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Die neusten Empfehlungen des UNO-Menschenrechtsausschusses an die Schweiz

31.07.2017

Das Experten/-innen-Gremium zur Überwachung des UNO-Paktes über bürgerliche und politische Rechte, das Human Rights Committee (HRC, Menschenrechtsausschuss) hat am 24. Juli seine Empfehlungen zum vierten Staatenberichtsverfahren der Schweiz verabschiedet. Zur Debatte stand die Umsetzung der Freiheitsrechte und des Diskriminierungsverbots in der Schweiz.

Hervorragende Kritikpunkte

Am meisten Aufsehen machte die unmissverständliche Aufforderung des Menschenrechtsausschusses an die Schweizer Politik, für die Genehmigung von Volksinitiativen endlich eine Prüfung der Verträglichkeit der Volksbegehren mit eingegangenen internationalen Verpflichtungen einzuführen. Dabei zeigt sich der Ausschuss besonders beunruhigt durch die Selbstbestimmungsinitiative der SVP (lesen Sie unseren Artikel dazu) (Ziff. 6-7). Auch bedauert er explizit das Minarettverbot in der Bundesverfassung und empfiehlt, dieses rückgängig zu machen (Ziff. 42-43).

Ebenfalls bemerkenswert ist die rasche Reaktion des Menschenrechtsausschusses auf den erst am 29. Juni 2017 veröffentlichten Entwurf für ein Gesetz zur schweizerischen Menschenrechtsinstitution (siehe unseren Artikel dazu). Der Menschenrechtsausschuss zeigte sich besorgt über das relativ tiefe Budget und auch über die vorgesehene universitäre Verankerung und bekräftigt mit Nachdruck das Ziel einer Menschenrechtsinstitution mit einem breiten Mandat zum Schutz der Menschenrechte, die mit ausreichenden personellen und finanziellen Mitteln ausgestattet ist (Ziff. 14-15).

Schliesslich gehört die deutliche Kritik am Umgang mit psychisch kranken Strafgefangenen und an der Praxis der «kleinen Verwahrung» gemäss Art. 59 StGB zu den auffälligsten neuen Empfehlungen (Ziff. 38-39).

Schutz gegen die Diskriminierung verstärken

Erstmals kritisiert der Menschenrechtsausschuss - wie vor ihm andere UNO-Gremien - das Fehlen einer umfassenden Gesetzgebung gegen die Diskriminierung, welche es allen Opfern unabhängig vom Diskriminierungsmotiv erlauben würde, sich wirksam vor Zivil- und öffentlichen Gerichten zu wehren (lesen Sie unsern Artikel dazu).

Ausserdem empfiehlt er die Ausweitung des strafrechtlichen Diskriminierungsverbotes von Art. 261bis StGB (Verbot der Rassendiskriminierung) auf weitere Diskriminierungsmotive (wie z.B. Geschlecht, sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität, wegen einer Behinderung etc.), damit nicht nur gegen rassistische, ethnische und religiöse Diskriminierung strafrechtlich vorgegangen werden kann.

Auch fordern die UNO-Experten/-innen, dass Menschen mit Behinderungen über ihre Rechte, die in der Behindertenrechtskonvention garantiert sind, in Kenntnis gesetzt werden. (Ziff. 16-17)

Weitere Kritikpunkte im Zusammenhang mit Diskriminierungsverboten betreffen die Lohnungleichheit zwischen Frau und Mann sowie die Untervertretung von Frauen in Politik und Wirtschaft (Ziff. 18-19).

Eine konsequentere Bekämpfung von Hassreden (Ziff. 20-21) wird ebenso gefordert wie wirksame Massnahmen gegen das rassistische Profiling durch die Polizei (Ziff. 22-23).

Schliesslich fordert der Menschenrechtsausschuss die Behörden auf, dafür zu sorgen, dass medizinisch unnötige chirurgische Eingriffe an Menschen mit Geschlechtsvarianten ohne deren Einwilligung nicht mehr vorgenommen werden und dass Opfer solcher Eingriffe zur Wiedergutmachung entschädigt und auf Wunsch psychologisch betreut werden (Ziff. 24-25).

Wieder aufgenommene Themen

Etliche weitere Themen, die bereits in den Empfehlungen des Ausschusses vom Jahre 2009 an die Schweiz angesprochen wurden, sind für den Ausschuss auch im 2017 noch relevant: Umgang mit ausländischen Opfern von Gewalt gegen Frauen (Ziff. 26-27), unabhängige Beschwerde- und Untersuchungsmechanismen in Fällen von unrechtmässiger Polizeigewalt sowie diesbezügliche Statistiken (Ziff. 28-29), Einführung eines expliziten Folterverbots im Strafrecht (Ziff. 30-31), verbesserte Überwachung von Zwangsmassnahmen bei der Rückführung abgelehnter Asylsuchender (Ziff. 32-33), strikte Trennung von erwachsenen und unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden (Ziff. 34-35), Überbelegung von Haftanstalten (Ziff. 36-37), Bekämpfung des Menschenhandels (Ziff. 40-41).

Neue Empfehlungen

Der Ausschuss formuliert neu sein Unbehagen hinsichtlich von Kleidervorschriften und anderen Regelungen, von denen hauptsächlich Musliminnen und Muslime betroffen sind (Ziff. 44-45). Unter den neuen Themen finden sich ausserdem die Bedrohung des Schutzes der Privatsphäre durch das neue Nachrichtendienstgesetz (Ziff. 46-47) und die Einschränkung der Demonstrationsfreiheit durch das neue Gesetz von 2016 im Kanton Genf. Und schliesslich fordert der Menschenrechtsausschuss einen interkantonalen Aktionsplan zur Gewährleistung von ausreichend Stand- und Durchgangsplätze für fahrende Jenische, Sinti und Roma in der Schweiz (Ziff. 50-51).

Anhörung der Schweizer Delegation in Genf

Als Grundlage für die ausgesprochenen Empfehlungen hatten zuvor am 3. und 4. Juli 2017 vor dem Menschenrechtsausschuss (HCR) in Genf die Verhandlungen zum vierten Bericht der Schweiz zur Umsetzung der bürgerlichen und politischen Rechte (Pakt II) stattgefunden. Eine 21-köpfige Schweizer Delegation unter der Leitung von Martin Dumermuth, Direktor des Bundesamtes für Justiz, mit Vertretern und Vertreterinnen des EJPD, des EDI und des EDA sowie der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD), stand dem Ausschuss Red und Antwort.

Zu Beginn des Hearings richteten die Ausschussmitglieder eine lange Reihe von gut informierten Fragen an die Schweizer Delegation. Der Menschenrechtsausschuss stützte sich bei seinen Fragen einerseits auf den vierten periodischen Bericht der Schweizer Regierung an den Menschenrechtsausschuss vom 7. Juli 2016, andererseits auf die Berichte der Schweizer Zivilgesellschaft. Diese haben die Gelegenheit genutzt, vor dem offiziellen Hearing ihre Berichte den Mitgliedern des Ausschusses kurz vorzustellen und in einem «informal meeting» zu diskutieren.

Im Anschluss an die Statements der Ausschussmitglieder hatten die Vertreterinnen und Vertreter der Schweizer Delegation die Gelegenheit, zu den aufgeworfenen Fragen ausführlich Stellung zu nehmen. Die für die Beratung vorgesehenen sechs Stunden erwiesen sich als zu kurz, denn für die Beantwortung der Nachfragen der Ausschussmitglieder blieb kaum Zeit. Die Schweizer Delegation wurde gebeten, betreffend verschiedenen offen gebliebenen Punkte schriftlich die Antworten noch nachzureichen.

Diskussionspunkte

Ein Teil der Fragen an die Schweizer Delegation betraf die Umsetzung der Rechte des Pakts II in der Schweiz sowie das schweizerische Staatssystems im Allgemeinen. So wurde etwa danach gefragt, weshalb die Schweiz so viele Empfehlungen des Universal Periodic Review-Verfahrens (UPR) abgelehnt hatte. Zu Fragen Anlass gaben auch verschiedene Volksinitiativen der letzten Jahre, und man wollte wissen, wie weit die Annahme der Minarett-Initiative und der Ausschaffungsinitiative, sowie allenfalls der Selbstbestimmungsinitiative die Mitgliedschaft der Schweiz bei den internationalen Menschenrechtsverträgen gefährde. Auf besonderes Interesse stiess sodann der Vorschlag des Bundesrates zur Schaffung einer unabhängigen Menschenrechtsinstitution gemäss den Pariser Prinzipien.

Im Weiteren griff der Ausschuss Themen auf, in denen er bereits in den früheren Verfahren klare Empfehlungen abgegeben hatte. Dazu gehört der Umgang mit Fällen von exzessiver Polizeigewalt bzw. das Fehlen von unabhängigen Mechanismen zur Untersuchung solcher Vorfälle. Auf Unverständnis stiess in diesem Zusammenhang, dass die Schweiz es nicht schafft, entsprechende, verlässliche Daten zu sammeln und das Ausmass der Polizeigewalt zu dokumentieren. Sodann gab die Geschlechtergleichstellung, insbesondere die Lohnunterschiede zwischen Frau und Mann, aber auch die stagnierende Partizipation der Frauen im eidgenössischen Parlament und die geringe Rate von Frauen in Entscheidgremien ebenso zu reden wie auch die grosse Zahl erfasster Vorfälle von häuslicher Gewalt.

Gefragt wurde ausserdem nach der Situation in den Gefängnissen, insbesondere was die Behandlung der psychisch kranken Gefangenen angeht. Weiter wunderte sich der Menschenrechtsausschuss, weshalb die Schweiz zögere, eine umfassende Antidiskriminierungsgesetzgebung zu schaffen. Rassismus und Racial Profiling, die Religionsfreiheit, die Situation von vorläufig Aufgenommenen und von Asylsuchenden, von fahrenden Jenischen, Sinti und Roma sowie von Menschen mit Geschlechtsvarianten waren weitere Themen, zu welchen der Ausschuss die Schweizer Delegation um konkrete Informationen ersuchte.

Eine Zusammenfassung der Fragen und Antworten der Schweizer Delegation kann in der Pressemitteilung des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte vom 4. Juli 2017 nachgelesen werden. Die Abschliessenden Bemerkungen und Empfehlungen des Menschenrechtsausschusses werden auf Ende Juli 2017 erwartet.

Die wichtigsten Dokumente des gesamten Berichtsverfahrens finden sich hier:

Informationen aus der Zivilgesellschaft als Grundlage für die Mitglieder des Ausschusses

Schattenbericht der NGO-Plattform Menschenrechte

Die NGO-Plattform Menschenrechte hatte vorgängig zur Überprüfung der Schweiz einen Bericht erarbeitet, der von humanrights.ch, amnesty international Schweiz, Inclusion Handicap, der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, dem Netzwerk Kinderrechte Schweiz sowie Terre des femmes Schweiz redigiert wurde.

Der Bericht äussert sich zur Mehrheit der vom Menschenrechtsausschuss in der List of Issues aufgeworfenen Fragen und fokussiert dabei auf das Diskriminierungsverbot und den fehlenden faktischen Zugang zur Justiz. Zwar sieht die schweizerische Gesetzgebung durchaus Rechtsmittel vor, um sich gegen Verletzungen der im Pakt II garantierten bürgerlichen und politischen Rechte zur Wehr zu setzen. In der Praxis erweisen sich die Hürden im Zugang zur Justiz indessen für viele als zu hoch, wie die wenigen Fälle, die überhaupt an die Gerichte gebracht werden, zeigen. Dies gilt zum Beispiel im Falle von Diskriminierung, insbesondere bei Diskriminierung durch Private im Bereich Arbeit, Wohnen und Dienstleistungen. Sodann gibt es keinen effektiven Schutz vor Hassreden – z.B. in den sozialen Medien, vor allem in Fällen sexistischer Hassreden, aber auch etwa bei Hassreden und diskriminierender Handlungen gegen Homosexuelle und Transpersonen.

Hingewiesen wird auch auf die schwierige Situation von Menschen, die Opfer der Polizei oder der Grenzbehörden im Fall von rassistischem Profiling werden. Hier stützte sich der Bericht der NGO-Plattform Menschenrechte auf die Falldarstellung der Allianz gegen Racial Profiling. Über keinen effektiven Zugang zum Recht verfügen darüber hinaus auch Menschen mit Behinderungen. Sie nehmen die ihnen zustehenden Rechte nicht in Anspruch, wie die spärliche Rechtsprechung zeigt; einerseits aus Mangel an entsprechenden Kenntnissen, andererseits aber auch, weil sie die hohen Kosten eines Gerichtsverfahrens im Falle des Unterliegens scheuen. Der Bericht weist schliesslich darauf hin, dass auch Gefangene sich nur schwer gegen Verletzungen ihrer Rechte wehren können. Sie haben keinen Zugang zu Rechtsberatung, weil es solche kaum gibt, und sie sich eine anwaltschaftliche Vertretung meist nicht leisten können.

Ein weiteres Kapitel des Berichts widmet sich der Umsetzung des Misshandlungsverbotes durch die Schweiz, insbesondere dem fehlenden Folterverbot im schweizerischen Strafgesetzbuch und dessen Folgen, dem Problem der fehlenden unabhängigen Untersuchung von Polizeigewalt sowie der fehlenden Datenlage zum Ausmass der Polizeigewalt (siehe dazu auch der Bericht von FIACAT und ACAT). Darin wurde unter anderem auf die zum Teil äusserst problematischen Ausschaffungspraktiken aufmerksam gemacht. So tragen z.B. in den Kantonen Neuchâtel, Genf, Waadt oder Wallis die Polizisten und Polizistinnen Masken, wenn sie die Auszuschaffenden abholen und diese werden, z.B. auch Eltern vor den Augen ihrer Kinder, gefesselt («immobilisiert»).

Ein weiteres Kapitel widmete sich der Situation der Asylsuchenden in der Schweiz. Darin finden sich Informationen über die Behandlung von Asylsuchenden in der Administrativhaft – z.B. Hinweise auf Fälle, in denen Eltern von ihren Kindern getrennt untergebracht wurden - oder über Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden.

Im Weiteren kritisiert die NGO Plattform Menschenrechte einmal mehr, dass die Schweiz noch immer keine Instrumente entwickelt hat, um ein Follow-up-Verfahren zu den Empfehlungen des Menschenrechtsausschusses sowie der anderen Menschenrechtsorgane zu garantieren.

Bei der mündlichen Vorstellung der von der NGO-Plattform als kritisch beurteilten Punkte vor einigen Ausschussmitgliedern nahm die Delegation der NGO-Plattform sodann die Gelegenheit wahr, dem Ausschuss Informationen über die am 29. Juni 2017 vom Bundesrat in die Vernehmlassung geschickte Vorlage zur Schaffung einer unabhängigen Menschenrechtsinstitution zu geben.

Weitere Schattenberichte

Dem Menschenrechtsausschuss lagen fünf weitere Berichte vor, welche sich insbesondere mit unmenschlicher und erniedrigender Behandlung von verschiedenen Personengruppen in der Schweiz (inklusive unmenschlicher Behandlung von Menschen mit Geschlechtsvarianten) und zur Menschenrechtssituation der ausländischen Bevölkerung beziehungsweise der Migranten/-innen und Asylsuchenden sowie zur Situation in den Gefängnissen äusserten. Die Allianz gegen Racial Profiling konzentrierte sich in ihrer Stellungnahme auf die diskriminierenden Kontrollen von Polizei und Grenzwachbehörden gegenüber Menschen dunkler Hautfarbe, Menschen muslimischen Glaubens, Jenischen, Sinti und Romas sowie generell von Personen, welche dem «normalen» Bild des Schweizers oder der Schweizerin nicht entsprechen.