28.04.2025
In einer Schule werden einem Jungen Hakenkreuze ins Pult geritzt und die ganze Klasse singt Lieder aus der NS-Zeit. An einem Mittagstisch werden während des Ramandas fastende Kinder nicht betreut und müssen – trotz Bezahlung durch die Eltern – von diesen abgeholt und zu Hause betreut werden. Drei Schwarze Männer werden auf offener Strasse kontrolliert und müssen sich bis auf die Unterwäsche ausziehen. Bei einem Fussballspiel mit einem jüdischen Fussballklub werden brutale antisemitische Drohungen geschrien. Dies sind nur einige wenige Beispiele von Vorfällen, die Menschen im Jahr 2024 an die Beratungsstellen des Beratungsnetzes herangetragen wurden.

Die Zahl der Beratungsfälle hat sich im Berichtsjahr 2024 massiv erhöht. Im Vergleich zum Vorjahr wurden 335 Fälle mehr gemeldet, dies entspricht einem Anstieg um 39%. Diese Zunahme ist enorm und für die Beratungsstellen ist dieser Mehraufwand kaum noch zu bewältigen. Die Gründe für diese Zunahme sind nach wie vor schwierig zu eruieren. Die politische Weltlage, Wahlkämpfe in der Schweiz und in den Nachbarländern, der Diskurs in den Medien sowie eine verstärkte Präsenz des Thema Rassismus dürften aber ihren Teil dazu beitragen, dass immer mehr Menschen von Rassismus betroffen sind und/oder immer mehr Menschen Beratung in Anspruch nehmen.
Zusätzlich zur grösseren Anzahl Meldungen werden die Fälle auch komplexer. Diese Komplexität ergibt sich häufig aus dem Lebensbereich, in welchem Diskriminierung stattfindet. So werden mit Abstand die meisten Fälle aus dem Bildungsbereich (19%) und dort mit grossem Abstand aus der obligatorischen Schule (14%) gemeldet. Diese Betroffenheit von zum grossen Teil minderjährigen Schüler*innen ist nicht tragbar und es braucht dringend Massnahmen und Kampagnen, damit Kinder in der Schule vor rassistischen Übergriffen geschützt sind. Nach der Schule folgt der Arbeitsplatz an zweiter Stelle. Auch hier braucht es dringend Massnahmen und Strategien um den Schutz von Arbeiter*innen und Angestellten vor rassistischer Diskriminierung zu verbessern.
Der Themenschwerpunkt des Berichts ist dieses Jahr das Gesundheitswesen. Im Berichtsjahr wurden im Gesundheitswesen 46 Meldungen verzeichnet, die Dunkelziffer dürfte aber sehr viel höher sein. Die Fallzahlen des Beratungsnetzes beziehen sich nur auf die Anzahl Fälle von Personen, die Beratung in Anspruch genommen haben. Verlässliche Zahlen über die Anzahl von rassistischen Vorfällen im Gesundheitswesen gibt es für die Schweiz – wie auch für rassistische Vorfälle in anderen Bereichen – leider nicht. Im Interview mit zwei Fachpersonen fordern diese an erster Stelle besseres Monitoring über Vorfälle von rassistischer Diskriminierung und über Chancengerechtigkeit beim Zugang zu medizinischer Behandlung. Es gibt zahlreiche Studien – die meisten davon aus den USA – die nahelegen, dass rassistische Vorurteile dazu führen können, dass rassifizierte Personen im Vergleich zu als weisse Personen eine schlechtere Behandlung erhalten, Krankheiten nicht richtig oder zu spät diagnostiziert werden, dass sie weniger schnell und weniger starke Schmerzmittel erhalten und dass dadurch nicht selten Menschenleben gefährdet werden. In England haben Schwarze Schwangere oder Gebärende beispielsweise ein viermal höheres Risiko bei der Schwangerschaft oder Geburt zu sterben als weisse Menschen. Auch der Mythos, dass Schwarze Menschen dickere Haut hätten und daher weniger Schmerzen empfinden würden im Vergleich zu weissen Personen, ist unter dem Gesundheitspersonal – zumindest in den USA – noch sehr weit verbreitet: die Hälfte aller Medizinstudierenden ist dieser Überzeugung. Die wenigen Untersuchungen, die auch in der Schweiz durchgeführt wurden, zeigen, dass insbesondere Schwarze Frauen von einer Ungleichbehandlung betroffen sind.
Der im Rassismusbericht interviewte Experte vermutet, dass solche Behandlungsunterschiede auch in der Schweiz existieren und dass dies unabhängig von Werdegang oder Überzeugung der behandelnden Person passiert. Diese Ungleichbehandlung würde sich vor allem in der Kommunikation und in der Schmerzbehandlung zeigen. Es käme auch vor, dass der Schweregrad eines Falls unterschätzt werde oder die Behandlungszeit bei rassifizierten Personen kürzer ausfalle. Eine der grössten Herausforderungen sei aber, dass rassistische Vorfälle gerade im medizinischen Kontext häufig nicht als solche wahrgenommen werden, weder von den Patient*innen, noch vom medizinischen Personal.
Es braucht in der medizinischen Ausbildung dringend eine Sensibilisierung zu Vorurteilen und deren Auswirkungen auf die Behandlungsqualität in medizinischen Einrichtungen. Spitäler und andere Gesundheitseinrichtungen müssen Massnahmen und Leitlinien erarbeiten, um Patient*innen aber auch Mitarbeitende vor (rassistischer) Diskriminierung zu schützen und einen diskriminierungsfreien Zugang zu medizinischer Versorgung sicherzustellen. Dazu gehört auch der Zugang zu Dolmetschdiensten für Menschen, welche die Landessprache nicht sprechen. Es braucht ein breites Monitoring von Vorfällen und wissenschaftliche Untersuchungen über den Zugang und die Qualität der medizinischen Versorgung von rassifizierten Personen. In jedem Kanton müssen Ombuds- und Meldestellen für rassistische Vorfälle eingerichtet und genügend finanziert werden, bei denen sich Betroffene niederschwellig und ohne Angst vor negativen Konsequenzen melden können.
Der Bericht kann auf Deutsch, Französisch und Italienisch unter www.network-racism.ch heruntergeladen und bestellt werden bei: Beratungsnetz für Rassismusopfer, Tel. 031 302 01 61, beratungsnetz@humanrights.ch
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Nora Riss
Leiterin Beratungsnetz für Rassismusopfer
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