09.04.2009
Der Nationalrat hat während der Frühlingssession 2009 Vorstösse überwiesen, welche zur Klärung des Verhältnisses zwischen Volksinitiativen und Völkerrecht beitragen sollen. Der Bundesrat und die staatspolitische Kommission müssen sich nun mit dem Thema intensiv befassen. Der Wunsch zur Klärung ist vor dem Hintergrund der Diskussion über die Gültigkeit von Volksinitiativen, etwa der Verwahrungs-, der Minarett- oder der Ausschaffungsinitiative, zu sehen.
Mit Diskussion gegen Frustration vorgehen
Das Problem seien diejenigen Volksabstimmungen, «in denen wir eine Seite auf jeden Fall frustrieren, weil es klar ist, dass man es nicht so umsetzen kann, wie es sich diese Seite erhofft», erklärte Andreas Gross (SP/ZH) namens der Staatspolitischen Kommission. Es untergrabe die Stimmfreiheit, wenn diese Freiheit nur scheinbar existiere und jene, die sie auf die eine oder andere Weise gebrauchten, frustriert würden. Da dürfe das Parlament nicht einfach zusehen und nichts tun, denn es diene der direkten Demokratie nicht. In der Ratsdebatte sprachen Gross und Daniel Vischer (G/ZH) mehrere Möglichkeiten zur Problemlösung an, unter anderem die Konkretisierung des Begriffs des zwingenden Völkerrechts in der Verfassung oder eine Form der Verfassungsgerichtsbarkeit.
Bundesratsbericht in Erarbeitung
Der Nationalrat überwies in der Folge mit 96 gegen 72 Stimmen eine parlamentarische Initiative von Vischer. Sie fordert die Änderung der Bundesverfassung, so «dass eine Volksinitiative dann ungültig ist, wenn sie materiell gegen den Grundrechtsschutz und gegen Verfahrensgarantien des Völkerrechtes verstösst.» Ebenfalls angenommen (mit 114 gegen 57 Stimmen) hat die Grosse Kammer ein Postulat der Staatspolitischen Kommission, welche vom Bundesrat eine Analyse und Stellungnahme zur Lösung der Problematik fordert.
In ihrer Stellungnahme erklärte sich Eveline Widmer-Schlumpf namens des Bundesrats bereit, das Postulat entgegen zu nehmen. Er werde sich zu den Fragen des Nationalrates im Rahmen des Berichtes, den der Bundesrat zum Verhältnis von Landesrecht und Völkerrecht bereits im Auftrag der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates zu erstellen habe, äussern. Der Ständerat hatte sein Postulat zu diesem Thema bereits im Winter 2007 überwiesen. Der Bericht des Bundesrat ist gemäss Angaben von Widmer-Schlumpf in Erarbeitung.
- 07.477 - Parlamentarische Initiative Vischer
Dokumentation auf der Website der Parlamentsdienste - 08.3765 - Postulat SPK-NR, mit Links auf die Ratsprotokolle
Dokumentation auf der Website der Parlamentsdienste - 07.3764 - Postulat Kommission für Rechtsfragen SR, mit Links auf die Ratsprotokolle
Dokumentation auf der Website der Parlamentsdienste - Gültigkeit von Volksinitiativen: Kommission will Bundesgericht einbeziehen
Medienmitteilung der Staatspolitische Kommission des Nationalrates vom 21. August 2008 (pdf, 2 S.)
Weiterführende Information
- Nationalrat erklärt Minarettinitiative für gültig
Artikel auf Humanrights.ch vom 18. März 2009 - Neue Regeln für Verwahrte
Artikel auf Humanrights.ch vom Juni 2008 - Statt Abbau der Volksrechte - Ausbau des Rechtsstaates
Artikel von Andreas Auer, Prof. für öffentliches Recht an der Universität Zürich in der NZZ vom 10. September 2008 (pdf, 4. S.) - Wer hat Angst vor dem Völkerrecht? Wer vor den Volksrechten?
Daniel Thürer in der NZZ vom 21. August 2007 (pdf, 4 S.)