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Akteneinsicht im Steuerrecht

06.04.2012

Urteil Chambaz gegen die Schweiz vom 5. April 2012 (Nr. 11663/04)
Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 § 1 EMRK); steuerrechtliche Mitwirkungspflicht und Strafverfahren

  • Urteil
    auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (französisch)

Zusammenfassung des Bundesamtes für Justiz:

«Gegen den Beschwerdeführer wurden mehrere administrative und strafrechtliche Steuerverfahren geführt. Im Rahmen der verwaltungsrechtlichen Verfahren wurde er zu Bussen in Höhe von mehreren tausend Franken verurteilt, weil er nicht alle verlangten Belege eingereicht hatte. Später wurde gegen ihn ein Strafverfahren eröffnet, welches teilweise dieselbe Steuerperiode betraf wie die fraglichen Verwaltungsverfahren. Gestützt auf Artikel 6 Abs. 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) machte der Beschwerdeführer eine Verletzung des Rechts, sich selber nicht zu belasten, geltend. Weiter rügte er eine Verletzung des Rechts auf Waffengleichheit, weil er nicht alle Akten der Steuerverwaltung habe einsehen können.
Betreffend die Rüge einer Verletzung des Rechts, sich nicht selber zu belasten, stellt der Gerichtshof fest, die Dokumente, für deren Nicht-Einreichung der Beschwerdeführer verurteilt worden war, würden im Strafverfahren auch erwähnt, und der Beschwerdeführer habe nicht ausschliessen können, dass Informationen über zusätzliche Einnahmen eine strafrechtliche Anklage auslösen könnten. Die Tatsache, dass das strafrechtliche Verfahren mehrere Jahre später eröffnet wurde, sei nicht relevant, weil die Bussen durch die Rechtsmittelgerichte nach der Eröffnung des Strafverfahrens bestätigt wurden.
In Bezug auf die Waffengleichheit stellt der Gerichtshof fest, das kantonale Verwaltungsgericht habe dem Beschwerdeführer die Einsicht in bestimmte Dokumente aufgrund seines prozessualen Verhaltens verweigert, insbesondere weil er «nicht die elementarsten Erklärungen lieferte, welche Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen der Vorinstanz begründet hätten». Er erwägt, dem Beschwerdeführer sei somit vorgeworfen worden, den Steuerbehörden Dokumente nicht übermittelt zu haben, in Bezug auf welche er sein Schweigerecht ausübte. Der Gerichtshof schliesst daraus, dass die Voraussetzungen der Rechtsprechung für die Verweigerung der Einsicht in die gesamten Akten vorliegend nicht erfüllt waren. Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (fünf Stimmen gegen 2).»