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Umgang mit queeren Menschen im religiösen Kontext

27.01.2023

Diskriminierung und Vorurteile gegenüber nicht heterosexuellen und nicht cis Menschen werden unter anderem religiös begründet. Neben dem Druck aus dem sozialen religiösen Umfeld sind diese Menschen in der Schweiz etwa im Kontext von religiösen Segnungen, Eheschliessungen aber auch «Konversionsmassnahmen» durch religiöse Akteur*innen mit Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen konfrontiert.

Die individuelle Haltung von Personen gegenüber nicht heterosexuellen und nicht cis, also queeren Menschen wird von verschiedenen Faktoren – wie gesellschaftlichen, politischen und historischen Gegebenheiten – beeinflusst. Zur Begründung von Vorurteilen und Stigmatisierungen gegenüber diesen Personen werden aber auch religiöse Argumente und Weltbilder beigezogen.

In den Diskussionen rund um Homosexualität im religiösen Kontext geht es meistens um gleichgeschlechtliche Anziehung zwischen Männern. Lesbische Sexualität wird seltener diskutiert, und bisexuelle Orientierung bleibt häufig gänzlich aussen vor, obwohl lesbische und bisexuelle Personen von denselben Diskriminierungen betroffen sind. Auch Menschen aus dem LGBTQIA+ Spektrum, welche nicht in ihrer sexuellen Orientierung, sondern in ihrer Geschlechtsidentität von einer cis-normativen Weltanschauung abweichen – wie trans, nonbinäre oder inter Personen – sind von Diskriminierungen aufgrund religiöser Argumentationen betroffen. Gespräche über verschiedene Geschlechtsidentitäten werden jedoch in den meisten Religionsgemeinschaften momentan noch viel seltener geführt als solche über nicht heterosexuelle Orientierungen.

Im Umgang von Religionsgemeinschaften mit queeren Identitäten gibt es überall liberalere und konservativere religiöse Strömungen, welche diverse Haltungen und Praktiken verfolgen. Neben Versuchen, den Umgang mit diesen Personen aus religiösen Texten zu begründen, werden im schweizerischen religiösen Umfeld queere Personen auch direkt, strukturell und institutionell benachteiligt. Beispiele sind die Verweigerung religiöser Eheschliessungen, Probleme bei einer Anstellung in einer religiösen Institution oder sogar Massnahmen, welche vermeintlich Einfluss auf die sexuelle Orientierung oder die Geschlechtsidentität nehmen sollen.

Auslegung religiöser Texte als Rechtfertigung für Umgang mit Homosexualität

Für eine religiös begründete (Nicht-)Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Beziehungen werden häufig religiöse Texte angeführt. Diese werden verschieden ausgelegt und führen zu diametral unterschiedlichen Praktiken.

Beispielsweise wird etwa ein bestimmter Abschnitt im 3. Buch Mose der Bibel – auch Leviticus genannt – häufig als Grundlage zur (De-)Legitimation homosexueller Beziehungen beigezogen. Unter anderem auf Grundlage dieses Verses lehnen viele Schweizer Freikirchen die Segnung und Trauung von gleichgeschlechtlichen Paaren ab. So führt Christian Haslebacher vom Dachverband der Freikirchen Schweiz zum besagten Bibeltext aus: «In der Frage der Homosexualität macht die Bibel in verschiedenen historischen und kulturellen Kontexten immer eine kritische Aussage. Das macht es uns schwer, über diese Aussage hinwegzugehen. Wenn wir Zweifel haben, ob Gott ein Ja zu dieser Art Beziehungen hat, dann können wir selbst nicht im Namen Gottes ein Ja zu dieser Beziehung in einer Trauung aussprechen.»

Viele Glaubensangehörige folgen diese Auslegung jedoch nicht (mehr). Matthias Zeindler von den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn führt zu ebendieser Stelle aus, der Bibelvers sei «…im Rahmen einer orientalischen, patriarchalen Gesellschaft zu verstehen, einer engen Gesellschaft, die auch wenig verträgt. Es ist eine Gesellschaft, in der stramme, sexuelle Normen herrschen müssen, damit das Zusammenleben garantiert ist. Heute in einer pluralistischen Gesellschaft ist das nicht mehr so». Gestützt auf ähnliche Argumentationen sind heute in den meisten evangelisch-reformierten Kirchen der Schweiz auch Trauungen von gleichgeschlechtlichen Paaren möglich.

Das Beispiel zeigt auf, wie sich durch verschiedene Auslegungen der gleichen Textstelle für die Praxis diametral unterschiedliche Handhabungen ergeben können. Auch in jüdischen und islamischen Gemeinschaften wird viel Wert auf die Auslegung religiöser Texte gelegt, wenn es um Fragen im Umgang mit queeren Personen geht. Auch dort entstehen aus theologischen Debatten unterschiedliche Interpretationen und Praktiken.

Gleichgeschlechtliche Ehen und Segnungen

Die Möglichkeiten für Segnungen und religiöse Trauungen von homosexuellen Paaren sind in den christlichen Landeskirchen sehr unterschiedlich. Seit der Annahme der «Ehe für alle» auf nationaler Ebene – die von den evangelisch-reformierten Kirchen inklusiv der Samenspende für lesbische Paare offiziell befürwortet wurde – ist in den meisten evangelisch-reformierten Kirchen auch die kirchliche Eheschliessung für gleichgeschlechtliche Paare möglich. Zuvor konnten diese lediglich gesegnet werden, da einer kirchlichen Trauung jeweils eine zivilrechtliche Trauung vorangehen muss. Zudem haben sich die evangelisch-reformierten Kirchen der Schweiz 1999 «für alle durch die Kirchen erfolgten Diskriminierungen der Vergangenheit gegenüber Homosexuellen» entschuldigt.

In der römisch-katholischen Kirche sind ähnliche Entwicklungen nicht absehbar. Zwar rief Papst Franziskus die römisch katholische Kirche 2016 dazu auf, sich für ihren Umgang mit homosexuellen Personen zu entschuldigen. Dies hat jedoch nichts an der Diskriminierung homosexueller Paare in der römisch-katholischen Kirche geändert, welche bis heute nicht kirchlich heiraten können. Laut Paragraf 1 c. 1055 des Codex Iuris Canonici (CIC/1983) ist die Ehe eine Lebensgemeinschaft von Mann und Frau. Auch Segnungen von homosexuellen Paaren sind vom Vatikan offiziell nicht erlaubt. Im Jahr 2021 veröffentlichte der Vatikan ein «Responsum ad dubium» (Antwort auf einen Zweifel), welches dieses Verbot erneut bekräftigte. Einzelne homosexuelle Personen dürfen zwar gesegnet werden, «wenn sie den Willen bekunden, dem göttlichen Plan nachzuleben». Homosexuellen Paaren bleibt die Segnung mit der Begründung «Gott könne die Sünde nicht segnen» offiziell verwehrt. Nach der Veröffentlichung dieses Standpunktes gab es weltweit – auch in der Schweiz – römisch-katholische Priester, die sich gegen diesen Standpunkt wehrten und homosexuellen Paaren den Segen erteilten. Ausserdem gibt es mancherorts offene Angebote wie die Regenbogenpastoral der römisch-katholischen Kirche Aargau.

In jüdischen Strömungen gibt es verschiedene Handhabungen religiöser Segnungen und Trauungen von gleichgeschlechtlichen Paaren. In den 80er Jahren sprach sich die World Union for Progressive Judaism (WUPJ) – der weltweit grösste Dachverband jüdischer Gemeinden – gegen jegliche Diskriminierung von schwulen und lesbischen Personen aus. In diesem Dachverband sind gleichgeschlechtliche Trauungen, sowie lesbische und schwule Rabbiner*innen zugelassen. In der Schweiz zeigten sich in einer Untersuchung von 2010 liberale jüdische Gemeinden offen für religiöse Trauungen von homosexuellen Personen. Auf den Webseiten der beiden jüdischen Dachverbände der Schweiz gibt es jedoch noch keine Informationen zu gleichgeschlechtlichen Trauungen und generell queeren Themen, was vermuten lässt, dass das Thema im Jahr 2022 noch keine Präsenz für die Verbände hat. In orthodoxen jüdischen Gemeinden sind keine gleichgeschlechtlichen Trauungen möglich.

Auf den Webseiten der grösseren islamischen Verbände und Vereine der Schweiz gibt es keine Informationen zur Möglichkeit von religiösen gleichgeschlechtlichen Trauungen. Die öffentliche und innerreligiöse Auseinandersetzung zum Verhältnis von Islam und LGBTQIA+ steht häufig im Kontext der Behandlung von queeren Personen in Staaten, die sich als «islamisch» bezeichnen, wodurch sich Themen vermischen und nicht direkt Positionen von Muslim*innen in der Schweiz zur gleichgeschlechtlichen Ehe ableiten lassen.

Diskriminierende Anstellungsbedingungen

In der Schweiz steht besonders die römisch-katholische Kirche aufgrund ihrer diskriminierenden Anstellungsbedingungen gegenüber Frauen und queeren Menschen in der öffentlichen Kritik. Über 2700 Personen arbeiten in der Schweiz in Berufen, welche einen durch die römisch-katholische Kirche erteilten Verkündigungs- und Lehrauftrag – die Missio Canonica – beinhalten. Die Berufe umfassen Priester, Ordensangehörige, Seelsorger*innen, Pastoralassistent*innen oder Religionspädagog*innen. Personen, die sich in diesem Dienst befinden, werden von der römisch-katholischen Kirche diskriminiert, sobald sie ihre von heterosexuellen abweichenden sexuellen Orientierungen (oder nicht cis Geschlechtsidentitäten) offen äussern. Ihnen droht die Verweigerung oder der Entzug des Lehrauftrags und damit der Verlust der Arbeitsstelle. Die offizielle Begründung lautet, dass diese Lebensform nicht der kirchlichen Sexualmoral entspreche. Da es sich bei Kirchen um sogenannte Tendenzbetriebe handelt, müssen Angestellte eine höhere Loyalitätspflicht einhalten, was in Konflikt mit ihren Grundrechten treten kann.

Im September 2022 wurde an der vierten Synodalversammlung des Synodalen Weges in Frankfurt eine erneuerte, liberalere Sexualethik erneut abgelehnt. Inoffiziell werden die nicht heterosexuellen (und nicht cis) Lebensformen so lange geduldet, wie sie im Verborgenen gelebt werden, sagt Daniel Kosch – der frühere Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ). Es sind aber auch Fälle bekannt, in denen Vorgesetzte unter Verweis auf die nicht heterosexuelle (oder nicht cis) Lebensform Druck auf ihre Angestellten ausüben. Viele Personen trauen sich deshalb aus Angst um ihre Anstellung nicht, offen zu ihren sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten zu stehen. Nicht-cis Menschen sind in der römisch-katholischen Kirche nämlich ebenso von Diskriminierungen in Anstellungsverhältnissen betroffen, dies wird jedoch nicht direkt mit der abweichenden Sexualmoral begründet und nicht so breit öffentlich debattiert wie der Umgang mit gleichgeschlechtlicher sexueller Orientierung.

«Konversionsmassnahmen»

Der Begriff «Konversionstherapien» steht für unterschiedliche Praktiken. Allen gemeinsam ist der Glaube, dass die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität von Personen verändert werden können und müssen. Diese Praktiken zielen darauf ab – oder geben es zumindest vor –, schwule, lesbische oder bisexuelle Personen zu heterosexuellen Menschen und trans, nonbinäre und genderqueere Personen in cisgender Menschen umzuwandeln. Besonders im evangelikalen und freikirchlichen Umfeld in der Schweiz sind solche Praktiken verbreitet, über «Konversionstherapien» mit jüdischem oder muslimischem Hintergrund ist in der Schweiz nichts bekannt. Eine Recherche von SRF deckte auf, dass auch in Teilen der Heilsarmee das «Wegbeten» von Homosexualität praktiziert wird. Es kam auch schon vor, dass solche Therapien von der Krankenkasse bezahlt wurden.

Die «Konversionstherapien» basieren auf der falschen Annahme, dass LGBTQIA+ Personen krank seien und geheilt werden müssten. Wie Gesundheitsfachpersonen seit Jahren betonen, verursachen diese Praktiken jedoch grosses Leid und fügen den Betroffenen enormen Schaden zu. Gemäss dem unabhängigen UNO-Experten für den Schutz vor Gewalt und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität können diese «Therapien» in manchen Fällen auch als Folter angesehen werden: In einem Bericht aus dem Jahr 2020 hebt er hervor, dass diese Praxis psychische und physische Traumata mit schweren Folgen verursachen kann und die Menschenrechte verletzt. Er setzt sich für ein weltweites Verbot dieser Praktiken ein. Die Schweizer Nachbarländer Frankreich, Deutschland und Österreich haben bereits Verbote oder Teilverbote eingeführt. Das Fehlen eines nationalen Verbotes in der Schweiz führt dazu, dass der Anreiz für Konversions-Tourismus besteht.

Zwar werden in den Kantonen Zürich, Bern, Genf, Basel-Stadt, Basel-Land, Solothurn, Schwyz und Waadt parlamentarische Vorstösse behandelt, die solche Praktiken verbieten wollen. Auf Bundesebene wurden entsprechende Vorstösse bis anhin jedoch ausgebremst mit der Argumentation, die bestehenden Gesetze würden zur Verhinderung von Missbräuchen ausreichen. Laut Pink Cross sind die geltenden Gesetze jedoch nicht auf «Konversionsmassnahmen» zugeschnitten und bieten deshalb keinen genügenden Schutz. So würden die bestehenden Straftatbestände eindeutig nachweisbare Schädigungen voraussetzen, welche bei «Konversionsmassnahmen» selten vorhanden seien. Zudem werde der soziale Druck des homophoben Umfelds nicht berücksichtigt. Der Erfolg der Massnahme werde vom Umfeld mit dem Willen der Betroffenen in Verbindung gesetzt, weshalb sich diese häufig «freiwillig» «Konversionsmassnahmen» unterziehen würden. Pink Cross setzt sich deshalb für eine Strafnorm ein, die ausdrücklich «jegliche Verhaltensweisen bestrafen, die auf die Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität gerichtet sind».

Im August 2022 hat die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates als Reaktion auf drei Parlamentarische Initiativen eine Kommissionsmotion beschlossen, die den Bundesrat beauftragt, die Rechtsgrundlagen für ein Verbot von «Konversionsmassnahmen» an minderjährigen und jungen erwachsenen LGBTQIA+-Personen zu schaffen. Dabei solle sich der Bundesrat an den internationalen Yogyakarta-Prinzipien orientieren und das Anbieten, Vermitteln und Bewerben von «Konversionsmassnahmen» verbieten. Der Nationalrat hat die Motion im Dezember 2022 angenommen. Nun muss das Anliegen durch den Ständerat, in den Bundesrat und dann zurück in die Räte.

Die Religionsgemeinschaft zu verlassen ist nicht immer eine Option

Trotz der vielfältigen Diskriminierungen von queeren Personen in der römisch-katholischen Kirche ist es für viele Betroffene keine Option auszutreten. Es gibt verschiedene Gruppen, Allianzen, Initiativen und Personen, die sich innerhalb der Kirche für eine Veränderung im Umgang mit der LGBTQIA+ Community einsetzen.

Eine öffentliche Gruppe für queere jüdische Personen in der Schweiz gibt es momentan nicht. Zwar gründete sich im Jahr 1996 eine informelle Gruppe namens «Alize» in der sich homosexuelle jüdische Personen in der Schweiz zusammenfanden. Diese löste sich 2006 jedoch wieder auf, und es ergab sich keine weitere solche Gruppierung. Als mögliche Gründe dafür nennt der ehemalige Präsident von Alize die kleine Anzahl von Jüd*innen in der Schweiz, welche regional und sprachlich zersplittert sind. Deshalb ist zum einen die Selbstorganisation schwierig, zum anderen ist Diskretion in einem überschaubaren Umfeld nicht einfach.

Seit 2021 gibt es in der Schweiz den Verein «Al Rahman» welcher auch queere Muslim*innen inkludiert, sich aber nicht primär öffentlich für deren Rechte einsetzt.

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