28.03.2007
Dogu Perinçek, ein türkischer Politiker, der mehrfach in der Schweiz den von den Türken verübten Genozid an den Armeniern in den Jahren 1915 - 1917 als Lüge bezeichnet hat, wurde am 9. März 2007 vom Lausanner Bezirksgericht schuldig gesprochen. Er habe gegen die Antirassismus-Strafnorm verstossen, da er sich auf die Seite der Täter gestellt habe und die eigentlichen Opfer, die Armenier, zu Tätern gemacht habe. Ausserdem war für das Gericht klar, dass ihm sehr wohl bewusst war, dass er mit seinen Äusserungen gegen die Antirassismus-Strafnorm verstossen würde. Darum wurden auch keine mildernden Umstände zugelassen. «Dogu Perinçek ist stur, arrogant und provokativ», hielten die Richter fest.
Gerichtliche Anerkennung des Armenier-Völkermords
Der Freiburger Strafrechtsprofessor Marcel Niggli ist von dem Urteilsspruch «beeindruckt». Denn damit anerkennt ein Strafgericht zum ersten Mal die Ermordung der Armenier als Völkermord. Das Gericht habe grossen Mut bewiesen, denn es hat sich nicht von politischen Spielen beeinflussen lassen und ein «rein juristisches Urteil gefällt».
Der Schweizer Justizminister Blocher hatte sich anlässlich eines Besuchs in Ankara negativ über die Schweizer Antirassismus-Strafnorm geäussert. Sein türkischer Amtskollege doppelte nach, indem er kurz vor Prozessbeginn Bern einen Gegenbesuch abstattete.
Auch Georg Kreis, Präsident der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus und auch Historiker, ist befriedigt über das Resultat. Für ihn war insbesondere wichtig, dass die rassistische Komponente des Genozid-Leugnens klar herausgestrichen wurde. «Im Falle der Armenier wird eine gesamte ethnische Gruppe, die faktisch Opfer war und ist, von den Genozid-Leugnern zu Tätern gemacht», sagt Kreis.
Reaktion der Türkei
In der Türkei gab es heftige Reaktionen auf das Urteil. Das Aussenministerium in Ankara erklärte: «Das Urteil kann vom türkischen Volk unmöglich hingenommen werden». Während seines Besuches in Aserbaidschan nahm der türkische Ministerpräsident die Gelegenheit ein weiteres Mal wahr, den Völkermord an den Armeniern zurückzuweisen.
Viele Türken, die in der Schweiz leben, schweigen zum Prozess. Sie sind sich der Gefahr bewusst, in die sie in der Türkei geraten könnten, wenn in Zeitungen ihre Meinung zum Genozid abgedruckt würde. Es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, ob eine solche Frage vor Gericht behandelt werden sollte. Hatice Yürütücü, die die Türkische Gemeinschaft Schweiz in der Eidgenössischen Ausländerkommission vertritt, zweifelt, ob ein Gericht der richtige Ort ist, um historische Fragen zu klären. Sie würde eine unabhängige internationale Historikerkommission begrüssen, welche die Morde an den Armeniern untersucht.
- Gericht ortet rassistische Motive
Bund, 10. März 2007 (pdf, 3 S.) - Ein Schuldspruch und seine Reaktionen
Swissinfo, 10. März 2007 - «Er macht die Türkei schlecht»
Tagesanzeiger, 8. März 2007 (pdf, 2 S.) - Dogu Perincek legt Berufung ein
NZZ, 12. März 2007 (pdf, 1 S.) - Das Urteil ist eine Peinlichkeit
Weltwoche, 19. März 2007 (pdf, 2 S.)
Weitere Informationen
- Streit mit der Türkei wegen Leugnung des Armenier-Völkermords
Artikel auf humanrights.ch, August 2005
Urteil des Bundesgerichts
Dogu Perinçek hat Berufung gegen das Urteil eingelegt. Er sei bereit, bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu gehen, sagte sein Anwalt Moreillon.
Inzwischen hat das Bundesgericht am 12. Dez. 2007 im Fall Perinçek sein Urteil gefällt. Siehe hierzu den Kommentar in folgendem Artikel aus der Rubrik Bundesgerichtsentscheide:
- Leugnung des Genozids an den Armeniern (Fall Doğu Perinçek)
Kommentar zum BGer-Urteil 6B_398/2007 von Tarek Naguib