20.03.2014
Im Urteil Al-Dulimi und Montana Management Inc. gegen die Schweiz (Nr. 5809/09) vom 26. November 2013 verurteilte der EGMR die Schweiz, weil sie einem Iraker kein faires Verfahren (Art. 6 EMRK) gewährleistet hatte.
Sachverhalt im Fall Al-Dulimi
Al-Dulimi soll unter Saddam Hussein im Geheimdienst als Finanzchef tätig gewesen sein. Deshalb nahm ihn der UNO-Sicherheitsrat auf eine Sanktionsliste auf und die Schweiz sperrte seine Vermögenswerte. Al-Dulimi gelangte einige Jahre später mit der Forderung, seinen Fall inhaltlich zu prüfen ans Bundesgericht. Das Bundesgericht weigerte sich 2008 dies zu tun und hielt fest, die Irakresolution des Sicherheitsrates lasse keinerlei Spielraum dafür. Daraufhin reichte Al-Dulimi beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschwerde ein.
Menschenrechtsschutz führt zu einem Dilemma
Die Sanktionslisten des UNO-Sicherheitsrates brachten die Schweiz und andere Mitgliedstaaten des Europarats in ein Dilemma: Nach UNO-Recht (Art. 25 i.V.m. 103 UNO-Charta) gehen die Resolutionen des Sicherheitsrats allen anderen internationalen Verpflichtungen eines Staates mit Ausnahme des ius cogens vor. Die EMRK ihrerseits schützt jede Person vor Menschenrechtsverletzungen. Zu den Garantien der EMRK gehört etwa der Anspruch auf ein faires Verfahren.
Mit diesem Normenkonflikt befasste sich nun der EGMR im Al-Dulimi-Fall erstmals. Der Gerichtshof stellte sich die Frage, ob die in der EMRK aufgeführten Rechte auch bei der Umsetzung von Resolutionen des UNO-Sicherheitsrats eingehalten werden müssen. Der EGMR klärte diesbezüglich den Umstand, ob die Sicherheitsratsresolution einen Menschenrechtsschutz gewährt, der dem EMRK-Standard ebenbürtig ist. Der EGMR gelangte zum Schluss, dass dieser Schutz nicht gleichwertig ist, insbesondere weil der Sicherheitsrat kein faires Verfahren für die Handhabung der Sanktionsliste vorsieht. Deshalb untersuchte der EGMR, ob die Schweiz das Recht auf ein faires Verfahren eingehalten hat. Zwar befand der EGMR, dass die Einschränkung dieses Grundrechts mit dem Verweis auf die internationale Sicherheit und Frieden ein legitimes Ziel verfolge. Ein vollständiger Verzicht auf Verfahrensgarantien wie der Sicherheitsrat dies bei seinen Sanktionslisten handhabt, ist nach Ansicht des EGMR jedoch unverhältnismässig. Deshalb hätte die Schweiz den Fall nach Ansicht des EGMR inhaltlich prüfen müssen.
Beobachter/innen hatten erwartet, dass sich der EGMR bereits im Urteil Nada gegen die Schweiz zum Normenkonflikt zwischen der EMRK und den Sicherheitsratsresolutionen äussern würde. Jedoch verneinte der EGMR damals noch einen Normenkonflikt zwischen einer Sicherheitsratsresolution und der EMRK, da die Schweiz einen Ermessensspielraum in der Umsetzung der Resolution gehabt habe und sie das Sanktionskomitee des Sicherheitsrats zu spät über die Einstellung des Strafverfahrens gegen Nada informiert hatte.
- Urteil Al-Dulimi gegen die Schweiz vom 26. November 2013
auf Hudoc (auf Französich) - Die schweizerische Umsetzung von Antiterrorismusresolutionen des UN-Sicherheitsrats verletzt die EMRK
Besprechung des EGMR-Urteiuls zum Fall Nada des SKMR vom 31.10.2012
Inkohärente Argumentation des EGMR
Für eine ausführliche juristische Auseinandersetzung mit dem Fall Al-Dulimi sei an dieser Stelle auf die Besprechung des Schweiz. Kompetenzzentrums für Menschenrechte (SKMR) sowie auf den ECHR-Blog verwiesen. Die Verfasser dieser Beiträge decken einige Argumentationsschwächen des Urteils Al-Dulimi auf und verweisen insbesondere auf die inkohärente Begründung, die ins Auge sticht, wenn man diesen Fall mit anderen EGMR-Fällen vergleicht.
- Die Schweiz im Sandwich zwischen New York und Strassburg
Beitrag des SKMR, 12. März 2014 - Kritik am Al-Dulimi-Urteil von Stephan Hollenberg
auf echrblog.blogspot.ch (auf Englisch) - Urteilsbesprechung von Maximilian Steinbeis
auf verfassungsblog.de - Die Schweiz im Normen-Clinch
NZZ vom 30. Januar 2014 (pdf, S. 2) - Urteilsbesprechung von Anne Peters
auf ejiltalk.org (auf Englisch)