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Für eine starke Menschenrechtspolitik 2023-2027

07.12.2023

Zum internationalen Tag der Menschenrechte, 10. Dezember 2023

Die NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz setzt sich für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte in der Schweiz ein. In der Plattform sind 100 schweizerische Nichtregierungsorganisationen aus der ganzen Schweiz zusammengeschlossen, die sich zum gemeinsamen Ziel gesetzt haben, dass die Menschenrechte in der Schweizer Innen- und Aussenpolitik an Stellenwert gewinnen. Den internationalen Tag der Menschenrechte nehmen wir zum Anlass, drei grundlegende Forderungen zur Schliessung von Lücken im Menschenrechtsschutz zu formulieren, die in der anstehenden Legislatur ernsthaft in Angriff genommen werden müssen. Die Forderungen betreffen namentlich Gesetze, die die Menschenrechte achten, schützen und gewährleisten; eine ausreichend dotierte Menschenrechtsstrategie; sowie zugängliche und effektive Beschwerdemechanismen.

Die Forderungen tangieren verschiedene Lebens- und staatliche Aufgabenbereiche. Sie sind wiederholt von den internationalen Menschenrechtsüberwachungsgremien vorgebracht worden, doch trotz nachhaltiger Kritik zeigen sich keine substanziellen Verbesserungen. Insgesamt fehlt es an Kohärenz und den nötigen Ressourcen bei der Umsetzung der Menschenrechte durch die staatlichen Verantwortungsträger*innen auf allen föderalen Ebenen.

Im Folgenden werden die Forderungen ausgeführt. Sie dienen als Grundlage für einen Dialog mit staatlichen Entscheidungsträger*innen zur nachhaltigen Verbesserung der Menschenrechtslage in der Schweiz.

Forderung 1: Starke gesetzliche Grundlagen

Menschenrechtskonforme Gesetze sind entscheidend für die Umsetzung der Menschenrechte. Durch sie anerkennt der Staat Unrecht und stärkt die Position von Menschen, die von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind. Der Wert der Menschenrechte wird in der gesellschaftlichen Wahrnehmung auf konkrete Weise gestärkt. Ausserdem bewirken sie, dass Behörden und private Organisationen sensibilisiert und angeleitet werden, wie sie Menschenrechte wirksam fördern können. Ferner ermöglichen menschenrechtskonforme Gesetze, dass sich Betroffene zur Wehr setzen können. Darum ist es auch besonders wichtig, dass Gesetze selbst die Menschenrechte enthalten und einhalten.

Die Schweizer Rechtsordnung hat bei diversen Querschnittsthemen grosse Lücken im rechtlichen Schutz vor Menschenrechtsverletzungen. International gefordert wird regelmässig, dass die Schweiz die wichtigsten internationalen Menschenrechtsverträge ratifiziert, wie zum Beispiel die Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen sowie die Fakultativprotokolle zu den beiden UNO-Pakten und zur UNO-Behindertenrechtskonvention. Ausserdem betreffen über 100 der insgesamt 319 Empfehlungen zur Menschenrechtslage in der Schweiz, die im Rahmen des Universal Periodic Review formuliert wurden, grundlegende gesetzliche Verbesserungen.

Wir konzentrieren uns zur Illustration auf zwei wesentliche gesetzgeberische Forderungen, welche den Schutz der Identität und Integrität betreffen:

Beispiel 1 – Rahmengesetz zum Schutz vor Diskriminierung:

Jeder Mensch hat ein Recht auf Schutz seiner Identität, indem er vor rassistischer, antisemitischer, sexistischer und anderweitig diskriminierender Benachteiligung, Hassrede und Gewalt geschützt wird. Die aktuelle Rechtslage ist ein Flickenteppich und entspricht nicht den menschenrechtlichen Anforderungen. Zum Beispiel sieht das aktuelle Recht keinen angemessenen Schutz vor Diskriminierung aufgrund des Lebensalters, Armutsdiskriminierung, rassistischer Diskriminierung sowie Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität und der sexuellen Orientierung vor. Mit einem Rahmengesetz können diese und andere Lücken auf grundlegende Weise geschlossen werden. Somit kann es dazu beitragen, dass alle Menschen am gesellschaftlichen Leben chancengleich teilnehmen können, und neuen Herausforderungen wie algorithmische Diskriminierung angemessen begegnet werden kann.

Beispiel 2 – Einführung eines strafrechtlichen Tatbestandes gegen Folter

Die Anti-Folter-Konvention, die die Schweiz vor über 35 Jahren ratifiziert hat, verlangt, dass alle Folterhandlungen strafbar sind. Die Einführung eines entsprechenden Tatbestandes stellt sicher, dass neben Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen auch weitere Handlungen eindeutig unter Strafe stehen. Ein Foltertatbestand führt zur Klärung mit Blick auf die Rechtfertigung von Folter, die Schwere der Strafe sowie die internationale Rechtshilfe in Strafsachen.  Ausserdem stärkt ein entsprechender Straftatbestand auch die Glaubwürdigkeit der Schweiz in ihrem internationalen Engagement gegen Folter. 

Forderung 2: Gesamtschweizerische Menschenrechtsstrategie

Die Umsetzung der Menschenrechte und der Gesetze hängt massgeblich davon ab, ob die zuständigen Organe des Bundes, der Kantone und der Gemeinden die erforderlichen Ressourcen zur Verfügung stellen. Dies setzt voraus, dass der Bund in Zusammenarbeit mit den Kantonen eine gesamtschweizerische Strategie für eine kohärente Menschenrechtspolitik entwickelt, in denen verbindliche Ziele und Massnahmen festgehalten werden. Diese muss von der Unterstützung und dem Know-how aller Departemente getragen werden. Zentral ist zudem ein funktionierendes staatliches Monitoring wie es in Artikel 33 der Behindertenrechtskonvention für die Umsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderungen explizit vorgesehen ist. In diesem Zusammenhang wichtig ist auch die Einrichtung eines Fonds mit Bundesgeldern zur Finanzierung zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich für die Erarbeitung von Berichten im Rahmen der menschenrechtlichen Überprüfungsverfahren und die Umsetzung der Empfehlungen der Überwachungsgremien einsetzen. Dieser Fonds soll von der schweizerischen Menschenrechtsinstitution SMRI verwaltet werden, um die unabhängige Umsetzung zu garantieren.

Mit der Gründung der schweizerischen Menschenrechtsinstitution SMRI im Mai 2023 kommt eine wichtige neue Akteurin dazu, die die Umsetzung der Menschenrechte in der Schweiz fördert. Sie hat die Aufgaben, Wissen aufzubereiten, dieses zu vermitteln sowie den Dialog, die Menschenrechtsbildung und den internationalen Austausch zu fördern. Sie soll aber explizit nicht staatliche Aufgaben übernehmen. Entsprechend bleibt eine gut dotierte und kompetente Koordinationsstelle des Bundes für die Umsetzung der Menschenrechte in unserem Land eine dringende und zentrale Forderung. Damit verbunden ist auch die Forderung zur Einrichtung einer interkantonalen Koordinationsstelle, die die Umsetzung der Empfehlungen internationaler Menschenrechtsgremien in Zusammenarbeit mit dem Bund sicherstellen kann. Nur so kann die oben geforderte Strategie zur Umsetzung der Menschenrechte konkrete Wirkung erzielen.

Forderung 3: Unabhängige Beschwerdestellen

Die Umsetzung der Menschenrechte im Alltag hängt davon ab, ob der Zugang zum Rechtsschutz gewährleistet ist. Jeder Mensch hat ein Recht darauf, dass sein Recht nicht nur Tinte auf Papier bleibt. Erst wenn Betroffene in der Lage sind, ihre Rechte auch tatsächlich durchzusetzen, werden sie von den Behörden auch ernst genommen. Nach aktueller Rechtslage ist der Zugang zum Rechtsschutz in vielen menschenrechtsrelevanten Bereichen mit hohen Hürden verbunden – namentlich wirtschaftlichen, psychologischen und prozessualen. Dadurch ist es für die Betroffenen vielfach gar nicht möglich, ihre Rechte einzufordern. Zu diesen Hindernissen zählen Kostenrisiken, teilweise untaugliche Beweisregelungen, mangelhafte Unabhängigkeit der Untersuchung, sehr lange dauernde Verfahren, das Risiko der Exponierung und damit verbunden erneute Rechtsverletzungen oder Nachteile im Alltag.

Die Probleme sind je nach Rechtsbereich unterschiedlich zu beurteilen. Besonders virulent sind sie im Bereich der Polizeigewalt, wo die Polizei selbst mangels Unabhängigkeit immer wieder kritisiert wird, dass sie nicht effektiv gegen Missstände wie unverhältnismässige Gewaltanwendung, Diskriminierung und Amtsmissbrauch vorgeht. Auch die Staatsanwaltschaft und gar die Justiz sind nicht immer willens und in der Lage, unabhängige Untersuchungen durchzuführen. Bei der Staatsanwaltschaft besteht der Grund darin, dass sie in ihrem Alltag auf eine enge Zusammenarbeit mit der Polizei angewiesen ist und es ihr an der nötigen Distanz fehlen kann, wenn Mitglieder der Polizei selbst dem Vorwurf einer Straftat ausgesetzt sind. Die Gerichte glauben in der Regel der Polizei und nicht den Opfern von Polizeigewalt. Angesichts dieser grundlegenden strukturellen Probleme beim Zugang zum Rechtsschutz weisen internationale Gremien die Schweiz immer wieder auf die Pflicht hin, unabhängige Beschwerdeinstanzen einzurichten. Im Gegensatz zu den Gerichten, die aufgrund der oben erwähnten Gründe wenig tauglich sind, dass Opfer von Polizeigewalt zu ihren Rechten kommen, sind unabhängige Beschwerdestellen für alle Betroffenen zugänglicher. Dies setzt jedoch voraus, dass sie über weitgehende Untersuchungsbefugnisse und genügende fachliche, personelle und finanzielle Ressourcen verfügen.

Ganz grundsätzlich besteht die Notwendigkeit, dass der Staat in sämtlichen menschenrechtssensiblen Bereichen neue Formen von Beschwerdemechanismen entwickelt, die eine unabhängige Untersuchung mit einer flexiblen und individuell ausgerichteten Palette von Instrumentarien und Lösungsansätzen bereitstellen. Unter anderem sollte der Gesetzgeber die Möglichkeit schaffen, dass die Beschwerdestellen auch über Kompetenzen zur Mediation und andere Formen der friedlichen Streitbeilegung verfügen.

Weiterführende Informationen:

kontakt

Tarek Naguib
Koordinator der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz

tarek.naguib@humanrights.ch
031 301 06 73
Bürozeiten: Mo-Mi

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Koordinator der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz

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