29.09.2023
Unser neuer Podcast «Artikel Sieben» rückt die Menschenrechte in der Schweiz ins Zentrum. Einzelne Fälle machen gravierende Lücken im Menschenrechtsschutz sichtbar. In der ersten Folge wird aber die Schweiz selbst als Menschenrechtsfall thematisiert. Gesprächspartner ist Matthias Hui, bis im September 2023 Koordinator der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz bei humanrights.ch.
Die Schweiz sieht sich auf der internationalen Bühne gerne als Menschenrechtsstaat. Aber die vielen kritischen Empfehlungen, die sie von Menschenrechtsgremien der UNO und des Europarats einstecken muss, machen deutlich: Das Vorbild für Rechtsstaat und Demokratie, das sie gerne wäre, leuchtet nicht überall, sagt Matthias Hui, bis September 2023 Koordinator der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz. Ein Beispiel: Die Schweiz setzt sich aussenpolitisch gegen Folter und erniedrigende Behandlung ein. Zuhause aber setzt sie nicht konsequent um, was sie von anderen verlangt: Vorsicht vor Einschränkungen der Menschenrechte bei einer weiten Auslegung von «Terrorbekämpfung», nur ganz restriktive Untersuchungs- und Isolationshaft, umfassende Untersuchung von Foltertraumata in Asylverfahren, unabhängige Beschwerdeverfahren gegen Polizeigewalt.
In der schweizerischen Menschenrechtspolitik mangelt es an Kohärenz und Mut. Woher kommt das? Der Schweiz ist ein Sonderfall: das Land ist erst sehr spät dem Europarat, der UNO und den einzelnen Menschenrechtsabkommen beigetreten. Wenn die Schweiz in den Menschenrechtszug einsteigt, möchte sie es möglichst kostenlos. Das zeigt sich an der prekären Finanzierung der neuen Schweizerischen Menschenrechtsinstitution SMRI. Die Menschenrechte haben in der Schweiz keine klare Adresse: Es fehlen starke Koordinationsmechanismen zwischen den einzelnen Departementen, zwischen Bund und Kantonen, zwischen Staat und Zivilgesellschaft.
Die Schweiz ist ein Rechtsstaat. Aber sie blendet aus, dass in ihrer Geschichte viele Gruppen vom Zugang zu diesen Rechten ausgeschlossen wurden und in der Gegenwart immer noch werden. Und der Kleinstaat hat einen blinden Fleck: Als Grossmacht in der Finanzwirtschaft oder im Rohstoffhandel ist sie Teil einer imperialen Lebensweise, die – im Inland unsichtbar –, die existenziellen Rechte vieler Menschen global beschneidet.
Aber die Menschenrechtslandschaft in der Schweiz ist in Bewegung. Immer mehr politische Akteur*innen verstehen den Kampf gegen Diskriminierungen als Einsatz für die Menschenrechte und verbünden sich - über die Verteidigung partikularer Interessen hinaus.
«Artikel Sieben» wird herausgegeben von humanrights.ch und produziert von podcastlab.ch. Die einzelnen Folgen sind in allen Podcastkanälen zu hören oder können auf dieser Seite direkt abgespielt werden.