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Podcast «Artikel Sieben» - #2: Der Staat muss das Recht auf Demonstration schützen

31.10.2023

Unser neuer Podcast «Artikel Sieben» rückt die Menschenrechte in der Schweiz ins Zentrum. Einzelne Fälle machen gravierende Lücken im Menschenrechtsschutz sichtbar. In der zweiten Folge geht es um die Versammlungsfreiheit. Gesprächspartnerin ist Judith Wyttenbach, Professorin für Staats- und Völkerrecht an der Universität Bern. 


Das Recht auf politische Kundgebung (Demonstration) ist in der Schweiz durch die Meinungsäusserungsfreiheit und Versammlungsfreiheit geschützt. Die Europäische Menschenrechtskonvention und der UNO-Menschenrechtspakt, die auch für die Schweiz gelten, sichern diese Rechte ebenfalls zu. Diese Rechte sind zum einen wichtig für die einzelnen Menschen und für Gruppen von Menschen, die sich einer breiteren Öffentlichkeit mitteilen und so am gesellschaftlichen Dialog partizipieren möchten. Zum andern sind sie wichtig für eine lebendige Demokratie, in der Kritik formuliert und Meinungen und politische Überzeugungen ausgetauscht werden sollen, auch im öffentlichen Raum. Es liegt in der Natur politischer Kundgebungen und von Protestaktionen, dass sie den Gang des Alltagslebens stören können und vielleicht jene verärgern, die das politische Anliegen nicht teilen.

Der Staat muss die Versammlungsfreiheit achten. Wenn er sie einschränkt, z.B. eine Kundgebung nicht bewilligt, Auflagen macht oder Sanktionen ausspricht, muss er bestimmte verfassungsrechtliche Regeln einhalten. Die wichtigste Regel besagt, dass die Massnahme nicht unverhältnismässig sein darf. Zudem muss der Staat Kundgebungen unter Umständen gegen Verletzungen durch Dritte, etwa Gegendemonstrant*innen oder wütende Passant*innen, schützen. Und schliesslich muss er die Versammlungsfreiheit gewährleisten.

Politische Kundgebungen finden auf öffentlichen Strassen und Plätzen statt. Der öffentliche Raum hat aber viele Nutzer*innen, etwa Passant*innen, den öffentlichen und privaten Verkehr, Sportgrossanlässe oder kulturelle Veranstaltungen. Der Staat soll und darf diese verschiedenen Interessen koordinieren, muss dabei aber die Tragweite politischer Kundgebungen für die Demokratie berücksichtigen. In der Praxis stellen sich vielfältige Fragen: Wann sind Bewilligungsregimes für politische Kundgebungen zu restriktiv? Wie weit dürfen den Veranstalter*innen von politischen Versammlungen Organisationspflichten oder Kosten für Polizeieinsätze auferlegt werden? Darf eine Kundgebung verboten werden, weil Gewaltausübung von Gegendemonstrant*innen zu befürchten ist? Und wie ist der sogenannte «zivile Ungehorsam» einzuordnen, also eine Protestaktion, die nicht im engeren Sinne gewalttätig ist, die aber bewusst gegen die Rechtsordnung verstösst, um auf ein Anliegen aufmerksam zu machen – z.B. wenn der Verkehr absichtlich behindert, der Zugang zu einem Gebäude blockiert oder ein Misthaufen auf einer Strasse deponiert wird?

Mit diesen und anderen Fragen befasst sich die zweite Folge dieses Podcast.

Im Zusammenhang mit Demonstrationen wird auch immer wieder die Rolle der Polizei diskutiert. In unserem Dossier «Polizei» vertiefen wir die Thematik aus menschenrechtlicher Sicht und sprechen über die Risiken von Polizeieinsätzen - gerade auch im Zusammenhang mit Demonstrationen. 

«Artikel Sieben» wird herausgegeben von humanrights.ch und produziert von podcastlab.ch. Die einzelnen Folgen sind in allen Podcastkanälen zu hören oder können auf dieser Seite direkt abgespielt werden.