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Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung zum ersten Mal vom Bundesgericht bestätigt

10.10.2024

Das Bundesgericht verurteilt den Autor Alain Soral wegen Diskriminierung und Aufruf zu Hass aufgrund der sexuellen Orientierung. Es ist das erste Urteil im Rahmen des seit Juli 2020 geltenden Diskriminierungsschutzes bezüglich der sexuellen Orientierung und legt einen weiteren Baustein zum Schutz der Schweizer LGBTQIA+-Community.

In seinem Urteil vom 11. März 2024 bestätigt das Bundesgericht den Schuldspruch von Alain Soral und verurteilt ihn wegen Diskriminierung und Aufruf zu Hass aufgrund der sexuellen Orientierung nach Art. 261bis StGB. Nachdem 2021 eine Westschweizer Journalistin einen kritischen Zeitungsartikel über Alain Soral veröffentlicht hatte, reagierte dieser mit einem Video-Interview. In dem im Internet veröffentlichten Interview stritt er die Inhalte des Zeitungsartikels ab und bezeichnete diese als Lügen und Fake News. Er stellte die Tatsache in den Vordergrund, dass der Beitrag von einer queeren Journalistin und Aktivistin stammte, mit welcher er nun konfrontiert sei. Er sei ein Schweizer in seinem Land, der die «Schweizer Seele» und den «Schweizer Geist» verteidige und stehe einer extremen Minderheit gegenüber.

In seinem Video-Interview erklärte er, dass das Wort «queer» seines Wissens auf Englisch «désaxé» bedeute, auf Deutsch sinngemäss «gestört/verdreht». Überdies bezeichnete er die Journalistin als «fette lesbische Aktivistin» für Migrant*innen, im Vergleich zu welcher er eher ein Kämpfer für Frieden, Brüderlichkeit und die «Schweizer Seele» sei. Soral veröffentlichte neben dem Video ein Foto der Journalistin.

Nach Art. 261bis StGB macht sich strafbar, wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion – oder, seit Juli 2020, ihrer sexuellen Orientierung – zu Hass oder Diskriminierung aufruft. Der Schutz einzelner Personen vor Diskriminierung soll die Menschenwürde, die Gleichheit aller Menschen und indirekt den öffentlichen Frieden schützen. (BGE 149 IV 170 E. 1.1.1)

«Fette Lesbe» ist ein diskriminierender Ausdruck

Das Bundesgericht setzt sich in seinem Entscheid mit der Differenzierung der Begriffe der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität auseinander. Denn Art. 261bis StGB beschränkt sich auf den Diskriminierungsschutz der sexuellen Orientierung und nicht gegenüber der Geschlechtsidentität. Das Bundesgericht stellt dabei klar, dass Alain Soral mit dem Begriff «queer» Personen oder Gruppen bezeichnet, deren sexuelle Orientierung nicht den vorherrschenden Modellen entspricht. Obschon der Begriff «queer» auch die Geschlechtsidentität umfasst, zielte er mit seiner herabsetzenden Verwendung von «queer» und «lesbisch» klar auf die sexuelle Orientierung der Journalistin ab. Er verwendete diese Begriffe in einem herabwertenden Kontext mit dem Ausdruck «désaxé» (sinngemäss: gestört/verdreht) und «voilà face à quoi on est» (sinngemäss: das ist es nun, mit was wir konfrontiert sind) und bezeichnete die Journalistin als «fette Lesbe». Der durchschnittliche Adressat erkenne dabei, dass die Journalistin – in den Augen von Alain Soral – den Makel aufweise, homosexuell zu sein.

Die herabsetzende Verwendung der Begriffe «queer» und «lesbisch» forderte gemäss Bundesgericht die Nutzer*innen von Alain Sorals Internetseite auf, die Journalistin insbesondere aufgrund ihrer sexuellen Orientierung zu erniedrigen. Indem er seinem Video ein Foto der Journalistin hinzufügte, zeige sich eindeutig, dass er den Internetnutzer*innen eine konkrete Figur anbot, an welcher sie ihre Verachtung auslassen konnten. Das Bundesgericht hat keinen Zweifel daran, dass Alain Soral mit seinem Video-Interview Hassgefühle aufgrund der sexuellen Orientierung wecken und schüren wollte.

Das Bundesgericht erachtete es als zulässig, die Kommentarspalte des gefilmten Interviews zu berücksichtigen und so die Bedeutung der Aussage von Alain Soral für einen durchschnittlichen Dritten zu ermitteln. Es berücksichtigte zudem die unzähligen Vorstrafen Sorals aus Frankreich, die zeigten, dass er bereits in der Vergangenheit Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert hatte. Diese Vorstrafen begründen zwar die Schuld von Alain Soral nicht, bestätigen jedoch seinen homophoben Charakter und dadurch seine Motivation für die Äusserungen in seinem Video-Interview. Das Bundesgericht bestätigte das vorsätzliche Handeln von Alain Soral.

Meinungsfreiheit nicht tangiert

Alain Soral rügte eine Verletzung seiner Meinungsfreiheit, insbesondere den Schutz, sich in einer politischen Debatte zu äussern. Die Meinungsfreiheit ist in der Bundesverfassung verankert (Art. 16 Abs. 1 und 2 BV) und kann eingeschränkt werden, wenn die Einschränkung auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, durch ein öffentliches Interesse oder den Schutz eines anderen Grundrechts gerechtfertigt und verhältnismässig zum angestrebten Ziel ist. Auf internationaler Ebene wird die Meinungsfreiheit durch Art. 10 EMRK geschützt. Diese Meinungsfreiheit kann gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterliegen, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind, um die öffentliche Ordnung und die Rechte anderer zu gewährleisten. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte betonte in vergangenen Urteilen die Wichtigkeit, rassistische Diskriminierung zu bekämpfen.

Alain Soral beruft sich insbesondere auf die journalistische Meinungsfreiheit im Kontext einer politischen Debatte. Das Bundesgericht äusserte sich klar dazu, dass das Video-Interview von Soral in keinem politischen Kontext stattfand, sondern eine Antwort auf einen Zeitungsartikel über ihn war. Zudem wurde das Video auf der Website seines Vereins publiziert und nicht in einer politischen Umgebung. In seinem Video beschränkt sich Soral auf einen grundlosen, persönlichen Angriff gegen die Journalistin aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und keineswegs im Zusammenhang mit einer politischen Debatte, in der Kritik im grösseren Umfang zulässig ist.

Das Bundesgericht entschied, dass die Einschränkung der Meinungsfreiheit auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage beruht, die das Ziel verfolgt, den Ruf und die Rechte anderer Personen zu schützen. Zudem ist diese Einschränkung verhältnismässig, da der Schutz der homosexuellen Gemeinschaft das Recht auf die freie Meinungsäusserung überwiegt.

Wichtiger Schritt im Diskriminierungsschutz, aber weiterhin Lücken

Das Urteil des Bundesgerichts ist das erste mit Bezug auf die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung. Es zeigt, dass Hass gegen die LGB-Community Konsequenzen hat und ist ein wichtiger Schritt zum Diskriminierungsschutz in der Schweiz. Jedoch besteht in der Schweiz nach wie vor ein Flickenteppich im Diskriminierungsschutz. Es bestehen kaum Regelungen, die vor Diskriminierung von Privaten schützen. Obschon Art. 261bis StGB gegen Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung schützt, hat es der Gesetzgeber unterlassen, den Schutz auch auf Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität auszuweiten.