18.09.2023
Am 12. und 13. Juli hat der Ausschuss gegen Folter die Schweiz zum achten Mal überprüft. In diesem Verfahren wurde die Einhaltung des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CAT) durch die Behörden beurteilt. Bei der Formulierung seiner Bemerkungen stützte sich der Ausschuss einerseits auf den von der Schweiz vorgelegten periodischen Bericht und andererseits auf den von der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz vorgelegten Alternativbericht. Am Ende dieses kritischen Prozesses hat der Ausschuss eine Reihe von Empfehlungen an die Schweizer Behörden gerichtet. Die Schweizer Behörden müssen sich nun bemühen, diese Empfehlungen umzusetzen.
Gespräch mit Etienne Cottier (Mitarbeiter ACAT-Schweiz), Leiter der Arbeitsgruppe «Bekämpfung der Folter» der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz.
Was sind die wichtigsten Punkte, die die NGO-Plattform in ihrem Alternativbericht kritisierte?
In ihrem Alternativbericht kritisierte die Pattform das Fehlen einer spezifischen Bestimmung gegen Folter im Strafgesetzbuch. Die Anti-Folter-Konvention, die die Schweiz vor über 35 Jahren ratifiziert hat, verlangt, dass alle Folterhandlungen strafbar sind. Ausserhalb der Kontexte von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gibt es in der Schweiz jedoch noch immer keinen strafrechtlichen Tatbestand gegen Folter. Dies führt insbesondere zu Problemen im Hinblick auf die Rechtfertigung von Folter, die Schwere der Strafe oder die internationale Rechtshilfe in Strafsachen.
Die Plattform bedauerte auch den jährlichen Betrag von nur einer Million Schweizer Franken, der für die kürzlich gegründete Schweizerische Menschenrechtsinstitution (SMRI) bereitgestellt wurde. Diese neue Institution soll eine wichtige Rolle bei der Umsetzung der Menschenrechte in der Schweiz spielen. Leider wird dieser bescheidene Betrag nicht ausreichen, um die zahlreichen Aufgaben zu erfüllen, die auf die SMRI zukommen werden. Zudem hat die Schweiz ein höheres Lohnniveau als andere Staaten und muss Herausforderungen, die sich durch die Mehrsprachigkeit und den Föderalismus ergeben, bewältigen.
Die Plattform wies auf die mangelnde Berücksichtigung von Alternativen zur Administrativhaft sowie auf das Fehlen einer systematischen Überprüfung der Dublin-Haft hin. Einige Kantone scheinen den Grundsatz der Notwendigkeit überhaupt nicht zu prüfen, wenn sie die Haft von Migrant*innen anordnen. Mit anderen Worten: Sie ordnen die Haft systematisch an, ohne zu prüfen, ob weniger restriktive Massnahmen ergriffen werden könnten, um das gleiche Ziel – den Vollzug der Abschiebung – zu erreichen.
Wurden diese Kritikpunkte vom CAT-Ausschuss (aus deiner Sicht) befriedigend aufgenommen?
Der Ausschuss gegen Folter hat die von der Plattform in ihrem Alternativbericht vorgebrachten Kritikpunkte in sehr zufriedenstellender Weise aufgegriffen.
Im Rahmen des interaktiven Dialogs mit der Schweiz wies der Berichterstatter Todd Buchwald ausführlich auf die verschiedenen Probleme hin, die sich aus dem Fehlen einer strafrechtlichen Definition der Folter ergeben, und begrüsste die Einreichung einer parlamentarischen Initiative zur Schliessung dieser Lücke. In seinen Schlussbemerkungen setzte der Ausschuss eine Frist bis zum 29. März 2024, damit der Rechtsausschuss des Nationalrats in beiden Kammern des Parlaments einen Gesetzesentwurf einbringen kann, der den Kriterien des Übereinkommens entspricht.
Während des interaktiven Dialogs fragte Todd Buchwald die Schweizer Delegation, wie die SMRI in der Lage sein würde, ihr Mandat mit einem so geringen Betrag zu erfüllen. Die Delegation antwortete, dass die neue Institution in vier Jahren immer noch eine Budgeterhöhung bei der Bundesversammlung beantragen könne, was den Ausschuss nicht überzeugte. Die Delegation fügte hinzu, dass die SMRI immer zusätzliche Mittel für bestimmte Projekte erhalten könne. In seinen Schlussbemerkungen bedauert der Ausschuss jedoch, dass diese zusätzlichen Beträge von der SMRI nicht für Aktivitäten verwendet werden können, die es selbst als Prioritäten festgelegt hat.
Während des interaktiven Dialogs verurteilte der Berichterstatter Huawen Liu nachdrücklich die Tendenz einiger Kantone, systematisch Verwaltungshaft anzuordnen, ohne weniger einschneidende Massnahmen in Betracht zu ziehen. In seinen Schlussbemerkungen griff der Ausschuss diese Kritik auf und forderte auch, dass die Verwaltungshaft, wenn sie angeordnet wird, auf eine möglichst kurze Dauer begrenzt werden sollte.
Was sind die wichtigsten Beobachtungen des CAT-Ausschusses, auf die sich die Schweiz die kommenden Jahre bei der Umsetzung konzentrieren muss?
Hinsichtlich der Umsetzung der Empfehlungen sollte sich die Schweiz insbesondere auf die folgenden Aspekte konzentrieren:
- Die Entwicklung eines Gesetzesentwurfs bis zum 29. März 2024, der Folter im Strafgesetzbuch spezifisch unter Strafe stellt.
- Die Gewährleistung der Anonymität von aussagenden Personen vor der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF), denen die Freiheit entzogen wurde, sowie die Aufstockung der Mittel für die NKVF.
- Die vollständige und effektive Umsetzung des Istanbul-Protokolls.
- Die Gewährleistung der Rechtsberatung für Asylsuchende, die gegen einen negativen Asylentscheid Berufung einlegen wollen.
- Die Reduzierung der Überbelegung von Gefängnissen in den Kantonen Waadt und Genf, auch durch die Verhängung von Sanktionen als Alternative zur Haft.
- Die Einhaltung des Grundsatzes der Notwendigkeit bei der Verhängung von Administrativhaft.
- Die Untersuchung aller Vorwürfe von Misshandlungen in den Bundeszentren für Asylsuchende.
- Die Erwägung, in allen Kantonen einen unabhängigen Mechanismus zur Behandlung von Beschwerden über Polizeigewalt zu implementieren.
- Die Einrichtung einer zentralen Datenbank für alle Beschwerden über polizeiliche Gewalt und Gewalt gegen Personen im Freiheitsentzug.
- Die Einstellung aller medizinischen Eingriffe in die Geschlechtsmerkmale von intersexuellen Kindern.
Die Empfehlungen zur Strafbarkeit von Folter, zur NKVF, zu unabhängigen Beschwerdemechanismen bei Polizeigewalt und zu den entsprechenden Statistiken sind «follow-up recommendations». Die Schweiz muss den Ausschuss daher bis zum 28. Juli 2024 über die Umsetzung dieser Empfehlungen informieren.
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Tarek Naguib
Koordinator der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz
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