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Instrumente der bilateralen Menschenrechtspolitik - eine Einführung

20.08.2008

Der bilaterale diplomatische Verkehr zwischen Staaten spielt sich in verschiedenen, historisch gewachsenen Formen ab. Üblicherweise geschieht dies durch Kontakt zwischen einer Botschaft und den Behörden des Gastlandes, oder aber in direkten Treffen von Regierungsmitgliedern beider Staaten bzw. durch den Austausch von Delegationen. Diese Formen bilden auch den Rahmen, in dem sich die bilaterale Menschenrechtspolitik der Schweiz abspielt. Hier soll ein kurzer Überblick über die gebräuchlichsten Formen gegeben werden, und an einigen Beispielen soll ihre Anwendung durch die Schweiz erläutert werden.

Voten bei Staatsbesuchen

Die protokollarisch höchste Form des Kontaktes zwischen zwei Staaten ist die direkte Begegnung auf Minister- oder Staatspräsidentenebene. An solchen Treffen wird ab und zu auch die Menschenrechtslage im betreffenden Land angesprochen. Solche Voten generieren oft nicht nur grosse mediale Aufmerksamkeit, sie können u.U. den Gesprächspartner bzw. dessen Land in ihrem Ansehen empfindlich treffen. Zwar haben sie selten eine über den Medieneffekt hinausgehende Wirkung, sie sind aber gerade auch in innenpolitischer Hinsicht wichtig: die Schweizer Bevölkerung erwartet beispielsweise von ihrer Regierung, dass sie sich im Ausland für die Förderung der Menschenrechte einsetzt, wie das auch in der Bundesverfassung vorgesehen ist.

Deshalb sprechen Schweizer Regierungsmitglieder oder Delegationen bei Treffen und Besuchen nicht selten die Menschenrechte an. Dies geschieht zumeist nicht spontan, sondern wird bei der Planung des Besuches innerhalb des EDA abgesprochen, und das Regierungsmitglied wird durch eine aktuelle Zusammenfassung über die Lage im betreffenden Land auf den neuesten Stand gebracht. In heiklen Fällen wird sogar die Schweizer Position für den Auftritt in der erforderlichen Sprache vorformuliert.

So verurteilte z.B. Aussenministerin Calmy-Rey bei ihrem Besuch in der Türkei März 2005 übermässige Gewaltanwendung der türkischen Polizei gegen Demonstrantinnen. Dies war um so brisanter, als ihr Besuch eineinhalb Jahre zuvor von den türkischen Behörden als Reaktion auf die Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern durch das waadtländische Kantonsparlament abgesagt worden war und nur nach langwierigen Verhandlungen doch noch stattfinden konnte.

Unvergessen ist auch der Auftritt des damaligen Bundespräsidenten Samuel Schmid am Weltinformationsgipfel in Tunis im November 2005: Als Schmid in seiner Rede die Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit anprangerte, unterbrach das tunesische Fernsehen die Direktübertragung der Rede. Die Beziehungen zwischen Tunesien und der Schweiz wurden durch diesen Vorfall nachhaltig getrübt.

Demarche

Viel alltäglicher und im Normalfall gänzlich ohne mediale Aufmerksamkeit verlaufen Demarchen, eine der häufigsten diplomatischen Interaktionsformen. Eine Demarche besteht in einem diplomatischen Vorstoss einer Botschaft bei den Behörden des Gastlandes, bzw. in der Zitierung eines ausländischen Botschafters ins Aussenministerium des Empfangsstaates. Der Botschafter oder die Botschafterin wird empfangen – zumeist im Aussenministerium – und die Seite, die das Treffen in die Wege geleitet hat, bringt ihr Anliegen vor. Oft wird dazu auch ein Dokument übergeben, in welchem die angesprochenen Sachverhalte sowie die betreffenden Positionen und evtl. Forderungen festgehalten sind (das sogenannte Aide-Mémoire). Demarchen können auch schriftlich gemacht werden, in diesem Fall wird das Aide-Mémoire von einer diplomatischen Note begleitet ins Aussenministerium geschickt.

Demarchen können in verschiedenen Bereichen der Diplomatie eingesetzt werden; startet ein Land eine diplomatische Initiative wie z.B. die Schweiz bei der Bildung des UNO-Menschenrechtsrates, wird im Normalfall in den Hauptstädten potentieller Partnerländer mittels Demarchen um Unterstützung geworben.

Besonders gut eignen sich Demarchen aber, um Menschenrechtsverletzungen eines anderen Staates anzumahnen. Anders als die EU, welche solche menschenrechtsbezogenen Demarchen nicht selten durch simultane Medienmeldungen öffentlich macht, wahrt die Schweiz bei einem derartigen Vorgehen die Vertraulichkeit. Es soll nicht das öffentliche Anprangern im Vordergrund stehen, sondern die bilaterale Interaktion.

Als Massstab dient dabei das Internationale Recht, d.h. die in den Menschenrechtskonventionen verbrieften Rechte, die alle Staaten zu respektieren haben. Stellt ein Staat fest, dass ein anderer Staat eines oder mehrere solche Rechte verletzt, kann er dies anmahnen. Besonders oft geschieht dies in Fällen von (vermuteter) Folter, unfairen Prozessen, gewaltlosen politischen Gefangenen sowie als unverhältnismässig erachteten Todesurteilen.

Menschenrechtsdialog

Verschiedene Staaten erkannten im Laufe der 90er Jahre, dass neben der herkömmlichen bilateralen Menschenrechtsdiplomatie und der multilateralen Menschenrechtsdiplomatie im Rahmen der UNO auch konstruktivere Wege beschritten werden könnten und sollten. Insbesondere die Arbeit der Menschenrechtskommission mit ihren zum Ritual verkommenen Resolutionen, politischen Seilschaften und offenkundig ungleichen Masstäben („double standards“) hatte jegliche konstruktive Effizienz und Glaubwürdigkeit eingebüsst.

So wurde das Instrument des Menschenrechtsdialoges entwickelt. Auch die Schweiz begann in den neunziger Jahren einige solche Dialoge, so z.B. mit China (immer noch am Laufen) oder Vietnam (nach langem Unterbruch 2005 wieder aufgenommen). Seit 2003 führt die Schweiz auch einen Dialog mit Iran. Neben diesen "grossen" Dialogen wurden immer wieder kleinere lokale Menschenrechtsdialoge unterschiedlicher Dauer und Intensität mit verschiedenen Staaten geführt.

Ein Menschenrechtsdialog, wie ihn die Schweiz gemäss ihrem auf eigenen Erfahrungen basierenden Konzept pflegt, basiert auf mehreren Pfeilern. Es sollen regelmässige Treffen zwischen hochrangigen Delegationen stattfinden, an denen die im Vorfeld festgelegten Themen des Dialoges verhandelt werden. Besonders beliebt ist dabei die Verbesserung der Bedingungen im Strafvollzug – dies wohl auch deshalb, weil Änderungen in diesem Bereich für den Partnerstaat keinen grossen Gesichtsverlust nach sich ziehen und deshalb leichter darüber gesprochen werden kann als z.B. über Meinungsfreiheit oder Frauenrechte, wo es einem undemokratischen Regime schnell ans Lebendige gehen würde.

Das Besondere am Dialog ist, dass nicht nur zwischen Diplomaten verhandelt wird; denn solche Verhandlungen beschränken sich oft auf das Herunterbeten von Statements und tragen nicht viel zur Lösung tatsächlich existierender Probleme bei. Im Dialog kommen dagegen auch oft Experten/-innen zum Zug, die (im Prinzip) unbelastet von politischen Prinzipien an der technischen Umsetzung gewisser Verbesserungen arbeiten. So sind in den Delegationen von Schweizer Menschenrechtsdialogen regelmässig Strafvollzugsexperten dabei, welche mit den Strafvollzugsexpertinnen des Partnerstaates die Situation in den Gefängnissen analysieren und allfällige Verbesserungsvorschläge ausarbeiten. Zudem ist im Dialogkonzept auch vorgesehen, dass sich nicht nur Vertreter/innen der jeweiligen Aussenministerien treffen, sondern auch Angehörige anderer massgeblicher Behörden wie z.B. der Polizei oder der Justiz. Nach Belieben können auch Organisationen der Zivilgesellschaft ins Dialoggeschehen eingebunden werden, oder es können ausländische Experten und Expertinnen zu Weiterbildungszwecken in die Schweiz eingeladen werden. Schliesslich können im Rahmen eines Dialoges auch Projekte mit menschenrechtlichem Inhalt unterstützt werden.

Amnesty International steht dem Instrument "Menschenrechtsdialog" eher skeptisch gegenüber. Ein solcher dürfe niemals Selbstzweck sein – d.h. es genüge nicht, dass zwei Länder ab und zu öffentlich bestätigten, sie diskutierten Menschenrechtsthemen. Ein Dialog sei dann interessant, wenn er die Menschenrechtslage in einem Land wirklich verbessern könne. Dazu müssen klare Ziele gesetzt werden, und es müsse regelmässig überprüft werden, ob diese erreicht worden seien.

Und auf keinen Fall dürfe ein Dialog dazu führen, dass dem betreffenden Land gegenüber andere Instrumente der Menschenrechtspolitik nicht mehr angewandt würden (z.B. die oben erwähnte Demarche oder auch Resolutionen in UN-Gremien).

Natürlich, und das räumt auch Amnesty ein, dürfen solche Ziele nicht zu hoch gesetzt werden. Es wäre in jedem Fall vermessen, zu erwarten, dass z.B. ein Land wie China auf Drängen der kleinen Schweiz hin nach ein paar Jahren die Todesstrafe abschaffen würde.

Ein Problem besteht auch bei der Messung der Wirksamkeit eines Dialoges, bzw. bei der Überprüfung der Frage, inwiefern die gesetzten Ziele erreicht worden sind. „Die Menschenrechtslage“ in einem bestimmten Land lässt sich kaum mathematisch exakt messen und beziffern, und Änderungen, die festgestellt werden, lassen sich kaum kausal zweifelsfrei auf eine einzige Ursache zurückführen. Es gilt auch zu bedenken, dass die Schweiz nicht das einzige Land ist, welches Menschenrechtsdialoge führt. Zeichnet sich nun einem Dialogpartnerland der Schweiz eine positive Veränderung ab, lässt sich natürlich nicht zweifelsfrei feststellen, ob diese auf die Interaktion mit der Schweiz zurückzuführen ist oder auf die Interventionen eines anderen Staates.

Andere Dialogformen

Die Schweiz unterscheidet neben den vollständigen Menschenrechtsdialogen, wie sie sie mit China, Vietnam und Iran führt, auch den sogenannten Lokalen Menschenrechtsdialog sowie das Volet Menschenrechte im Politischen Dialog. Beides bedeutet, dass Menschenrechte regelmässig angesprochen werden, aber eben nur auf lokaler Ebene, d.h. ohne Austausch von Delegationen aus den Hauptstädten.

Projekte

Die Schweiz unterstützt auch Projekte mit menschenrechtlicher Zielsetzung. Dies kann, wie oben erwähnt, im Rahmen eines Menschenrechtsdialoges geschehen, oder aber im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit der DEZA. Schon seit langer Zeit ist die Gouvernanz – „gute Regierungsführung“ – ein wichtiges Thema der internationalen Entwicklungszusammenarbeit: die Partnerstaaten sollen darin unterstützt werden, rechtsstaatliche Strukturen zu entwickeln und z.B. die Korruption zu bekämpfen, damit ein gesundes Wachstum von Wirtschaft und demokratischen Strukturen erreicht werden kann. In den letzten Jahren dazugekommen ist der sogenannte „Human Rights Based Approach“. Dieser ist im Prinzip eine Weiterentwicklung der Gouvernanz, mit dem Unterschied, dass die Projekte und Richtlinien sich explizit am System der internationalen Menschenrechtskonventionen orientieren und die Universalität, Unteilbarkeit der Rechte in den Vordergrund stellen. Die Menschen in Entwicklungsländern werden in dieser neuen Sicht nicht mehr als Empfänger von Almosen betrachtet, sondern als Inhaber von Rechten, denen der Staat – d.h. das jeweilige Entwicklungsland – als Inhaber von Pflichten gegenüber steht.

Obwohl der Wechsel zur Menschenrechtsperspektive zweifellos richtig ist, kann er für die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit Probleme bergen: fast immer sind Menschenrechtsverletzungen durch Regierungen (in Entwicklungsländern wie anderswo) die Folge mangelnder politischer Bereitschaft zu Machtabgabe seitens der betreffenden Regierung. Eine Entwicklungsorganisation, welche solches öffentlich anmahnt und eine betroffene Regierung mindestens verbal in die Pflicht nimmt, kann leicht deren Gunst verlieren – damit kann sie aber auch unter Umständen die Erlaubnis verlieren, in einem bestimmten Land überhaupt tätig zu sein. So gilt es im Einzelfall genau zu überlegen, wie ein Projekt oder Landesprogramm ausgerichtet bzw. dem Gastland gegenüber kommuniziert werden soll.

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