03.02.2017
von Alex Sutter, veröffentlicht als Gastkommentar in der NZZ vom 2.02.2017
Stellen wir uns vor, das eidgenössische Parlament würde ein neues Gesetz zur präventiven Unterbringung von Gefährdern verabschieden. Stellen wir uns vor, dieses Gesetz sähe vor, dass Personen, die wegen ihrer radikalislamistischen Gesinnung als gefährlich eingestuft werden, über ein administratives Verfahren für unbestimmte Zeit in Gewahrsam genommen werden können. Stellen wir uns weiter vor, dass die Behörden den administrativen Bevölkerungsschutz später auch auf weitere Gruppen ausweiten würden, etwa auf renitente Hooligans oder auf rechtsextreme Rädelsführer.
Unlängst hat Markus Mohler in einem Gastkommentar einen rechtspolitischen Vorschlag lanciert, der in diese Richtung zielt (NZZ 12. 1. 17). Sein Bestreben ist es, den rechtsstaatlich legitimen Freiheitsentzug für Personen, die keine Straftat begangen haben, markant auszuweiten. Damit reiht er sich in einen vielstimmigen Chor ein, der mit jedem Terroranschlag im nahen Ausland nochmals anschwillt. Eine starke gesellschaftliche Strömung ist gegenwärtig dabei, den rechtsstaatlichen Damm erodieren zu lassen, der uns eigentlich davor schützen sollte, wegen persönlicher Überzeugungen und zugeschriebener Eigenschaften in Gewahrsam genommen zu werden. So gibt es auch im Bereich Strafvollzug einen starken Trend, gewisse Insassen weit über die Zeitdauer der verhängten Strafe hinaus eingesperrt zu behalten, weil man ihnen für die Rückkehr in die Freiheit eine schlechte Prognose stellt.
In diese Strömung reiht sich nun auch Mohlers Zukunftsentwurf ein. Er setzt in seinem Gastkommentar beim Modell der fürsorgerischen Unterbringung an. Bei einer Zwangseinweisung in die Psychiatrie rechtfertigt der staatliche Schutzauftrag einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit. Voraussetzung sind eine psychische Störung oder eine geistige Behinderung, welche sich in einem gefährlichen Verhalten – also einer akuten Selbst- oder Fremdgefährdung – äussern. Dieses Paradigma überträgt Mohler nun auf den Bereich der Sicherheitspolitik und Terrorbekämpfung und erklärt es zu einer Pflicht des Staates, einen nachhaltigen Schutz zu bieten vor Personen, die nicht wegen ihrer Taten, sondern wegen ihrer Einstellungen für gefährlich gehalten werden. Die selbstgewählte Ideologie einer Person oder bestimmte von ihr geäusserte Absichten oder Handlungsmuster – welche in der Regel von der Gedanken-, der Meinungs- und der persönlichen Freiheit geschützt sind – sollen also künftig zum Anlass für eine administrativ angeordnete Inhaftierung werden, sobald die betreffende Person von den Behörden als «gefährlich» eingestuft wird.
Diese Idee ist nun aber geradezu ein Freipass für eine Hexenjagdmentalität. Gerechtfertigt wird der massive Eingriff in die Grundrechte einzelner Individuen mit dem Schutz der Grundrechte aller übrigen Personen, welche von den «Gefährdern» (eine Wortkreation der deutschen Geheimdienste) in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Oder anders ausgedrückt: Die Sicherheitsorgane werden beauftragt, die Grundrechte von einigen wenigen systematisch auszuhebeln, um die als gefährdet erachteten Grundrechte der meisten anderen in der Gesellschaft zu schützen. Genau um das zu verhindern, wurde nun aber der moderne Grund- und Menschenrechtsschutz überhaupt erst geschaffen.
Die von Mohler diskutierte präventive Sicherheitshaft würde im Prinzip zeitlich unbeschränkt gelten – wenn nötig lebenslänglich. Und damit nicht genug, sie impliziert zudem eine flächendeckende Ausweitung der Überwachung des Denkens und Kommunizierens der Bevölkerung.
Die Frage drängt sich auf: Handelt es sich bei dieser Vision nicht ebenfalls um eine gefährliche Ideologie, die bekämpft werden muss, weil sie den Weg in den totalitären Überwachungsstaat ebnet?
Dokumentation
- Keine neue Hexenjagd
Gastkommentar von Alex Sutter in der NZZ vom 02.02.2017 (mit Kommentaren) - Über den Umgang mit Gefährdern
Gastkommentar von Markus Mohler in der NZZ vom 12.01.2017 (mit Kommentaren)