10.02.2016
(Artikel von Schutzfaktor M übernommen)
Der EGMR stützt den Entscheid des Bundesgerichtes und entscheidet einstimmig, dass die Arbeitspflicht für Gefangene im Pensionsalter das Verbot der Sklaverei und er Zwangsarbeit nicht verletze. Auf die Rüge der Verletzung des Diskriminierungsverbotes ging der EGMR aufgrund der nicht vollständig ausgeschöpften innerschweizerischen Rechtsmittel nicht ein.
Zusammenfassung Fall
Der Beschwerdeführer ist ein sicherheitsverwahrter Straftäter. Mit Erreichen seines 65. Altersjahr beantragte er beim Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich, von seiner Arbeitspflicht befreit zu werden. Der Antrag wurde abgelehnt und dieser Entscheid in der Folge von der kantonalen Justizdirektion, vom Verwaltungsgericht wie auch vom Bundesgericht bestätigt. Letztes führte insbesondere auf, dass die Arbeit im Straf- und Massnahmenvollzug nicht den gleichen Zweck erfülle wie bei in Freiheit lebenden Menschen. Die Arbeit im Gefängnis diene verschiedenen Zwecken, bei älteren Menschen vor allem der Vermeidung von Haftschäden, also beispielsweise Vereinsamung oder psychische und physische Degeneration. Deshalb sei die Arbeitspflicht im Vollzug altersunabhängig, was sich auch im Strafgesetzbuch erkennbar ist, wo keine Ausnahmeregel für ältere Insassen getroffen wurde.
In der Beschwerde an den EGMR focht Herr M. nicht die Umstände, sondern seine Arbeitspflicht als solches an. Er machte die Verletzung von Artikel 4 Absatz 2 der EMRK, also dem Verbot der Zwangs- oder Pflichtarbeit, geltend, und dies insbesondere aufgrund seines Pensionsalters.
Der Beschwerdeführer rügte weiter eine Diskriminierung im Sinne des Artikel 14 der EMRK, weil er als Pensionierter mit Haftstrafe - im Gegensatz zu einer pensionierten Person ausserhalb des Straf- und Massnahmenvollzugs auch nach dem Erreichen des 65. Altersjahres noch zur Arbeit gezwungen werde.
Urteilsbegründung
Der EGMR lehnt sich in seiner Begründung stark an diejenige des Bundesgerichts an. Es wiederholt die Wichtigkeit der besonderen Fürsorgepflicht bei älteren Insassen wie auch das Entgegenwirkungsprinzip, also die Vermeidung schädlicher Folgen für den Gefangenen.
Wichtig für den erstmaligen Entscheid in dieser Frage war für den EGMR auch die Tatsache, dass europaweit kein Konsens besteht, in wie weit die Arbeitspflicht für Strafgefangene im Pensionsalter noch gelten soll. In einigen Mitgliedstaaten entfällt diese, in anderen wird bei Erreichen des Pensionsalters mittels eines medizinischen Gutachtens geklärt, wie und welche Arbeiten dem Strafgefangenen noch zugemutet werden können. Dies sei bei Gefangenen mit reduzierten Fähigkeiten auch in der vorliegenden Justizvollzugsanstalt Pöschwies der Fall.
Aufgrund des fehlenden Konsens könne auch der EGMR kein abschliessendes Urteil über die Frage der Zulässigkeit der Arbeitspflicht bei Strafgefangenen im Pensionsalter fällen. Auch der Schweiz und deren Justizvollzug komme somit ein Ermessensspielraum zu Gute. Der EGMR erachtet die innerstaatlichen Strafvollzugsbehörden auch ausdrücklich als besser befugt, über die Behandlung und Umstände im Vollzugsalltag zu entscheiden. Der EGMR betont die Relevanz der fundamentalen Prinzipien zum Strafvollzug, ausgearbeitet vom Ministerkomitee des Europarates, sieht aber in der Arbeitspflicht für Strafgefangene über das Pensionsalter hinaus keine Verletzung der solchen. Dies solange die Arbeit auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Strafgefangenen individuell zugeschnitten sei, was vorliegend der Fall sei.
Auf die zweite Rüge des Beschwerdeführers, der Verletzung des Diskriminierungsverbots von Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 4 der EMRK, tritt der EGMR gar nicht ein. Der Beschwerdeführer habe vor Bundesgericht die Diskriminierung nicht vorgebracht, weshalb die innerstaatlichen Rechtsmittel in dieser Rüge nicht ausgeschöpft seien und somit der EGMR nicht zuständig sei.
Kommentar
Der EGMR zeigt mit seinem heutigen Urteil, dass er den Mitgliedsstaaten einen weiten Ermessensspielraum zumisst, was die Arbeitspflichten im Pensionsalter für Strafgefangene betrifft. Zu dieser Frage herrscht in den Mitgliedstaaten kein Konsens: In einigen Staaten entfällt die Arbeitspflicht mit Erreichen des Pensionsalters, in anderen wird im Einzelfall geprüft, ob die Arbeitspflicht dem Strafgefangenen noch zugemutet werden kann. Der EGMR hat sich zu diesem Problem heute zum ersten Mal geäussert.
Dokumentation
- Meier gegen die Schweiz, Beschwerde Nr. 10109/14
EGMR-Urteil vom 09.02.2016 - BGer-Urteil 6B_182/2013
Urteil des Bundesgerichtes vom 18. Juli 2013 - Arbeitspflicht von Inhaftierten im Rentenalter - Kein Recht auf „Pensionierung“ im Straf- und Massnahmenvollzug
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