über das Gewerbe der Reisenden). Zum andern präzisiert der Ausschuss, dass die Gesamtlage der Fahrenden in der Schweiz immer noch zu ernsthafter Besorgnis Anlass gebe. Der Bericht ist deutlich: «Die Erhaltung ihrer Identität ist gefährdet, denn für viele Fahrende wird es immer schwieriger, ihre nomadische oder halbnomadische Lebensweise zu pflegen. In der Schweiz herrscht nach wie vor ein deutlicher Mangel an Stand- und Durchgangsplätzen, und deren Anzahl ist seit dem ersten Überwachungszyklus sogar zurückgegangen, obwohl der entsprechende Bedarf der Fahrenden anerkannt wird.»

Der Ausschuss empfiehlt den Behörden die interkantonale Koordination für die Schaffung von Stand- und Durchgangsplätzen zu intensivieren. Ausserdem müssten die Mitwirkungsmechanismen für Fahrende verbessert werden. Etwa müsste der Bund dafür sorgen, dass der Stiftung für die Zukunft für Schweizer Fahrende und der Radgenossenschaft als wichtige Interessensorganisation genügend finanzielle Mittel zukommen. Der Ausschuss fordert zudem, dass die Fahrenden in der Stiftung des Bundes zahlenmässig nicht mehr in der Minderheit sind. Ausserdem empfiehlt der Bericht, auf Bundesebene neue gesetzliche Garantien zur beschleunigten Schaffung von Standplätzen einzuführen. Die Experten des Europarats denken dabei etwa an finanzielle Anreize für die Kantone. Sie befürworten auch die Möglichkeit, vorhande Militärareale vermehrt als Standplätze zu nutzen.

Schweiz rechtfertigt und sperrt sich

In seiner Stellungnahme lehnt es der Bundesrat ab, auf nationaler Ebene neue gesetzliche Garantien einzuführen. In seinem Bericht von 2006 sei der Bund zum Schluss gekommen, dass die bestehenden Gesetzesgrundlagen (Raumplanungsgesetz) ausreichend seien. Zudem führt die Regierung in ihrem Bericht verschiedene Entwicklungen in Einzelkantonen als positiv auf. In Bezug auf die Militärareale schreibt die Regierung, dass das Departement für Verteidigung und Sport (VBS) den Auftrag erhalten habe, in Zusammenarbeit mit einer Arbeitsgruppe der Stiftung für die Zukunft der Schweizer Fahrenden diese Umnutzung in den Kantonen voranzutreiben.

Schweizer Staatenbericht: Kritik von NGO-Seite

Der Schweizer Staatenbericht vom Januar 2007 hatte bereits vor seiner Veröffentlichung im Stadium der fachtechnischen Befragung eine scharfe Kritik seitens des transnationalen Vereins für jenische Zusammenarbeit und Kulturaustausch «schäft quant» provoziert. Unter anderem fordert «schäft quant», die heute als politisch korrekt geltende Bezeichnung «Fahrende» konsequent zu ersetzen durch die Selbstbezeichnungen «Jenische, Roma und Sinti». Die Argumentation für diese minderheitenpolitische Forderung leuchtet ein: «Fahrende» reiht sich ein in die lange Reihe von vorurteilsbelasteten bildhaften Ausdrücken, denn die grosser Mehrzahl der heutigen Jenischen, Roma oder Sinti in der Schweiz hat keine fahrende sondern eine sesshafte Lebensweise.

  • Stellungnahme von «schäft quant» zum Entwurf des Zweiten Berichts der Schweiz (online nicht mehr verfügbar)

«schäft quant» ist mit seiner sprachpolitischen Forderung bei den Behörden auf taube Ohren gestossen. Eine kleine Suche im definitiven Bericht ergibt 225 Treffer für «Fahrende» und ein halbes Dutzend Treffer für «Jenische, Roma und Sinti». Im Bericht werden bloss einige andere Forderungen von «schäft quant» in Kurzform erwähnt. 

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