29.06.2010
Bilaterale Freihandelsabkommen haben Auswirkungen auf die Menschenrechtslage in beteiligten Ländern des Südens. Um das Risiko abzuschwächen, dass sich Freihandelsabkommen negativ auf Menschenrechte wie das Recht auf Nahrung oder das Recht auf Gesundheit auswirken, fordern NGO und Wissenschafter/innen systematische menschenrechtliche Verträglichkeitsprüfungen. Diese sollen während der Aushandlung von bilateralen Freihandelsabkommen dafür sorgen, dass negative Folgen für die sozialen Menschenrechte von vornherein vermieden werden.
Was passiert in der Schweiz?
Die Schweiz hat bis heute fast zwei Dutzend Freihandelsabkommen mit 31 Partnern ausserhalb der Europäischen Union abgeschlossen. Obwohl die Frage der menschenrechtlichen Kohärenz immer wieder aufgeworfen wurde, war bis anhin eine Verträglichkeitsprüfung kein Thema. Dies soll sich nun ändern.
In der Schweiz beschäftigen sich spezialisierte NGO wie die Erklärung von Bern EvB und 3D > Trade - Human Rights - Equitable Economy mit der praktischen Anwendung der neuartigen Methodik der menschenrechtlichen Wirkungsanalysen (Human Rights Impact Assessment) auf bilaterale Freihandelsabkommen.
Die EvB fordert, die Schweiz müsse «mit frühzeitigen Wirkungsanalysen (…) sicherstellen, dass bilaterale Freihandelsabkommen nicht gegen ihre internationalen Verpflichtungen zum Schutz der Menschenrechte verstossen». Die EvB beteiligt sich im Rahmen einer internationalen Vernetzung aktiv an einer Verfeinerung des methodischen Instrumentariums für solche Verträglichkeitsprüfungen.
3D hat in einem Bericht vom November 2009 an das UNO-Komitee zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten darauf hingewiesen, dass die Schweiz mit ihrer Patentschutz-Strategie im Rahmen von bilateralen Freihandelsabkommen geltende internationale Standards unterläuft und dazu beiträgt, das Recht auf Gesundheit in den betroffenen Entwicklungsländern zu verletzen.
Aus wissenschaftlicher Sicht betont Elisabeth Bürgi vom World Trade Institute, die Kohärenz von Handelsabkommen mit menschenrechtlichen Verpflichtungen müsse von Fall zu Fall durch entsprechende Studien überprüft werden. Derweil bringt der Vertreter von Economiesuisse, Jan Atteslander, diesem Anliegen kein Verständnis entgegen. Dies ist nicht weiter erstaunlich. Dass er den Wert solcher Verträglichkeitsstudien grundsätzlich in Zweifel zieht, ist allerdings bedenklich. Da angesichts von überzeugenden Fallstudien der Gegenbeweis bereits erbracht ist, wird Economiesuisse bald einmal gezwungen sein, ihre Fundamentaloppisition zu revidieren.
Nachstehend präsentiert humanrights.ch eine erste Dokumentation zur schweizerischen Diskussion, zum Konzept der menschenrechtlichen Verträglichkeitsüberprüfung von Freihandelsabkommen sowie einige Beispiele von realisierten Fallstudien.
Zur Diskussion in der Schweiz
- Menschenrechte haben Vortritt – theoretisch
Thomas Braunschweig, Erklärung von Bern EvB, 16. Juni 2010 - Menschenrechte: Verträglichkeitsprüfung für Handelsabkommen
Erklärung von Bern EvB, 16. Juni 2010 - Missing policy coherence: trade interests overriding right to health?
3D > Trade - Human Rights - Equitable Economy
Report submitted to the Committee on Economic, Social and Cultural Rights Pre-Sessional Working Group, 23-26 November 2009 (pdf, 7 p.) - Was wäre nachhaltige Aussenwirtschaftspolitik? Handelsabkommen der Schweiz sollten einer Kohärenz-Prüfung unterzogen werden
Elisabeth Bürgi Bonanomi in der NZZ vom 3. Juni 2010 (pdf, 2 S.) - Nachhaltigkeitsprüfungen sagen wenig aus. Die Auswirkungen von Freihandelsabkommen lassen sich im Voraus nicht bestimmen
Jan Atteslander in der NZZ vom 3. Juni 2010 (pdf, 2 S.)
Zum Konzept der menschenrechtlichen Verträglichkeitsprüfung
- Menschenrechtliche Folgenabschätzungen für Handelsabkommen (online nicht mehr verfügbar)
Bericht zu einem Expertenseminar vom 23. - 24. Juni 2010 in Genf in en, fr und sp - Insights on Human Rights Impact Assessements of Trade Policies and Agreements
3D > Trade – Human Rights – Equitable Economy, 2009 (pdf, 7 S.) - Overview of main lessons from Human Rights Impact Assessments of Trade Agreements
A Paper for the Expert Seminar on Human Rights Impact Assessments for Trade and Investment Agreements, June 23-24, 2010 Geneva
James Harrison, Associate Professor, University of Warwick (pdf, 24 p.) - Concept Note
Expert Seminar on Human Rights Impact Assessments for Trade and Investment Agreements, June 23-24, 2010 (pdf, 2 p.) - Human Rights Impact Assessment of Trade and Investment Agreements concluded by the European Union
International Federation for Human Rights, 2008 (pdf, 16 p.) - Human Rights Impact Ressource Centre
Dokumentationszentrum für menschenrechtliche Verträglichkeitsprüfungen im Wirtschaftsbereich - Bilaterals.org
Weltweite Dokumentation zu Auswirkungen von bilateralen Handelsabkommen
Fallstudien
- EU Trade Agreements and Their Impacts on Human Rights
Elisabeth Bürgi Bonanomi, Centre for Development and Environment (CDE) 2014 - Trade Policies and Hunger: The impact of trade liberalisation on the Right to Food of rice farming communities in Ghana, Honduras and Indonesia
Written by Armin Paasch (editor), Frank Garbers and Thomas Hirsch (FIAN - FoodFirst Information and Action Network), Geneva 2007 (pdf, 145 p.) - Human Rights, the Environment and Free Trade with Columbia
Bericht der kanadischen parlamentarischen Kommission zum internationalen Handel vom Juni 2008 (pdf, 84 S.)