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Bundesgesetze zur Terrorbekämpfung

Prävention und Repression in der schweizerischen Terrorismusbekämpfung

15.03.2017

In einem Klima, das von Terroranschlägen im nahen Ausland periodisch aufgeheizt wird, gehen Prävention und Repression innige neue Verbindungen ein. Der vorliegende Artikel gibt Einblicke in die Diskussionen auf Bundesebene von 2014 bis Anfang 2017, welche schliesslich in der neuen Gesamtstrategie des Bundes zur Terrorismusbekämpfung mit den Gesetzespaketen vom Sommer und Herbst 2017 mündeten (vgl. unseren Artikel dazu).

Strategische Betriebsamkeit

Unter dem Eindruck der Ereignisse in Syrien und im Irak, in Frankreich und Deutschland haben die Bundesbehörden viel Energie in die Aufrüstung  der strategischen Ebene gesetzt, sei es zur Terrorismusbekämpfung im Allgemeinen (2015) oder  in Präventionsmassnahmen zur Verhinderung von Radikalisierung (2016) im Besonderen. Schliesslich wurde im September 2016 der Delegierte des «Sicherheitsverbunds Schweiz» beauftragt, einen Nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Radikalisierung und gewalttätigem Extremismus auszuarbeiten(vgl. unseren Artikel dazu).
Koordinierend im Hintergrund wirkt die sogen. TETRA, eine Taskforce unter der Leitung des Bundesamtes für Polizei fedpol und mit Beteiligung des Nachrichtendienstes des Bundes, der Bundesanwaltschaft, des EDA, des Grenzwachtkorps, des Staatssekretariats für Migration, des Bundesamts für Justiz sowie der Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz (KKPKS).

Welche Massnahmen zur Früherkennung?

Die Radikalisierung müsse auf lokaler Ebene und unter Einbindung der Sozial-, Familien- und Bildungsstrukturen bekämpft werden, schrieb der Bundesrat Anfang November 2015 in einer Medienmitteilung zur Veröffentlichung des Berichts über die Bekämpfung des dschihadistisch motivierten Terrorismus in der Schweiz. Demnach seien in jüngerer Zeit kantonale Polizeikorps sensibilisiert und ausgebildet worden. Radikalisierung sei aber ein Phänomen, das weit über den Wirkungsbereich der Sicherheitsbehörden hinausgehe, schreibt der Bundesrat weiter. Daran knüpfte die Fedpol-Chefin Nicoletta della Valle an, als sie in einem NZZ-Interview betonte, der Kampf gegen die Radikalisierung beginne «in den Schulen, bei den Sozial- und Migrationsbehörden, bei Beratungsstellen und weiteren Institutionen».

Beratungsangebote

In der Tat sind Städte und Kantone in der Prävention von dschihadistischem Extremismus aktiv geworden. Einige Städte haben eher niederschwellige Beratungsangebote geschaffen, bei denen sich Freunde oder Angehörige melden können, wenn sie beobachten, dass eine Person sich möglicherweise radikalisiert hat und mit Dschihadisten sympathisiert.
So gibt es in der Stadt Bern seit Herbst 2014 die «Beratungsstelle Radikalisierung», welche dem persönlichen Umfeld von jungen Menschen, die sich in auffälliger Weise in irgendeinem Kontext radikalisieren, Unterstützung bietet. In Lausanne arbeitet die Polizei mit grossen Moscheen zusammen. Gemäss Medienberichten wurde eine jugendliche mutmassliche Dschihad-Sympathisantin durch Gespräche davon abgehalten, in den Dschihad zu reisen.
Diese Art der Präventionsarbeit kann aber auch schnell auf Abwege geraten und zum amtlich geförderten Denunziantentum werden, wie das Beispiel der Thurgauer Kantonspolizei zeigt (vgl. dazu unseren Artikel).

Ausreiseverbote für Dschihad-Sympathisanten

Der Nachrichtendienst des Bundes hat zwischen 2001 bis Januar 2017 insgesamt 78 Dschihadreisende aus der Schweiz verzeichnet. Die Schweiz trägt international eine Mitverantwortung, um die Verbreitung des Terrorismus zu verhindern.

Gegen Personen, die verdächtigt werden, sich im Ausland einer terroristischen Organisation anschliessen zu wollen, kann der Bund seit 2015 vor einer Ausreise ein präventives Ausreiseverbot aussprechen. Als rechtliche Grundlage dafür dient im Wesentlichen Artikel 2 des «Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen Al-Quaïda und Islamischer Staat sowie verwandter Organisationen».

Dieses Gesetz ist am 1. Januar 2015 in Kraft getreten und gilt eigentlich bis zum 31. Dezember 2018. Es bricht mit der helvetischen Tradition, wonach keine Organisationen verboten werden. Das Gesetz stellt die Beteiligung an den erwähnten Organisationen sowie deren Unterstützung und propagandistische oder anderweitige Förderung unter eine Strafandrohung.

Ein präventives Ausreiseverbot kann  grundsätzlich nur gegen Personen verhängt werden, gegen die bereits ein Strafverfahren wegen mutmasslicher Verstösse gegen das erwähnte Bundesgesetz läuft. Gemäss Angaben der NZZ vom 12. Nov. 2015 kommt eine solche Massnahme in Ausnahmefällen aber auch vor, bevor ein Verfahren eröffnet wird.

Bei Ausreiseverboten vermischen sich Strafverfolgung und Prävention: Zum einen führen geheimdienstliche Informationen zu einem Strafverfahren wegen der vermuteten Nähe einer Person zu einer verbotenen Organisation, zum andern kann das Strafverfahren eine empfindliche Beschränkung der Bewegungsfreiheit in Form eines präventiven Ausreiseverbots nach sich ziehen. So schliesst sich der Kreis: Die präventive Aufgabe des Nachrichtendienstes mündet in die Strafverfolgung, und die Strafverfolgung wird zum Mittel der Prävention. Die vorsorgliche Massnahme umgeht die Unschuldsvermutung. Das einzige «Vergehen» der/s mutmasslichen Sympathisantin/-en zum Zeitpunkt der Massnahme ist es, dass er/sie eine Reise in die Nähe einer Konfliktregion (z.B. in die Türkei) geplant hat.

Ausarbeitung von präventiv-polizeilichen Massnahmen

Die praktizierten Ausreiseverbote verfügen also zum einen im strafrechtlichen Bereich erst über eine indirekte und erst noch befristete gesetzliche Grundlage und zum andern im rein präventiven Bereich – das heisst ausserhalb von laufenden Strafverfahren - über gar keine gesetzliche Grundlage. Um letztere Lücke zu füllen, hat der Bundesrat im Juni 2016 die Ausarbeitung der gesetzlichen Grundlagen für eine Reihe neuer präventiv-polizeilicher Massnahmen angekündigt. Diese verwaltungsrechtlichen Massnahmen sollen die Ausreise von Personen verhindern, die sich terroristischen Organisationen im Ausland anschliessen möchten. 

Konkret ist vorgesehen, dass Personen, die verdächtigt werden, in den Dschihad reisen zu wollen, der Reisepass entzogen werden kann und dass sie sich regelmässig auf einem Polizeiposten melden müssen. Welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit jemand als «verdächtig» eingestuft wird, muss das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) noch festlegen. In seiner Medienmitteilung vom Juni 2016 verspricht der Bundesrat lediglich, dass die Behörden im Einzelfall unter Berücksichtigung der Verhältnismässigkeit und unter Abwägung aller Interessen über die Massnahmen entscheiden wollen.

Der Bundesrat plant in diesem Zusammenhang auch eine gesetzliche Grundlage, welche es dem Fedpol ermöglicht, terroristisch motivierte Reisende im Schengener Informationssystem (SIS) verdeckt zu registrieren. Die entsprechende Motion wurde von Marco Romano (CVP/TI) eingereicht und am 14. Dezember 2016 angenommen. Ziel der Motion ist es, dass Informationen über Reisebewegungen von verdächtigen Personen im Schengen-Raum erfasst und dokumentiert werden. Diese Informationen werden dem Fedpol weitergeleitet, ohne die betroffene Person davon in Kenntnis zu setzen. Das EJPD wurde damit beauftragt, einen Vernehmlassungsentwurf für die nötigen Gesetzesanpassungen im Verwaltungsrecht vorzubereiten.

Zur Ablösung des bis Ende 2018 befristeten dringlichen Bundesbeschlusses über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» soll gleichzeitig ein strafrechtliches Gesetzespaket vorgelegt werden.

Nachtrag März 2018

Die beiden Gesetzespakte – ein strafrechtliches und ein verwaltungsrechtliches – wurden inzwischen in die Vernehmlassung geschickt (vgl. unseren Artikel dazu). Da sich inzwischen herausgestellt hat, dass die Zeit nicht reicht, dass die strafrechtlichen Gesetzesänderungen am 1. Jan. 2019 nahtlos den Bundesbeschlusses über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» ablösen können, wurde dieser bis ins Jahr 2022 verlängert.

Internationaler Rückenwind für schärfere Gesetze

Auf multilateraler Ebene beschäftigen sich diverse Arbeitsgruppen und Kommissionen der UNO, des Europarates und der OSZE mit Terrorismusbekämpfung. Die Schweiz arbeitet in vielen dieser Arbeitsgruppen aktiv mit und hat in den letzten Jahren verschiedene Abkommen unterzeichnet, die den Zweck verfolgen, die Zusammenarbeit im Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu verbessern. Dazu gehören Abkommen zur bilateralen Rechtshilfe, Auslieferungsabkommen, Abkommen zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität oder spezifische Abkommen und Resolutionen der UNO (Sanktionslisten, Finanzflüsse u.a.) und des Europarates zur Terrorismusbekämpfung.

Neues Zusatzprotokoll stützt Straftatbestände

Im Oktober 2015 hat der Bundesrat nun beschlossen, dass er das Zusatzprotokoll zur Europaratskonvention zur Verhütung des Terrorismus ratifizieren will. Die eigentliche Konvention hat die Schweiz bereits 2012 ratifiziert. Die nun angekündigte Erweiterung des Abkommen zielt auf die Verfolgung von mutmasslichen zukünftigen ausländischen Kämpfern/-innen ab. Es legt den Staaten verschiedene strafrechtliche Massnahmen nahe. Unter anderem empfiehlt es, Bedingungen festzulegen, unter welchen terroristisch motivierte Auslandreisen unter Strafe gestellt werden.

Offensive der Sicherheitspolitiker/innen

Der Bundesrat versprach bereits am 14. Oktober 2015: «Diese Ausweitung der Strafbarkeit wird verhältnismässig vorgenommen, unnötige Eingriffe in Grundfreiheiten sind zu vermeiden.» Ob dieses Versprechen von den in Ausarbeitung befindlichen neuen Massnahmen und Strafbestimmungen eingehalten wird, ist allerdings noch fraglich. Es häufen sich die Vorschläge für mehr Sicherheit, mehr Prävention und mehr Repression. Bereits im März 2015 hatte die FDP eine parlamentarische Initiative eingereicht, die eine neue Strafbestimmung zur Terrorbekämpfung schaffen möchte.  Dieser Vorstoss enthält fragwürdige Elemente wie den neuen Tatbestand der «Verherrlichung des Terrorismus». Die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats hat die parlamentarische Initiative am 16. November 2016 verworfen, weil sie mit den laufenden gesetzgeberischen Bestrebungen nicht koordiniert ist.

Kantone lobbyieren für Gesinnungsstrafrecht

Es ist nicht auszuschliessen, dass zum neuen präventiven Instrumentarium der Behörden auch die Präventivhaft gehören wird.  Während der Bundesrat diesbezüglich noch schweigt, forderte der Präsident der Konferenz der Kantonalen Justiz – und Polizeidirektoren (KKJPD), Hans-Jürg Käser bereits eine Präventivhaft für Terrorverdächtige. Ende 2016 erklärte er gegenüber 10vor10, dass Personen, welche mit terroristischen Gruppen sympathisieren, inhaftiert werden sollen, noch bevor sie irgendeine Straftat begangen haben.

Die KKJPD habe dem EJPD einen entsprechenden Vorschlag zu einem neuen Strafrechtsartikel übermittelt. In einem Gastkommentar in der NZZ unterstrich der ehemalige Basler Polizeikommandant Markus Mohler diese Forderung, indem er eine rechtsstaatliche Legitimation für eine zeitlich unbeschränkte Präventivhaft zu konstruieren versuchte. Und der Sekretär der zuständigen Kommission der KKJPD forderte für aus dem Strafvollzug entlassene Dschihadisten, welche immer noch als Risiko eingestuft werden, ein eigentliches Gesinnungsstrafrecht mit einer möglichen Inhaftierung ohne zeitliche Beschränkung.

Derartige Phantasien sind beunruhigend, obwohl die Fedpol-Chefin Nicoletta della Valle in einem Interview mit der NZZ am 18. Februar 2017 klipp und klar feststellte: «In einem Rechtsstaat ist es nicht möglich, Personen auf Vorrat einzusperren, nur weil sie in Zukunft vielleicht eine Straftat begehen könnten.»

Eine Administrativhaft, die auf reinen Risikoannahmen beruht, bedeutet in der Regel eine rechtswidrige Einschränkung der Menschenrechte. Der Ausschuss für rechtliche Fragen und Menschenrechte der parlamentarischen Versammlung des Europarates hat in einem Bericht über Administrativhaft daran erinnert, dass die Grundrechte auch im Rahmen der Terrorbekämpfung gelten. Eine rein präventive Inhaftierung von verdächtigen Personen, die ein Delikt begehen könnten, ist gemäss Art. 5 EMRK verboten. Die Kommission präzisiert weiter, dass kein Mensch präventiv seiner Freiheit beraubt werden kann, ausser  zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betroffene Person eine Straftat begangen hat , oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat zu hindern.

Auf der Grundlage des Berichts ihres Ausschusses hat die parlamentarische Versammlung des Europarates am 22. Juni 2016 mit grosser Mehrheit eine Resolution zur Administrativhaft verabschiedet, welche unter anderem diese Grundsätze bekräftigt.

Kommentar: Wo setzen wir die Grenze?

In Frankreich  wurde der Ausnahmezustand bereits zum Normalfall. In der Schweiz könnte dasselbe auf schleichende Weise passieren, indem im Zuge diverser Gesetzesanpassungen rechtsstaatliche Grundprinzipien wie die Unschuldsvermutung ausgetrickst werden. Gerechtfertigt wird diese Tendenz mit der Risikoverminderung in Bezug auf mögliche Terroranschläge.

Risikoverminderung steht seit Jahren auch in der Strafjustiz hoch im Kurs. Gemäss dem Bundesrichter Niklaus Oberholzer lässt sich die Schweiz dabei auf ein gefährliches Spiel ein. Wenn wir jedes potentielle Risiko ausschalten wollen, erscheint jeder verdächtig, sagt der Bundesrichter. Wir dürfen handfeste Beweise nicht durch Eindrücke und Hypothesen ersetzen.

Es zeigt sich, dass Parlamentarier/innen und Behörden bei einer Abwägung zwischen Menschenrechten und Sicherheit oft einschneidende Massnahmen zu Gunsten von vermeintlich mehr Sicherheit beschliessen. Dabei geht vergessen, dass ein Eingriff in die Menschenrechte nur zu rechtfertigen ist, wenn er per Gesetz vorgesehen, im öffentlichen Interesse und verhältnismässig ist. Besonders problematisch wird es, wenn Eingriffe in die Menschenrechte präventiv erfolgen. Präventive Massnahmen, welche die Grund- und Menschenrechte massiv einschränken, dürfen im Kampf gegen den Terrorismus nicht zur Normalität werden.