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Berichte des Bundesrates zum Verhältnis Landesrecht-Völkerrecht

05.04.2011

Zusatzbericht des Bundesrates: Verhältnis Landesrecht-Völkerrecht

Der Bundesrat hat am 31. März 2011 den lange erwarteten Zusatzbericht über das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht veröffentlicht. Er schlägt darin eine materielle Vorprüfung der Initiativen durch das Bundesamt für Justiz vor. Zudem tritt er dafür ein, die Gründe für die Ungültigerklärung von Initiativen durch das Parlament zu erweitern. Die Vorschläge der Regierung sind sehr zurückhaltend und leider wenig überzeugend, da sie die Probleme nur bedingt zu lösen vermögen.

Eine materielle Vorprüfung und strengere Gültigkeitsvoraussetzungen für Volksinitiativen könnten dazu beitragen, mögliche Widersprüche zwischen Verfassungsrecht und Völkerrecht zu vermeiden, schreibt der Bundesrat in einer Medienmitteilung. Der Bundesrat schlägt konkret eine Ergänzung der Regelung des Vorprüfungsverfahrens im Bundesgesetz für politische Rechte (BPR) vor. Zudem bedingt die Erweiterung der Gründe für die Ungültigerklärung eine Verfassungsänderung, muss also in jedem Fall von Volk und Ständen angenommen werden.

Materielle Vorprüfung

Vor einer Lancierung prüft heute die Bundeskanzlei von Gesetzes wegen insbesondere die formellen Aspekte einer Initiative. Der Bundesrat schlägt nun vor, dieses Verfahren durch eine materielle Vorprüfung zu erweitern, die das Bundesamt für Justiz und die Direktion für Völkerrecht gemeinsam vornehmen würden. Gemäss dem Modell, das der Zusatzbericht skizziert, würden die Initianten/innen vor Beginn der Unterschriftensammlung eine nicht bindende behördliche Stellungnahme erhalten, ob der Initiativtext mit dem Völkerrecht vereinbar ist oder nicht. Es steht ihnen dann frei, den Initiativtext allenfalls anzupassen, um die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht zu gewährleisten.

Strengere Gültigkeitsvoraussetzungen

Trotz Erweiterung des Vorprüfungsverfahrens könnten Volksinitiativen zustande kommen, die mit dem Völkerrecht nicht vereinbar sind. Der Zusatzbericht schlägt deshalb als zweite Massnahme eine zusätzliche Gültigkeitsvoraussetzung für Volksinitiativen vor: Das Parlament soll  Volksinitiativen neu u.a. für ungültig erklären müssen, wenn diese den Kerngehalt der verfassungsrechtlichen Grundrechte verletzen. Davon betroffen wäre beispielsweise eine Volksinitiative für die Wiedereinführung der Todesstrafe, weil sie das Recht auf Leben verletzen würde. Hingegen wäre die 2009 angenommene Minarettinitiative in Anwendung dieses Kriteriums nicht für ungültig erklärt worden.

Beurteilung des Bundesrats

Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Erweiterung der materiellen Schranke auf die grundrechtlichen Kerngehalte einen Beitrag leistet zur Entschärfung der drängendsten Probleme, wie sie durch das Einreichen völkerrechtswidriger Volksinitiativen entstehen können. Gleichzeitig würden die Volksrechte und damit das Demokratieprinzip geschont, und es werde den spezifisch schweizerischen Ausprägungen des Grund- und Menschenrechtsverständnisses entsprochen, hält der Zusatzbericht fest.

Verworfene Möglichkeiten

Mit Blick auf die Minarettinitiative hat der Bundesrat im übrigen die Möglichkeit erwägt, ein grössere Hürde für Initiativen zu schaffen, welche gewisse Personengruppen diskriminieren. Er hat dies allerdings verworfen. Geprüft und nicht weiter verfolgt hat die Regierung ferner die Idee, automatisch sämtliche Initiativen für ungültig zu erklären, wenn diese gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstossen.

Nicht überzeugt hat den Bundesrat auch die Idee, die inhaltliche Prüfung durch das Bundesgericht vornehmen zu lassen oder den Beschwerdeweg gegen den Entscheid der Behörden oder des Parlaments über das Bundesgericht zu öffnen. Der Frage, ob nicht die Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit die Probleme ebenfalls und allenfalls überzeugender lösen könnte, geht der Bundesrat im übrigen im Bericht (noch) elegant aus dem Weg.

Vorschläge des Think Tanks «foraus – Forum Aussenpolitik»

Der aussenpolitische Think-Tank «foraus» hat als Reaktion auf die Diskussion in einer Grundlagenanalyse drei Vorschläge zur Reform der Volksbegehren ausgearbeitet, welche eine Harmonisierung zwischen Volksinitiativen, verfassungsmässigen Grundrechten und Völkerrecht ermöglichen könnten:

  • Die Minimalvariante beschränkt sich auf die Vorverschiebung des Zeitpunkts der Gültigkeitsprüfung der Initiative vor die Unterschriftensammlung. So soll das Parlament vom Druck von 100‘000 gesammelter Unterschriften entlastet werden.
  • Die Optimalvariante verschiebt den Fokus vom Völkerrecht auf die Grundrechte der Bundesverfassung und setzt sich aus zwei Elementen zusammen: Das erste Element deckt sich im Wesentlichen mit der materiellen Vorprüfung, wie sie der Bundesrat vorschlägt (s. oben). Erst nach der Abstimmung und einer allfälligen Annahme der Initiative kommt die «Kollisionsnorm» als zweites Element ins Spiel. Diese Norm besagt, dass die Grundrechte der Verfassung ihnen entgegenstehendem Völkerrecht und Bundesrecht (also auch durch Volksinitiativen zustande gekommenes Verfassungsrecht) vorgehen. Die Wirksamkeit einer Initiative würde damit erst im Nachhinein beschnitten, und zwar nur soweit, wie es der Grundrechtsschutz im Einzelfall erfordert.
  • Die Maximalvariante sieht neben der Vorverschiebung der Gültigkeitsprüfung vor die Unterschriftensammlung auch die Erweiterung der Ungültigkeitsgründe sowie die Kompetenzübertragung der Gültigkeitsprüfung an das Bundesgericht vor. Die materielle Schranke würde um die Grundrechte erweitert.

Kommentar humanrights.ch

Mit dem Bericht des Bundesrates wird klar, in welche Richtung eine mehrheitsfähige Lösung des Dilemmas zwischen Landesrecht und Völkerrecht gehen könnte. Leider ziert sich der Bundesrat aber weiterhin, sich mit der Frage der Verfassungsgerichtsbarkeit zu beschäftigen. Um diese Frage wird er nicht herum kommen.

Für den Moment ist festzuhalten, dass die Vorschläge des Bundesrates für Menschenrechtskreise allzu mager sind. Sie stellen das absolute Minimum dar und können nicht verhindern, dass sich über den Weg von Volksinitiativen problematische Verfassungsänderungen durchsetzen. In einem Rechtsstaat sollten Volksinitiativen, welche zentrale Menschenrechte untergraben, nicht zur Abstimmung gelangen. Denn Ansprüche, wie das Verhältnismässigkeitsprinzip, das Diskriminierungsverbot oder das Recht auf ein faires Verfahren sind nicht eine Frage von politischen Mehrheiten, sondern gelten grundsätzlich für alle Menschen - auch wenn dies der Mehrheit lästig ist.

Allzu schnell geht vergessen: Zu einer Demokratie gehören nicht nur Mitbestimmung, Partizipationsmöglichkeiten und Volksrechte, sondern eben auch rechtsstaatliche Prinzipien, welche unter anderem verhindern, dass die Mehrheit die Minderheit tyrannisiert. Diesem Punkt müssen die Gesetze und die Verfassung endlich ausreichend Rechnung tragen und insbesondere dafür sorgen, dass bei den Erwägungen zur Ungültigerklärung nicht einzig politische (und damit mehrheitsabhängige) Argumente zählen!

Dokumentation

 

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Artikel vom 10. März 2010

Bericht des Bundesrats: Verhältnis Landesrecht-Völkerrecht

Am 5. März 2010 hat der Bundesrat den Bericht «Das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht» veröffentlicht. Darin macht er eine Auslegeordnung und Analyse der bestehenden rechtlichen Situation, zum Teil auch rechtsvergleichend mit anderen Ländern. Der Umgang mit Konflikten zwischen Völkerrecht, Verfassungsrecht und Bundesgesetzen wird aufgezeigt und einige Lösungsvorschläge für offene Probleme, vor allem den Umgang mit völkerrechtswidrigen Volksinitiativen, werden referiert. Doch statt klar Stellung zu beziehen und eine Strategie zu entwerfen, hat der Bunderat den Auftrag zu weiteren Abklärungen erteilt.

Kommentar

Ein dringender Handlungsbedarf in dieser Angelegenheit ist nachgewiesen. Der vorliegende Bericht wurde vom Parlament in Auftrag gegeben, weil dieses sich anlässlich der Verwahrungsinitiative und der Minarettinitiative verunsichert zeigte in der Frage, wie mit Volksinitiativen umzugehen sei, welche gegen geltende Menschenrechtsverpflichtungen verstossen. Offensichtlich hat es die SVP seit einigen Jahren darauf angelegt, mit Volksinitiativen im Graubereich den Rechtsstaat herauszufordern, mit dem Ziel, aus den zwangsläufig entstehenden Grundsatzdiskussionen um Volksrechte und Völkerrecht wiederum politisches Kapital zu schlagen. Dabei scheut die rechtspopulistische SVP nicht davor zurück, die international geltenden Menschenrechte, insbesondere die europäische Menschenrechtskonvention, in ihrer Bedeutung herabzusetzen und zur Disposition zu stellen.

In dieser Situation hätte man vom Bundesrat erwarten dürfen, dass er nicht nur mit der nötigen Gelassenheit versucht, die Diskussion zu versachlichen, sondern dass er darüber hinaus den Mut gehabt hätte, die rechtsstaatlichen Grenzen des Gebrauchs der Volksrechte aufzuzeigen, die offenen Probleme deutlich zu benennen und konkrete Lösungsvorschläge zur Diskussion zu stellen.

Naheliegend wäre gewesen, als zusätzliches Kriterium für das Ungültigerklären eines Initiativtextes die Kollision mit bestehenden internationalen Menschenrechtsgarantien vorzuschlagen. Doch diese Courage hat der Bundesrat nicht aufgebracht. Stattdessen wurde die dringend nötige Klärung auf die lange Bank geschoben.

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