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Das 14. Zusatzprotokoll zur EMRK vom 13. Mai 2004 (in Kraft seit dem 1. Juni 2010)

26.01.2013

Angesichts der Zunahme von Beschwerden, die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit den zur Verfügung stehenden personellen Ressourcen und unter Ausschöpfung der geltenden Bestimmungen kaum mehr bewältigt werden können, rief die Ministerialkonferenz über Menschenrechte im November 2000 das Ministerkomitee dazu auf, eine Studie über Wege und Möglichkeiten der Sicherstellung der Effizienz des EGMR zu verfassen. Das 14. ZP wurde am 13. Mai 2004 verabschiedet, konnte jedoch wegen einer langen Blockade durch die russische Duma erst auf den 1. Juni 2010 in Kraft treten.

Massnahmen zur Steigerung der Effizienz

Die vom Lenkungsausschuss für Menschenrechte (CDDH) verfasste Studie identifizierte drei Bereiche, in denen angesetzt werden sollte, um die Effizienz des Gerichtshofes zu steigern:

  • Die Verbesserung der Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen auf staatlicher Ebene sowie die Verbesserung der innerstaatlichen Beschwerdemöglichkeiten;
  • die Verbesserung und Beschleunigung der Umsetzung von Urteilen des Gerichtshofes, sowie
  • eine Optimierung des Filtermechanismus des Gerichtshofes.

Zum Inhalt des 14. ZP

In der Folge wurde der Lenkungsausschuss mit der Ausarbeitung eines Protokollentwurfes beauftragt. Das am 13. Mai 2004 vom Ministerkomitee verabschiedete und zur Unterzeichnung und Ratifikation aufgelegte 14. Zusatzprotokoll zur EMRK enthält nunmehr schwergewichtig Bestimmungen, die der Optimierung des Filtermechanismus dienen. Im Gegensatz zum 11. Zusatzprotokoll, das den Durchsetzungsmechanismus tiefgreifend umgestaltete, nimmt das 14. Zusatzprotokoll keine radikale Umstrukturierung vor, sondern versucht, dem Gerichtshof gezielt die nötigen Mittel und Werkzeuge zur effizienten und raschen Zurückweisung unzulässiger Beschwerden in die Hand zu geben. Dadurch soll dem Gerichtshof die für die Beurteilung von Fällen, die eine eingehende Prüfung verlangen, notwendige Zeit zur Verfügung gestellt werden. Die drei wichtigsten Änderungen des 14. Zusatzprotokolles stehen ganz im Dienste dieses Zieles.

  • Einzelrichter: Nach dem neuen Art. 26 Abs. 1 EMRK soll der Gerichtshof nicht nur als Ausschuss, Kammer oder Grosse Kammer tagen können, sondern auch als Einzelrichter oder Einzelrichterin. Die Kompetenz dieser Einzelrichter, die durch der Kanzlei angehörende Rapporteurs bzw. Assessoren unterstützt werden (neuer Art. 24 Abs. 2 EMRK), beschränkt sich auf die Unzulässigerklärung oder Streichung offensichtlich unzulässiger Beschwerden, d.h. von Beschwerden, bei denen der Unzulässigkeitsentscheid ohne weitere Prüfung getroffen werden kann (neuer Art. 27 Abs. 1 EMRK). Können Beschwerden nicht für unzulässig erklärt oder gestrichen werden, so leiten die Einzelrichter die Beschwerde einem Ausschuss oder einer Kammer zur Beurteilung weiter (neuer Art. 27 Abs. 3 EMRK). Das 14. Zusatzprotokoll räumt somit den Einzelrichtern die Funktion eines Triageorgans ein, um die Beschwerdeflut effizienter als bisan filtern zu können.
  • Neuer Unzulässigkeitsgrund: Nach dem neuen Art. 35 Abs. 3 lit. b EMRK sollen Beschwerden für unzulässig erklärt werden, wenn die beschwerdeführende Person keinen «erheblichen Nachteil» erlitten hat. Die Schaffung dieses neuen, problematischen Unzulässigkeitsgrundes war bei der Ausarbeitung des Zusatzprotokolles heftig umstritten. Sowohl NGOs als auch einzelne Konventionsstaaten bekämpften dieses neue Zulässigkeitskriterium mit der Begründung, es untergrabe das Verfahren der Individualbeschwerde. Zwei Schutzklauseln sollen nunmehr verhindern, dass das Fehlen eines erheblichen Nachteils automatisch zur Unzulässigkeit der Beschwerde führt. Verlangt die Achtung der Menschenrechte, wie sie in der EMRK und in ihren Zusatzprotokollen anerkannt sind, eine materielle Prüfung, so dürfen entsprechende Beschwerden nicht wegen des Fehlens eines erheblichen Nachteiles für unzulässig erklärt werden. Ebenso dürfen auch jene belanglosen Beschwerden nicht für unzulässig erklärt werden, wenn der Sachverhalt nicht bereits ordnungsgemäss von einem nationalen Gericht geprüft worden ist.
  • Mehr Kompetenzen für Ausschüsse: Die Möglichkeit, repetitive Beschwerden durch Ausschüsse für zulässig zu erklären und materiell zu entscheiden (neuer Art. 28 Abs. 1 lit. a EMRK). Bis anhin erschöpfte sich die Kompetenz dieser Dreiergremien darin, Beschwerden durch einstimmigen Beschluss für unzulässig zu erklären oder sie von der Liste der hängigen Fälle zu streichen. Neu sollen die Ausschüsse auch die Kompetenz erhalten, durch einstimmigen Beschluss Beschwerden für zulässig zu erklären und materiell darüber zu befinden, wenn die den betreffenden Beschwerden zu Grunde liegenden Fragen zur Anwendung oder Auslegung der Konvention durch eine ständige Rechtsprechung des Gerichtshofes gedeckt sind. Zulässigkeitsentscheide und materielle Urteile durch Ausschüsse setzen jedoch weiterhin Einstimmigkeit voraus; kann kein einstimmiger Entscheid erzielt werden, so wird die entsprechende Beschwerde weiterhin an eine Kammer weitergeleitet.

Mehr Kompetenzen für das Ministerkomitee

    Das 14. Zusatzprotokoll zur EMRK beschränkt sich jedoch nicht auf diese drei Änderungen. Das Protokoll stärkt auch die Rolle des Ministerkomitees bei der Überwachung des Vollzuges der Urteile des Gerichtshofes. So wird dem Ministerkomitee zum einen die Möglichkeit eingeräumt, den Gerichtshof um einen Entscheid über die Auslegung eines Urteiles anzugehen, falls der Vollzug eines Urteiles durch ein Auslegungsproblem behindert wird (neuer Art. 46 Abs. 3 EMRK). Zum anderen führt das neue Zusatzprotokoll ein Versäumnisverfahren ein: Das Ministerkomitee wird ermächtigt, vor der Grossen Kammer ein Verfahren gegen Staaten anzustrengen, die ihrer Verpflichtung, die Urteile des Gerichtshofes zu befolgen, nicht nachkommen. Kommt die Grosse Kammer zum Schluss, dass ein Staat seine Verpflichtungen missachtet hat, entscheidet das Ministerkomitee über die zu ergreifenden Massnahmen (neuer Art. 46 Abs. 4 und 5 EMRK).

    Weitere Erneuerungen

    Weiter verstärkt das 14. Zusatzprotokoll die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Gerichtshofes, indem die Amtsdauer der Richterinnen und Richter auf neun Jahre erhöht wird, im Gegenzug aber die Möglichkeit der Wiederwahl entfällt (neuer Art. 23 Abs. 1 EMRK). Ferner wird die Praxis, wonach Kammerentscheidungen über die Zulässigkeit und Begründetheit nicht mehr grundsätzlich getrennt, sondern vielmehr in einem einzigen Urteil ergehen, neu auch im Wortlaut der Konvention (neuer Art. 29 Abs. 1 EMRK) reflektiert. Neu ist auch, dass dem Menschenrechtskommissar des Europarates im neuen Art. 36 Abs. 3 EMRK das Recht eingeräumt wird, in sämtlichen vor einer Kammer oder der Grossen Kammer hängigen Beschwerdefällen schriftliche Stellungnahmen abzugeben und an den mündlichen Verhandlungen teilzunehmen. Und schliesslich fügt das Zusatzprotokoll einen Passus in die Konvention ein, wonach die Europäische Union der Konvention beitreten könne (neuer Art. 59 Abs. 2 EMRK). Im Falle eines tatsächlichen Beitritts wären jedoch noch weitere Anpassungen erforderlich.

    Ratifikation durch Russland verzögert

    Das 14. Zusatzprotokoll konnte erst in Kraft treten, nachdem es durch sämtliche Mitgliedstaaten des Europarats ratifiziert worden war. Über mehrere Jahre hinweg hat Russland die Reformbemühungen blockiert, weil die russische Staatsduma sich am 20. Dez. 2006 mit grossem Mehr geweigert hatte, das ZP Nr. 14 zu ratifizieren. 

    Zusatzprotokoll 14bis und Erklärung von Madrid ermöglichen den Durchbruch

    Um die russischen Blockade des ZP 14 zu umgehen, wurde ein innovativer Weg beschritten. Ein Teil der Reform – Einzelrichter und erweiterte Kompetenzen der Ausschüsse – wurde ausgelagert in das ZP 14bis, welches am 27. Mai 2009 verabschiedet wurde und bereits nach der Ratifikation durch drei Staaten am 1. Oktober 2009 in Kraft trat. Staaten, die das ZP 14 bereits unterzeichnet hatten, konnten auch eine einfache Erklärung abgeben, dass die neuen Verfahren auf sie angewendet werden können.

    Der Preis für diesen Weg war eine formellen Zweiteilung des Gerichtshofs: Individualbeschwerden aus Staaten, die das ZP 14bis unterzeichnet oder eine gleichwertige Erklärung abgegeben hatten, wurden bis zum Inkrafttreten des «regulären» 14. Zusatzprotokolls vom EGMR anders behandelt als Beschwerden aus Staaten, die dieses Protokoll nicht unterzeichnet hatten (das ist auch der Grund, weshalb für Verfahrensänderungen normalerweise Einstimmigkeit der Europarats-Staaten verlangt wird). Doch der politische Druck zeitigte seine erhoffte Wirkung: vom Inkrafttreten des ZP 14bis dauerte es gerade einmal 140 Tage, bis die russische Duma mit der Ratifikation des «richtigen» ZP 14 nachzog. Daraufhin trat es  am 1. Juni 2010 in Kraft, und das ZP 14bis wurde aufgehoben. Allerdings bleibt abzuwarten, ob mit den neuen Verfahren die Beschwerdeflut wirksam eingedämmt werden kann.

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