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Was bedeutet «Menschliche Sicherheit» aus feministischer Sicht?

31.08.2007

In den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die «menschliche Sicherheit» zu einem bedeutsamen Konzept der internationalen Politik, so zum Beispiel im Rahmen der UNO oder des multilaterlen Staaten-Netzwerks «Human Security Network» oder generell im Rahmen der schweizerischen Aussenpolitik.

Sicherheit dient mehr denn je als Begründungszusammenhang sowohl für Gerechtigkeit fördernde Politiken wie für Repression und Ausgrenzung. Das  cfd-Dossier «security check» durchleuchtet aktuelle Sicherheitskonzepte und -interessen aus feministischer Perspektive.

Security Check – Sicherheitsdebatten feministisch durchleuchtet

cfd-Dossier 2007
Herausgeber: cfd Christlicher Friedensdienst, Bern 2007

Das Konzept der «Human Security» (Menschliche Sicherheit) wird darin mit dem Empowerment-Ansatz verknüpft. Die  entscheidende Frage ist dabei, welche Sicherheitsvorstellungen und – praktiken die besten Bedingungen für Prozesse des Empowerment von Frauen bieten. Das Ziel des Heftes ist es, Antworten auf diese Frage zu finden und Möglichkeiten aufzuzeigen, aktuelle politische Debatten rund um die (Menschliche) Sicherheit aus kritischer feministischer Perspektive zu begutachten.  

Menschliche Sicherheit 

Seit das Konzept der Menschlichen Sicherheit von der UNO in die internationalen politischen Debatten eingebracht und von verschiedenen Staaten aufgenommen und weiterentwickelt wurde, operiert auch die offizielle Schweizer Friedens- und Sicherheitspolitik mit dem Begriff. Das Konzept besitzt, wie im Heft anhand von Interviews mit verschiedenen Experten dargelegt wird, Vor- und Nachteile: Es könne zu einer grösseren Kohärenz zwischen den verschiedenen Politikbereichen führen und zu einem sicherheitspolitischen Perspektivenwechsel beitragen. Das Konzept könne sich zudem als Leitmotiv für politisches Handeln der Eigenlogik von Sicherheitsapparaten entgegenstellen. Es berge jedoch auch die Gefahr, dass immer mehr Lebens- und Politikbereiche vom Sicherheitsdiskurs und seiner Feindbildlogik dominiert werden. Ausserdem wird der Begriff unterschiedlich interpretiert, so dass oft unklar bleibt, was genau damit gemeint ist.
Der „Security-check“ behandelt die Vorzüge und Bedrohungen des Konzepts der Menschlichen Sicherheit anhand von unterschiedlichen Themenbereichen und Autoren.

Sicherheit als Manko und Monster

Der erste Beitrag von Molly Malekar, Direktorin der Frauenorganisation Bat Shalom und Viola Raheb, Theologin und Friedensaktivistin, behandelt den Konflikt zwischen Israel und Palästina. Sicherheit erscheint in Israel dabei als patriarchalisches militärisches Konstrukt, welches im Alltag keine Sicherheit garantieren kann. Palästinenserinnen sehen in der Sicherheit ein Monster, welches benutzt wird um alles Mögliche zu legitimieren und Kritik zu untergraben. Der Konflikt hat den beiden Bevölkerungen im Namen der militärischen Sicherheit die Grundlagen für ein menschenwürdiges Leben geraubt. Wer sich dabei für die Menschliche Sicherheit einsetzt, bleibt dabei eine offene Frage. Sie richtet sich an die ganze internationale Gemeinschaft, insbesondere auch an die Schweiz.

Globalisierung und die Sicherheit von Frauen

In einem weiteren Artikel behandelt Christa Wichterich den Begriff der Menschlichen Sicherheit in den entwicklungs- und wirtschaftspolitischen Diskursen. Eine Frage ist, welche Folgen die Globalisierung des neoliberalen Wirtschaftsmodells für die Sicherheit von Frauen hat. Es wird betont, dass Sicherheit kein Marktgut ist und es Empowerment, politische Eingriffe und Strukturveränderungne braucht, um die Sicherheit von Frauen zu vergrössern.

Trafficking und Migration

Wie Initiativen und Massnahmen gegen Menschenhandel die Rechte von Frauen auf Mobilität beeinträchtigen und wie sie ihre Sicherheit beim Überqueren von Grenzen bedrohen, wird in einem weiteren Teil von Ratna Kapur behandelt. Rechtliche und politische Programme zum Schutz der Frauen, tendieren dazu, den Migrantinnen generell eine eigene Entscheid- und Handlungskompetenz abzusprechen, statt sie mit Menschenrechten auszustatten. Den Sicherheitsinteressen der Frauen stehen sie dabei diametral entgegen.

Gewaltschutzgesetze

In einem weiteren Artikel gehen Regula Flury und Barbara Müller der Frage nach, inwiefern gesetzlicher Schutz, vor häuslicher Gewalt die Handlungsspielräume von gewaltbetroffenen Frauen erweitert und inwiefern er deren Status als Opfer und Schutzbedürftige reproduziert. Dabei wird der Fokus vor allem auf die jüngste schweizerische Gesetzgebung zu häuslicher Gewalt gerichtet. Die Analyse zeigt, dass sie betroffene Frauen zwar unterstützt, dass sie aber auch Widersprüche und Problem produziert und die Handlungsspielräume der Frauen nicht zwingend erweitert.

Kontrollierte Sauberkeit

Der Nährboden für ein Verständnis von Sicherheit, das Menschen ausschliesst und wegweist, liege in der direkten Verknüpfung von Sicherheit und Sauberkeit, so die Aussage des zweitletzten Beitrags von Yvonne Joos. Er befasst sich mit dem „öffentlichen Raum“. Sicherheit habe nach dem 11. September 2001 einen neuen Stellenwert erhalten. Die Leute liessen sich schneller verunsichern und seien entsprechend zu vielem bereit, was ihnen vermeintliche Sicherheit garantiere. Durch die totale Überwachung und die verschärften Polizeigesetze würden nicht selten Grundrechte erheblich verletzt.

Unsicherheit als Herausforderung

Der letzte Artikel ist ein Plädoyer von Renate Ruhne an die Frauen, den öffentlichen Raum als Herausforderung und nicht als Gefahr zu begreifen und ihn selbstbewusst zu nutzen. Massnahmen, mit denen sogenannte Angsträume für Frauen sicherer gestaltet werden, zielten in die falsche Richtung. Einerseits werde Gewalt gegen Frauen nämlich zum grössten Teil in der privaten Sphäre ausgeübt und andererseits würde durch solche sicherheitsfördernde Massnahmen in den konstruierten Angsträumen die (Selbst-)beschränkung von Frauen gefördert und das Machtungleichgewicht zwischen den Geschlechtern weiter gefestigt.

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