23.01.2025
Obwohl systematische Leibesvisitationen in der Justizvollzugsanstalt zwar in die Menschenwürde der Inhaftierten eingreifen, sind sie gemäss Bundesgericht zur Wahrung der Sicherheit ebendieser Anstalt gerechtfertigt. Dabei macht es keinen Unterschied, ob sich die betroffene Person im Strafvollzug oder in der Verwahrung befindet. Dieses Urteil ist ein Rückschlag für die Bemühungen um eine menschenrechtskonformere Verwahrung in der Schweiz.
In seinem Urteil vom 5. September 2024 bestätigt das Bundesgericht in Lausanne seine Rechtsprechung, gemäss welcher systematische Leibesvisitationen mit vollständiger Entkleidung der Gefängnisinsassen an sich zwar einen Eingriff in die Grundrechte darstellen, aber unter gewissen Umständen als verhältnismässig zu bezeichnen sind. Daran ändert auch nichts, dass sich die betroffene Person in Verwahrung und nicht im Strafvollzug befindet. Einzig der Ort der Durchführung der Leibesvisitationen wird als unzulässig erklärt.
In der Justizvollzugsanstalt Thorberg werden die Inhaftierten nach jedem Besuch einer Leibesvisitation mit vollständiger Entkleidung unterzogen. Grund dafür ist, dass der Besucherbereich keine räumliche Trennung der Eingewiesenen und der Besucher*innen erlaubt. Zudem benutzen sowohl Besucher*innen, als auch Inhaftierte dieselben Toiletten im Besucherbereich. Gemäss der Justizvollzugsanstalt sehe sich diese so regelmässig mit der Einfuhr unerlaubten Gegenständen und Substanzen konfrontiert. Deshalb sei zu Sicherheitszwecken eine standardisierte und systematische Leibesvisitation nach jedem Besuch notwendig. Fehlt diese, seien die Besuche nicht weiter durchführbar.
Dagegen hat der verwahrte A. Beschwerde erhoben. Er rügt einen ungerechtfertigten Eingriff in seine Würde und verlangt unregelmässige, angemessene sowie verhältnismässige Körperkontrollen, die ohne vollständiges Entkleiden stattfinden. Da er sich in der Verwahrung und nicht im Strafvollzug befindet, soll sich diese auch in der Ausgestaltung unterscheiden.
Eingriff in die Menschenwürde ist gerechtfertigt
Das Bundesgericht erklärt, dass eine Leibesvisitation zwar das das Recht auf die persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) und den Schutz der Privatsphäre (Art. 13 Abs. 1 BV) einschränkt, dieser Eingriff aber als verhältnismässig betrachtet werden kann. Einerseits besteht eine ausreichende gesetzliche Grundlage, nach welcher bei Gefangenen eine Leibesvisitation durchgeführt werden kann, falls sie verdächtigt werden, auf ihrem Körper unerlaubte Gegenstände zu verbergen (Art. 85 Abs. 2 BV). Diese Durchsuchung darf auch die Kontrolle des nackten Körpers umfassen, allerdings ohne Eingriff in Körperhöhlen. Andererseits eigne sich die Leibesvisitation gut dazu, die Sicherheit der Vollzugsanstalt zu garantieren und eingeführte Gegenstände zu eliminieren. Ohne die Systematik des Eingriffes würden die Besuche nicht weitergeführt werden können, was nicht im Sinne der Inhaftierten sei. Weniger einschneidende Massnahmen wie Trennscheiben oder Metalldetektoren stehen zwar zur Verfügung, diese hätten aber Nachteile für die Sicherheit der Vollzugsanstalt und würden ebenfalls in die Grundrechte eingreifen. Es stimmt aber zu, dass der Ort der Leibesvisitation ungenügend sei.
Das Bundesgericht bestätigt in diesem Urteil seine vorhergehende Rechtsprechung (BGE 141 I 141) zum Genfer Gefängnis Champ-Dollon, in welchem es bei einer sich im Strafvollzug befindenden Person zu 38 Leibesvisitationen innerhalb eines Jahres kam. Im Urteil ordnet es die systematischen Leibesvisitationen nach Besuchen trotz einem standardisierten Vorgehen als EGMR-konform ein, da sonst die Sicherheit des Gefängnisses beeinträchtigt und die Handhabung der Besucherrechte verunmöglicht werde. Zwar gäbe es weniger einschneidende Massnahmen, die hätten aber ihre eigenen Nachteile. Zudem käme den Kantonen bei der Organisation des Gefängnissystems ein gewisser Handlungsspielraum zu, in welchen man nicht stärker eingreifen möchte.
Die Verwahrung ist klar vom Strafvollzug zu unterscheiden
Obwohl A. sich nicht im Strafvollzug, sondern in der Verwahrung befindet, hält das Bundesgericht an der zitierten Rechtsprechung von BGE 141 I 141 fest. Es begründet dies damit, dass auch in der Verwahrung kein von den konkreten Umständen unabhängiger und unkontrollierter Kontakt zur Aussenwelt gewährt werden muss. So müssen die Leibesvisitationen auch nach Besuchen einer verwahrten Person zur Anwendung kommen. Auf die Argumentation von A., dass der Verwahrung im Gegensatz zur Strafe keinen punitiven Charakter zukommt und dies einer Doppelbestrafung gleichkommt, geht das Bundesgericht nicht näher ein.
Bei der Verwahrung handelt es sich nicht um eine Strafe, sondern um eine Massnahme. Sie will sich präventiv und verfolgt das Ziel, Rückfälle zu vermeiden. Folglich muss sie sich in ihrer materiellen Ausgestaltung deutlich vom Vollzug einer Strafe unterscheiden, auch weil die verwahrte Person letztere bereits verbüsst hat. In der Praxis ist dies allerdings aufgrund fehlenden Spezialeinrichtungen nur schwer umsetzbar. So wird die Verwahrung öfters in konventionellen Strafanstalten vollzogen, unter denselben Bedingungen, ein Umstand der gemäss EGMR einer doppelten Strafe gleichkommt. Auch die Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) kam 2022 in ihrem Bericht zum Schluss, dass der Verwahrungsvollzug der Schweiz nur teilweise den Grundrechten entspricht. Das Bundesgericht hat 2023 erwägt, dass die Unterbringung von verwahrten Personen im Strafvollzug allenfalls gegen die EMRK verstösst. Die Schlussfolgerung, dass die Leibesvisitationen auch bei verwahrten Personen gerechtfertigt ist, überrascht somit.
Rückschlag für eine menschenrechtskonforme Verwahrung
Das vorliegende Urteil ist als Rückschlag für eine menschenrechtskonforme Verwahrung einzuordnen. Trotz dem fundamentalen Unterschied zwischen dem vorliegenden Fall und BGE 141 I 141 hält das Bundesgericht an dieser Rechtsprechung fest – dies obwohl A. sich nicht mehr im Strafvollzug befindet und seine Strafe bereits verbüsst hat. Die daraus entstehende Doppelbestrafung wird im Urteil kaum thematisiert, obwohl sie für die Bewertung der Verhältnismässigkeit eigentlich massgebend sein sollte. Das Argument, dass die Massnahmen für die Sicherheit der Justizvollzugsanstalt unentbehrlich sind, widerspiegelt den verstärkten Ruf nach mehr Sicherheit in der Politik, verkennt dabei aber den eigentlichen Sinn und Zweck der Verwahrung als therapeutische Massnahme.
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Livia Schmid
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