09.10.2009
Der Nationalrat lehnte es in der Herbstsession 2009 nach sehr kurzer Diskussion mit 117 gegen 55 Stimmen ab, die gesetzlichen Möglichkeiten, sich gegen Diskriminierung und persönlichkeitsverletzender Ungleichbehandlung zur Wehr zu setzen, zu verbessern. Zwei weitere Motionen zum Thema hatte er in der Frühlingssession unbehandelt abgeschrieben.
Entschieden wurde über die Parlamentarische Initiative von Nationalrat Paul Rechsteiner vom 3. März 2007. Diese forderte die Schaffung eines allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, das - in Anlehnung an die Regelungen der EU und insbesondere an das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz - «mit den dafür geeigneten rechtlichen Instrumenten die Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts, wegen der Hautfarbe oder der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, des Alters, einer Behinderung oder der sexuellen Identität verhindern oder beseitigen» sollte.
- Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
07.422 - Parlamentarische Initiative Paul Rechsteiner (SPS, SG) vom 3. März 2007 - Parlamentarischer Vorstoss für ein allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
Dokumentation auf humanrights.ch
Parlament sieht keinen Handlungsbedarf
Die vorberatende Kommission bereits hatte die Initiative ohne einlässliche Diskussion mit folgender Begründung abgelehnt: «Auch wenn sie [die Kommission für Rechtsfragen] die Rechtsgleichheit und das verfassungsmässige Diskriminierungsverbot für zentral hält, sieht die Mehrheit der Kommission in diesem Bereich keinen Bedarf an weiterer Gesetzgebung. (…) Wenn das geforderte Gesetz materiell nicht weiter gehen soll als das bestehende Recht, sondern lediglich Symbolfunktion habe bzw. nur der Prävention dienen soll, ist es auf grundsätzlichen Gründen als überflüssig abzulehnen. Soll das Gesetz weiter gehen – beispielsweise indem es die Beweislastumkehr einführt, kann dies in der Praxis zu konkreten Schwierigkeiten beispielsweise im Arbeits- oder auch im Mietrecht führen. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit würde geschwächt. Aus diesen Gründen beantragt die Mehrheit, der Initiative keine Folge zu geben.» Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Problematik hat im Nationalrat nicht stattgefunden. Es bleibt zu hoffen, dass das Schlussvotum von Alfred Heer (SVP, Zürich) nicht symptomatisch ist für das Verständnis des eidgenössischen Parlamentes für die Diskriminierungsproblematik. Als Sprecher der vorberatenden Kommission schloss er nämlich seine Ausführungen mit folgender Bemerkung: «Wenn ein homosexueller Barbetreiber einen homosexuellen Barkeeper einstellen will, dann darf er dies heute tun. Aber ein heterosexueller Barkeeper, der besser qualifiziert ist, könnte dann wegen Diskriminierung klagen. Dies führt zu weit.»
Internationale Empfehlungen kein Thema für Bundesrat und Parlament
Die Schweiz wurde verschiedentlich vom Menschenrechtsausschuss, vom Ausschuss gegen Rassismus CERD, vom Ausschuss für Kinderrechte sowie vom Menschenrechtsrat im Rahmen des UPR-Verfahrens wegen des mangelhaften rechtlichen Schutzes vor Diskriminierung – insbesondere vor Diskriminierung durch Private – kritisiert. Die Empfehlungen sind jedoch weder vom Bundesrat noch vom Parlament in irgendeiner Form offiziell zur Kenntnis genommen und in die Diskussion miteinbezogen worden.
Überblick über weitere parlamentarische Vorstösse
Abgelehnt oder gar nicht zur Verhandlung gekommen sind bis jetzt folgende Vorstösse, die in der Regel einen teilweisen Ausbau des rechtlichen Schutzes vor Diskriminierung verlangten (chronologisch):
- Gesetz über Bekämpfung von rassistischer Diskriminierung
10.523 – Parlamentarische Initiative Prelicz-Huber Katharina (vom Nationalrat in der Frühljahrssession 2012 abgelehnt) - Diskriminierungsverbot auf Grund der sexuellen Identität
09.3395 – Motion Daniel Jositsch (vom Nationalrat in der Sommersession 2009 abgelehnt) - Diskriminierungsschutz
09.3242 – Interpellation Bea Heim (am 18.03.2011 abgeschrieben, weil die Diskussion seit mehr als zwei Jahren hängig war) - Bundesgesetz gegen Diskriminierung
06.3082 – Motion Josef Zisyadis (Behandlungsfrist im Juni 2008 verlängert, abgeschrieben im März 2009) - Gesetz gegen die rassistische Diskriminierung in der Arbeitswelt
04.3791 – Motion Grüne Fraktion (Behandlungsfrist im Juni 2007 verlängert, abgeschrieben im März 2009) - Rassistische Diskriminierung in der Arbeitswelt
03.3372 – Interpellation Cécile Bühlmann (abgeschrieben im Juni 2005)
Ausserdem führte im Sommer 2004 eine Nachricht aus der Versicherungswirtschaft, dass Motorhaftpflichtversicherer von Autofahrern mit bestimmter Nationalität höhere Prämien als von anderen Nationalitäten verlange, zu drei politischen Vorstössen, die indes vom Parlament alle abgelehnt wurden.
- Massiv höhere Autohaftpflichtprämien für Nicht-Schweizer weiter erlaubt
Artikel auf humanrights.ch vom April 2006 - Parlamentarische Initiative. Keine diskriminierenden Autoversicherungsprämien aufgrund der Nationalität.
Parlamentarischer Vorstoss für ein allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
(Artikel vom 12.04.2007)
Am 23. März hat Paul Rechsteiner mit 8 Mitunterzeichnenden im Nationalrat eine parlamentarische Initiative für ein allgemeines Gleichbehandlungsgesetz eingereicht. Als Begründung führte er an, dass der Grundsatz der Rechtsgleichheit und das Diskriminierungsverbot zu den grundlegenden Verfassungsgrundsätzen der Schweiz gehören. Allerdings gebe es bis heute nur «unterentwickelte» Rechtsinstrumente zur Bekämpfung von Diskriminierung in der Schweiz. Um dies zu ändern, soll ein allgemeines Gleichbehandlungsgesetz in Angriff genommen werden. Als gute Vorbilder werden die Gesetze zur Gleichstellung von Frau und Mann und die Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen genannt.
- Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
Parlamentarische Initiative, Paul Rechsteiner, 23. März 2007 - Rechtsgleichheit und Verbot der Diskriminierung Art. 8 BV
Themenseite auf humanrights.ch - Bundesgesetz für die Gleichstellung von Frau und Mann
- Bundesgesetz über die Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen
Schweizer Vorbehalte gegen das Diskriminierungsverbot
Wegen unzureichender gesetzlicher Regelungen hat die Schweiz bislang das EMRK-Zusatzprotokoll Nr. 12, welches ein allgemeines, umfassendes Diskriminierungverbot vorschreibt, bemerkenswerterweise weder unterzeichnet noch ratifiziert. Der Schweizer Vorbehalt zum Art. 26 des UNO-Pakts II (Diskriminierungsverbot) steht aus demselben Grunde vorläufig nicht zur Disposition. Dies bedeutet eine empfindliche Lücke in der schweizerischen Umsetzung der internationalen Menschenrechte.
- Zwölftes Zusatzprotokoll zur EMRK
Themenseite auf humanrights.ch - Vorbehalt der Schweiz zum Diskriminierungsverbot Art. 26 UN-Pakt II
Informationen auf humanrights.ch
Argumente für ein Rahmengesetz
Umso dringlicher ist es, ein nationales Gleichbehandlungsgesetz zu schaffen, das zum einen auch Personengruppen schützt, die bisher in der Schweiz sehr ungenügend geschützt sind (so z.B. sexuelle Minderheiten), und zum anderen die bestehenden materiellen Lücken vor allem im Privatbereich (Privatwirtschaft, Mietwesen) schliessen würde. Denn obschon es bereits einige rechtliche Regelungen gibt, welche vor Diskriminierung im Privatbereich einen gewissen Schutz bieten, fehlen im Privatrecht und im Verwaltungsrecht ausdrückliche Diskriminierungsverbote weitgehend. Auch müssten im Rahmen eines allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes praktische und verfahrenstechnische Hürden zur Wahrnehmung des Diskriminierungsschutzes wie z.B. Kostenregelungen, Beweislast, fehlender Kündigungsschutz etc. reduziert werden.
Ein derartiges Rahmengesetz wurde von verschiedenen Seiten bereits gefordert, bisher vergeblich. So hatte die Grüne Partei 2004 im Nationalrat eine Motion für ein Gesetz gegen rassistische Diskriminierungen in der Arbeitswelt eingereicht. Eine Studie von Alexandra Caplazi und Tarek Naguib plädiert auf juristischer Ebene für ein solches Gesetz. Auch hat der UNO-Sonderberichterstatter gegen Rassismus Doudou Diène im kürzlich veröffentlichten Bericht zur Schweiz mit Nachdruck ein solches Gesetz gefordert, wie bereits im Jahre 2003 die europäische Kommission gegen Rassismus ECRI.
- Motion gegen rassistische Diskriminierung in der Arbeitswelt
Artikel auf humanrights.ch vom Februar 2005 - Schutz vor ethnisch-kultureller Diskriminierung in der Arbeitswelt trotz Vertragsfreiheit
Alexandra Caplazi / Tarek Naguib (pdf, 35 S.) - Definitiver Bericht des UNO-Sonderberichterstatters zu Rassismus in der Schweiz
Artikel auf humanrights.ch vom März 2007 - Diskriminierungsverbot
Themenseite auf humanrights.ch
In der EU bereits die Norm
In der EU ist die Umsetzung der Anti-Diskriminierungsrichtlinien im innerstaatlichen Recht für alle Mitgliedsstaaten seit 2003 Pflicht. In einigen Ländern mussten nur kleinere Anpassungen an bereits bestehende Gesetze gemacht werden, andere, wie z.B. Deutschland haben ein unabhängiges Antidiskriminierungsgesetz eingeführt, das den Schutz vor Diskriminierung aus Gründen von rassistischen Zuschreibungen oder ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verbietet.
- EU-Recht gegen Diskriminierung
Themenseite auf humanrights.ch, Stand Dezember 2017 - Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
Deutschland, 14. August 2006 (pdf, 14 S.)
Weitere Informationen
- Internationale Prinzipien zu sexueller Orientierung und Menschenrechten geschaffen
Artikel auf humanrights.ch, April 2007