10.04.2007
John Ruggie, der Sonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschenrechte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, bleibt mit seinem zweiten Bericht hinter den Erwartungen zurück. Ruggie präsentierte seinen Bericht am 28. März 2007 vor dem Menschenrechtsrat in Genf.
von Nils Rosemann
Ruggie erkennt staatliche Versäumnisse und fehlende Mechanismen als Problem
Menschenrechtliche Verpflichtungen zerfallen in die Achtungspflicht, das heisst, Menschenrechte selbst nicht zu verletzen, eine Schutzpflicht, und eine Erfüllungspflicht, jene Pflicht, alles zu unternehmen, internationale Standards anzuerkennen, umzusetzen und ihre Wahrnehmbarkeit zu verbessern. Ruggie bezieht sich auf die Schutzpflicht des Staates, wenn er konstatiert:
«Es scheint, dass die staatliche Schutzpflicht vor Menschenrechtsverletzungen durch Dritte […], einschliesslich durch jede Art von Unternehmen, […] und ihre Auswirkungen in Bezug auf die Vermeidung und Verurteilung von Verstössen durch Unternehmen in ihrer vollen Bedeutung nicht von allen staatlichen Organen verinnerlicht wurde. Noch sieht es so aus, als dass Staaten zur Erfüllung dieser Verpflichtung die verschiedenen rechtlichen und politischen Möglichkeiten nicht voll ausschöpfen».
In Anbetracht des beträchtlichen positiven Potentials von Unternehmen für die Verbesserung der Menschenrechte und der immer wieder dokumentierten Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen ist die entscheidende Frage jedoch, ob neben der staatlichen Verantwortung, Unternehmensaktivitäten menschenrechtskonform zu regulieren, Unternehmen selbst für die Einhaltung der Menschenrechte verantwortlich sind, wenn derartige Regulierungen fehlen oder nicht umgesetzt werden.
Hierzu stellte Ruggie in Genf fest: «Es stellt sich heraus, dass in die Schaffung von direkten Verantwortlichkeiten von Unternehmen innerhalb der Internationalen Menschenrechtscharta und damit zusammenhängender Instrumente wenig Bewegung gekommen ist. Nichts hindert Staaten, direkte internationale Verantwortlichkeiten für Unternehmen zu schaffen. Aber ich finde wenige Anhaltspunkte dafür, dass sie das schon getan haben. Das führt zu einer beträchtlichen Schutzlücke für Opfer, weil nicht alle Regierungen alle relevanten Menschenrechtsinstrumente anerkennen. Und selbst wenn sie das tun, sind einige nicht in der Lage oder unwillig, diese durchzusetzen.»
Ruggies Selbstbeschränkung – Ein Problem für die Mandatserfüllung
Beide Feststellungen Ruggie’s stellen die Kernaussagen seiner zweijährigen Arbeit dar und beschreiben den status quo zwischen dem normativen Geltungsanspruch der Menschrechte gegenüber jedermann, überall und ohne Einschränkungen, und deren fehlender nationalstaatlichen Implementierung sowie internationalen Kontrolle und Durchsetzung. Dass Ruggie und sein umfangreicher Arbeitsstab es am Ende seines zweijährigen Mandates nicht schaffen, über die Beschreibung bekannter Problembereiche hinaus zu kommen, ist bedauerlich und ergibt sich aus einer zu kritisierenden Selbstbeschränkung Ruggie’s. Ruggie wollte die inhaltliche Diskussion über die Verantwortung von Unternehmen für die Menschenrechte voran bringen und gleichzeitig eine Debatte um direkte Pflichten vermeiden. Für Ruggie hatte sich diese Debatte an den UNO Menschenrechtsnormen für TNCs festgemacht, mit denen er sein Mandat nicht belastet sehen wollte.
- UNO-Menschenrechtsnormen für transnationale Unternehmen
Themenseite auf humanrights.ch
Den UNO-Normen schrieb er im Zwischenbericht von 2006 zwar einen gewissen inhaltlichen Wert zu, den er jedoch ohne Rückgriff auf die Normen zu erläutern suche. So erklärt sich, dass seine Konzentration auf die Rolle des Staates einerseits und die freiwilligen Selbstverpflichtungen von Unternehmen andererseits seine im März 2007 in Genf vorgelegten Berichte bestimmen. Die zwei Haupt- und 4 Zusatzberichte werden auf folgender Themenseite systematisch präsentiert:
- UNO-Sonderbeauftragter für Wirtschaft und Menschenrechte
Themenseite auf humanrights.ch
Die Vorarbeit des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte
Für die Qualität von Ruggie’s Arbeit spricht, dass er – wie die Unterkommission für Menschenrechte und das Hochkommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen vor ihm – eine Schutzlücke gegenüber Verletzungen der Menschenrechte durch Unternehmen erkennt. Die Unterkommission für Menschenrechte schlug mit den UNO-Menschenrechtsnormen für TNCs eine geteilte Verantwortlichkeit (shared responsibility) von Staaten und Unternehmen vor, bei denen neben den bestehenden staatlichen Pflichten eine unmittelbare Verpflichtung von Unternehmen diese Schutzlücke schliesst.
Das Hochkommissariat für Menschenrechte vertrat in einer Studie (Dokumentennummer E/CN.4/2005/91) diesen Lösungsvorschlag, empfahl der Menschenrechtskommission jedoch in anbetracht der Diskussionen über den Charakter der UNO Menschenrechtsnormen für TNCs: «Obwohl die Meinungen über den Entwurf [UN Normen] immer noch geteilt sind, besteht ein Vorteil, die von der Kommission beschriebenen «nützlichen Elemente» zu identifizieren und näher zu untersuchen, da diese grössere Einsicht in die praktische Natur der Verantwortung von Unternehmen für die Menschenrechte bieten. … Das Hochkommissariat empfiehlt deshalb der Kommission den Entwurf der Normen mit anderen bestehenden Initiativen und Standards für Wirtschaft und Menschenrechte für deren spätere Berücksichtigung beizubehalten.» Für das Hochkommissariat repräsentierten die UNO Menschenrechtsnormen mehrjährige Diskussionen und Arbeiten, die es zu nutzen galt. Die Empfehlung des Hochkommissariats führte zum Ruggie’s Mandat, nach welchem er unter anderem «Standards der Verantwortlichkeit und Rechenschaftspflicht von Transnationalen Unternehmen und anderen Wirtschaftsunternehmen in Bezug auf die Menschenrechte aufzeigen und klarstellen» soll.
Unentschiedene Denkansätze
Nachdem Ruggie mit der Ablehnung der UNO Menschenrechtsnormen für TNCs den Menschenrechtsrat um das institutionelle Gedächtnis brachte, sehen es die Mitglieder des Rates als Erfolg, dass Ruggie aus der Untersuchung der Rolle des Staates und Selbstverpflichtungen von Unternehmen erneut eine Schutzlücke feststellt. Ruggie’s Berichte werfen mehr Fragen auf, als dass sie Antworten bietenSo beendet Sonderberater John Ruggie sein zweijähriges Mandat mit einem zweifach unterteilten und durch vier Anhänge ergänzten – 180seitigen – Bericht, der die entscheidende Frage nach dem „Wie“ des Schliessens der Umsetzungslücke schuldig bleibt.
In seinem Hauptbericht «Business and Human Rights: Mapping International Standards of Responsibility and Accountability of Corporate Acts» (Dokumentennummer A/HRC/4/35) sieht Ruggie ein gewisses Potential in der strafrechtlichen Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen auf nationaler Ebene und in der Rolle des «soft law» auf internationaler Ebene. Ruggie leitet diese Auffassungen aus verschiedenen Workshops ab die jedoch ihrerseits kein einheitliches Bild bieten. Da die abgehaltenen Diskussionsrunden keine einheitliche Antwort auf das ob und wie nichtstaatliche Akteure (wie Unternehmen) innerhalb des Völkerrechts, einem traditionellen Recht zwischen Staaten, einzubeziehen sind, vermeidet auch Ruggie eine Position zu dieser Frage. Er flüchtet sich vielmehr in das anerkannte Konzept der «geteilten Verantwortlichkeit», ohne es so genau zu umschreiben, wie es die UNO Menschenrechtsnormen für TNCs getan haben.
Zusätzlich versucht sich Ruggie in Rechtstheorie und nimmt Anleihen beim so genannten «soft law», jenen informellen Regeln mit normativen Charakter, denen sich Staaten verpflichtet fühlen, ohne dass ihnen eine rechtliche Verbindlichkeit oder eine Umsetzungsmechanismus zur Seite steht. Inkohärent gegenüber seiner eigenen Argumentation, dass nur Staaten internationales Recht schaffen und originär aus ihm verpflichtet sein können, zählt Ruggie auch Regelungen von Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen zum «soft law» hinzu.
Zweifelhafte Bezugnahme auf die internationale Strafgerichtsbarkeit
Eine aus seiner Sicht wichtige Schutzmöglichkeit vor Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen entwickelt Ruggie aus der internationalen, individuellen Strafbarkeit für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ruggies Argument ist, dass die Umsetzung des Statuts von Rom und der im Internationalen Strafgesetzbuch verankerten individuellen Strafbarkeit in nationales Recht dann zur Verantwortung von Unternehmen führe, wenn das nationale Recht eine Strafbarkeit auf juristische Personen ausdehne.
Den empirischen Nachweis für diese Behauptung bleibt Ruggie in seinem Hauptbericht schuldig. 104 Mitgliedsstaaten hat der Internationale Strafgerichtshof und auf 11 nimmt Ruggie Bezug um festzustellen, dass davon sechs nicht nur individuelle Verantwortlichkeit von natürlichen Personen für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern auch eine solche für juristische Personen geschaffen habe. Dann führt Ruggie auch noch zur Untermauerung einen Rechtsstreit aus den USA an, die erstens kein Mitgliedsstaat des Internationalen Strafgerichtshofes sind; zweitens ein Gesetz aus dem Jahr 1792, den American Tort Claim Act, anwenden, der dem Zivilrecht zuzuordnen ist und weit vor dem Internationalen Strafgesetzbuch liegt; und, drittens, bezieht sich der Fall nicht auf Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Berichte zeigen Richtung für weitere Arbeit
Erfreulich ist an Ruggie’s Hauptbericht «Business and Human Rights: Mapping International Standards of Responsibility and Accountability of Corporate Acts» (Dokumentennummer A/HRC/4/35) ist, dass er sich um eine klare Definition von Verantwortlichkeit (responsibility) bemüht, die für ihn rechtliche, soziale und moralische Verpflichtungen von Unternehmen mitumfasst. Damit wird er den verschiedenen rechtlichen, sozialen, wirtschaftlichen, ethisch/moralischen und politischen Dimensionen der Menschenrechte gerecht. Erfreulich ist auch, dass er Rechenschaftspflicht (accountability) mit Mechanismen umschreibt, nach denen man Unternehmen auf diese Standards verpflichten kann.
Was Ruggie jedoch versäumt, ist, den unterschiedlichen Dimensionen der Menschenrechte verschiedene Mechanismen zuzuordnen. So vernachlässigt er die moralische und wirtschaftliche Komponente des diskursiven Menschenrechtsschutzes im Menschenrechtsrat. Die entscheidende Frage des Verhältnisses von Wirtschaft und Menschenrechten ist, ob internationale und nationale Regulierung den Rahmen vorgeben oder die freien Kräfte des Marktes einen effektiven Menschenrechtsschutz erreichen sollen.
Die Erfahrungen mit freiwilligen Verhaltenskodizes sind, dass diese eher ein Instrument der unternehmerischen Öffentlichkeitsarbeit als des Menschenrechtsschutzes sind. Erst auf externen, öffentlichen Druck und Kampagnen – die ihrerseits einer den menschenrechtlichen Universalitätsanspruch entgegenlaufender Selektivität unterliegen – werden Menschenrechte Bestandteil des unternehmerischen Risikomanagements. Ruggie leitet seine Erkenntnisse aus einer genauen und extensiven Beobachtung staatlichen und unternehmerischen Handelns ab, wie seine Zusatzberichte zeigen:
- Der Zusatzbericht «State responsibilities to regulate and adjudicate corporate activities under the United Nations core human rights treaties: an overview of treaty body commentaries» (Dokumentennummer A/HRC/4/35/Add.1, pdf, 34 S.) analysiert die staatliche Pflicht, die Menschenrechte vor Eingriffen durch Dritte, wie beispielsweise Unternehmen, zu schützen.
- Freiwillige Selbstverpflichtungen von Unternehmen stellt Ruggie in seinem vierten Zusatzbericht «Business recognition of human rights: Global patterns, regional and sectoral variations» (Dokumentennummer: A/HRC/4/35/Add.4, pdf, 59 S.) dar.
Erfreulicherweise verlässt Ruggie die rein beschreibende Wiedergabe von staatlichen Defiziten und unternehmerischen Selbstverpflichtungen, wenn er das Versagen des Marktes anerkennt und den Umfang staatlicher Regulierung entwirft. So entwirft er in seinem zweiten Hauptbericht «Human rights impact assessment – resolving key methodological questions» (Dokumentennummer: A/HRC/4/74, pdf, 11 S.) ein Modell, wie Unternehmen die auf der normativen Ebene bestehende Achtungspflicht durch eine «Menschenrechtsverträglichkeitsprüfung» ihrer Aktivitäten umsetzen können.
Verlängerung seines Mandates sollte an Bedingungen geknüpft sein
Ruggie hat sein Mandat anhand einer antizipierten Erwartungshaltung von Staaten und Unternehmen interpretiert. Mit seinem Zusatzbericht «Human Rights Policies and Management Prectices: Results from a questionnaire surveys of Governments and Fortune Global 500 firms» (Dokumentennummer A/HRC/4/35/Add.3, pdf, 27 S.) hat er selbst verdeutlicht, dass Staaten eher auf freiwillige Corporate Social Responsibility Initiativen als auf Regulierung setzen und dass Unternehmen interne Menschenrechtsstandards besitzen, was über deren Effizienz, Einhaltung und Kontrolle jedoch wenig sagt. Damit drängt sich als Ergebnis von Ruggie als «mapping» beschriebenen Selbstfindungsprozess die Feststellung auf, dass ohne externe Standardsetzung Staaten und Unternehmen weiterhin ihrer Verantwortung zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen durch wirtschaftliche Aktivitäten nicht gerecht werden.
Eine Verlängerung des Mandates sollte den Sonderbeauftragten Ruggie somit auf die schon anfängliche Forderung hinweisen, dass er Empfehlungen abzugeben hat, wie Staaten durch internationale Kooperation – beispielsweise durch Standardsetzung im Rahmen des Menschenrechtsrates – die normative Verantwortung von Unternehmen zur Achtung und teilweisen Schutz der Menschenrechte operationalisieren können. Es erscheint unwahrscheinlich, dass Ruggie sich eingesteht, dass es nicht der Umfang seines Mandates, sondern seine Herangehensweise war, die ihn an der fristgerechten Abgabe konkreter Empfehlungen hinderte. Ebenso unwahrscheinlich ist es, dass Ruggie aus Effizienzgründen auf die UNO Menschenrechtsnormen zurückgreift.
Sollte der Menschenrechtsrat sein Mandat verlängern, so muss Ruggie ein Weg aus seinem Dilemma gezeigt werden. Dazu wäre es wichtig, dass eine Mandatsverlängerung Ruggie auffordert, Empfehlungen abzugeben, wie die Defizite freiwilliger Selbstverpflichtungen, wie beispielsweise eingeschränkter Umfang auf bestimmte Rechte, fehlendes transparentes Berichtssystem und unabhängiges Monitoring, Abwesenheit von Umsetzungs- und Strafmechanismen, zu beheben sind. Der Menschenrechtsrat sollte ausserdem Ruggie auffordern, seine Perspektive zu ändern und die Stimmen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen von Unternehmen einzubeziehen. Eine Opferperspektive bei der Definition von Menschenrechtsstandards erübrigt es, sich über den Unterschied zwischen staatlichen und nichtsstaatlichen Akteuren übermässig viele Gedanken zu machen, da die Rechtsverletzung und das empfundene Unrecht für ein Opfer unabhängig vom Handelnden gleich sind. Ruggie wird anhand der gut dokumentierten Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen Muster erkennen, denen er die Formulierung von unmittelbar geltenden Menschenrechtsstandards für Unternehmen entgegen zu setzen hat.