06.06.2016
Im Rahmen der Recherchearbeiten zum Themendossier «Rassistisches Profiling» hat humanrights.ch eine Umfrage bei einigen ausgewählten kantonalen Polizeikorps zur Praxis der Personenkontrollen durchgeführt. In den folgenden Abschnitten werden die wichtigsten Aussagen zusammengefasst.
Kantonspolizei Zürich
Die Kantonspolizei Zürich sagt gegenüber humanrights.ch, die Polizei sei verpflichtet, bei Verdacht auf jegliche strafbare Handlungen von sich aus Ermittlungen aufzunehmen und gegebenenfalls Anzeige zu erstatten. Dies gelte auch bei strafbaren Verstössen gegen das Ausländerrecht: «Es liegt deshalb weder im individuellen Ermessen des/der einzelnen Polizeiangehörigen, noch bedarf es eines expliziten Auftrages, Personenkontrollen durchzuführen, wenn der Verdacht auf illegalen Aufenthalt vorliegt.» Bezüglich Verstössen gegen die Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen liesse sich weder im Allgemeinen noch im Besonderen normieren, aufgrund welcher Kriterien ein spontaner Verdacht generiert wird, der eine Kontrolle rechtfertigt: «Es sind die gesamten Umstände zu würdigen. Erfolgreiche Polizeiarbeit basiert nicht zuletzt auch auf Intuition und Erfahrung.»
Dass die Kantonspolizei Zürich das Fehlen von speziellen Dienstvorschriften zu Polizeikontrollen damit begründet, dass diese einer «intuitiven Polizeiarbeit» im Wege stehen könnten, überzeugt nicht. Denn wenn es keine Leitlinien gibt, können auch willkürliche oder ethnisch selektive Kontrollen mit etwas Phantasie gerechtfertigt werden. Konkrete Leitlinen für polizeiliches Handeln helfen einerseits, willkürliche Kontrollen zu verhindern, und dienen den Polizeibeamten/-innen andererseits als Kompass und als Referenz für die eigene polizeiliche Tätigkeit.
- Interview mit Kantonspolizei Zürich
Interview von humanrights.ch mit der Kantonspolizei Zürich, Mai 2016 (pdf, 2 S. )
Wolfgang Moos, Psychologe und Ausbildungschef der Stadtpolizei Zürich, äusserte sich in einem Interview mit dem Schweizer Radio SRF über Ziele und Schwierigkeiten der täglichen Polizeiarbeit.
- «Verdachtsfreie Kontrollen sollte es nicht geben»
Interview mit Wolfgang Moos, 14. November 2016
Die «Allianz gegen Racial Profiling» kritisierte diesen Beitrag von SRF scharf. So werde der Polizei während fünfzehn Minuten eine Plattform geboten, um gleich in vielerlei Hinsicht das Problem des institutionellen Rassismus zu verharmlosen.
- «Schweizer Radio bietet der Stadtpolizei Zürich eine Propaganda-Plattform»
Stellungnahme der Allianz gegen Racial Profiling, 29. November 2016
Kantonspolizei Bern
Auch die Kantonspolizei Bern verfügt über keine spezifischen Richtlinien, welche die Verdachtsgenerierung für Personenkontrollen genauer umschreiben. Die Polizei weist im Interview mit humanrights.ch darauf hin, dass die Schweiz über eine sehr heterogene Bevölkerung verfügt, weshalb eine Überprüfung wegen Verdachts auf rechtswidrigen Aufenthalt nicht aufgrund einzelner äusserlicher Merkmale vorgenommen würde. Gezielte Kontrollen wegen illegalen Aufenthalts würden demnach primär im Rahmen von geplanten Aktionen an dafür bekannten Plätzen und Räumlichkeiten (bspw. Bordelle) durchgeführt. Würden Ausländer im Rahmen von Art. 215 StPO aufgrund einer möglichen Straftat (bspw. Verkauf von Drogen, Einbruchdiebstahl, aggressives Betteln) kontrolliert, könnten gleichzeitig Abklärungen zum Aufenthaltsstatus erfolgen.
- Interview mit der Kantonspolizei Bern
Interview von humanrights.ch mit Peter Baumgartner, Stv. Kommandant der Kantonspolizei Bern (pdf, 2 S.)
Gemäss dem Juristen Tarek Naguib äusserte sich der Kommandant der Kantonspolizei Bern und Präsident der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD), Stefan Blättler, bereits mehrfach in Gesprächen zum Thema rassistisches Profiling: «Herr Blättler ist der Auffassung, dass die Polizei keine rassistischen Polizeikontrollen ausübt. Er verweist auf die internationalen Menschenrechtsübereinkommen, an die sie sich halten würden.» Entgegen der vorliegenden Forschungsergebnisse und Testimonials von Betroffenen, die deutlich machen, das Schwarze, Personen nordafrikanischer und arabischer Herkunft, aber auch Roma, Sinti und Jenische regelmässig diskriminierenden Polizeikontrollen ausgesetzt sind, sei Herr Blätter der Auffassung, dass das Problem nicht existiert, höchstens vereinzelt könne es vielleicht zu Vorfällen kommen.
Auf Nachfrage, was für konkrete Massnahmen die Polizei ergreife, um die von ihm zitierten völker- und verfassungsrechtlichen Grundlagen umzusetzen, habe Herr Blättler - ausgenommen von generellen Hinweisen zu Menschenrechtskursen in der polizeilichen Grund - und Weiterbildung – keine Antwort gehabt.
Ablehnend habe Blättler zudem auf den Vorschlag reagiert, Quittungen für Polizeikontrollen einzuführen, welche Angaben zur kontrollierten Person, zu den kontrollierenden Polizeibeamten/-innen, allgemeine Angaben zur Kontrolle (Datum, Zeit, Ort), Anlass der Kontrolle, Kontrollergebnis enthalten würde: «Solange ich in Bern Kommandant bin, gibt es keine Quittungen», habe er in einem Gespräch gesagt. Auch weitere Massnahmen im Bereich Gesetzgebung, Personalrekrutierung, Personalentwicklung, Massnahmen im Bereich Inter- und Supervision im Nachgang von Polizeikontrollen, unabhängige Beschwerdeinstanzen, eine systematische Überprüfung von Dienstanweisungen auf diskriminierende Effekte, habe er mehrfach von sich gewiesen.
Stadtpolizei Lausanne
Die Stadtpolizei verfügt als einziges Polizeikorps über eine Richtlinie zum Thema ethnisches Profiling. Darin werden fünf konkrete Handlungsanweisungen aufgeführt, die im Rahmen von kriminaltechnischem Profiling berücksichtigt werden müssen, um willkürliche Kontrollen und die damit verbundenen negativen Gefühle der Betroffenen zu vermeiden. Neben den konkreten Anforderungen für die Aufnahme der polizeilichen Kontrolle wird dabei auch die respektvolle und klare Verständigung mit den betroffenen Personen als zentrale Aufgabe beschrieben. So sollten die betroffenen Personen so gut wie möglich nachvollziehen können, dass es sich nicht um eine willkürliche Kontrolle handelt und dass es a priori darum geht, ihre Unschuld (und nicht ihre Täterschaft) festzustellen.
Ethik-Offizier Patrick Boillat der Stadtpolizei Lausanne weist darauf hin, dass Abklärungen zum Aufenthaltsstatus grundsätzlich nur durchgeführt werden im Zusammenhang mit anderen Delikten. «Eine systematische Suche nach Personen, die sich illegal in der Schweiz aufhalten, wäre völlig ineffizient, da die betreffenden Personen ja in den meisten Fällen wegen Vollzugshindernissen doch nicht ausgewiesen werden können.» Als Spezialfall führt Boillat die Kontrolle wegen rechtswidrigen Aufenthalts im Rahmen von geplanten Aktionen an dafür bekannten Plätzen wie etwa Bordellen auf. Der Polizist befinde sich hier in einem Dilemma, da einerseits ein Verstoss gegen ausländerrechtliche Bestimmungen vorliege und es sich bei den kontrollierten Personen andererseits häufig um Opfer von Menschenhandel handle. «Wir haben hier klare Vorgaben, dass der Schutz der betroffenen Person und nicht das ausländerrechtliche Delikt im Vordergrund steht».
Hinsichtlich der Kontrolle von mutmasslichen Drogendealern weist Boillat darauf hin, dass äussere Merkmale zwar als Hinweis dienen können aber niemals das ausschlaggebende Merkmal sein dürfen. Auch bei einem bekannten Drogenumschlagplatz müsse der Polizist deshalb zuerst genug lange beobachten, bevor er aktiv wird: «Ausschlaggebend muss immer das Verhalten der Person sein».
Das Interview mit Herrn Boillat wurde telefonisch durchgeführt und ist schriftlich nicht dokumentiert.